Nachdem sich Georgien 2017 in Cardiff gegen Wales mehr als achtbar aus der Affäre gezogen hat, tritt Schottland morgen in Tbilisi an. Foto (c) Perlich
Die Zweiklassengesellschaft im Welt-Rugby ist nicht erst seit gestern ein großes Problem. Die beiden Top-Wettbewerbe Six Nations und die Rugby Championship sind eine geschlossene Gesellschaft, in die man nur auf Einladung kommt. Doch es gibt auch Fortschritte zu vermelden: Georgien darf an diesem Wochenende erstmals ein Top-Ten-Team daheim im Nationalstadion von Tbilisi empfangen. Für das kleine Rugby-verrückte Land im Kaukasus ein historischer Anlass und hoffentlich auch ein Fingerzeig für Rugby insgesamt.
Es mag lediglich ein WM-Vorbereitungsspiel sein, doch welches Ausmaß die Vorfreude der Georgier auf das Gastspiel der Schotten am morgigen Samstag erreicht hat, ist überall in Georgien zu spüren. Zur öffentlichen Trainingseinheit der Schotten im sommerlich heißen Tbilisi kamen zahlreiche georgische Fans und das 55.000 Zuschauer fassende Nationalstadion der georgischen Hauptstadt wird morgen pickepackevoll sein.
Schon seit Monaten bereitet man sich im Kaukasus-Land auf dieses Spiel vor. Georgiens Rugby-Pressesprecher Alexandre Ujmajuridze berichtete TR schon im Rahmen des Deutschland-Länderspiels im März von der anstehenden Premiere und erklärte: „Wir fühlen uns den Schotten mit ihrer Highlander-Mentalität verbunden, wir sind auch ein abgelegenes Land in den Bergen und lieben Rugby ebensosehr.“ Kein Wunder, dass Berichte von schottischen Fans, die ebenso wie ihre Mannschaft äußerst gastfreundlich in Tbilisi empfangen wurden, online die Runde machten.
World Rugby hatte zuletzt die Geschichte des georgischen Aufstiegs in einer zweiteiligen Dokumentation erläutert
Sportlich gesehen ist dieses Spiel für Georgien eine lang ersehnte Chance. Denn die aktuelle Nummer zwölf der Weltrangliste, hatte bisher kaum Möglichkeiten sich gegen die absoluten Top-Teams der Welt zu beweisen und bisher nicht ein einziges Mal daheim. Lediglich sieben Spiele in den letzten 16 Jahren hatten die Georgier außerhalb von Weltmeisterschaften gegen Top-Ten-Teams. Dabei konnte Wales 2017 in Cardiff beim 13-6 mit viel Glück den Sieg retten, nachdem die Lelos augenscheinlich für ihre Gedränge-Dominanz nicht belohnt wurden.
Schottland wird gerade im Gedränge morgen alle Hände voll zu tun haben. Denn dort haben die Georgier traditionell ihre Stärken. Mittlerweile aber sind auch die meisten Hintermannschaftsspieler der Lelos bei Topklubs in den besten Ligen unterwegs. Das Spielmacher-Duo Lobzhanidze-Abzhandadze beispielsweise ist beim französischen Erstligisten Brive unter Vertrag. Gerade für den erst 20-jährigen Abzhandadze wird es jedoch eine Feuerprobe - immerhin steht ihm mit Finn Russel einer der trickreichsten Zehner im Welt-Rugby gegenüber.
Das Ergebnis dürfte auch abseits von Georgien mit Interesse verfolgt werden. Bei den privat organisierten Six Nations weigert man sich bisher vehement überhaupt über die Aufnahme der Georgier zu diskutieren. Sollte Georgien gegen die Schotten ein Erfolg gelingen, würde die Diskussion in den Medien erneut hochkochen. Doch auch insgesamt fragt man sich bei World Rugby, wie man den aufstrebenden Nationen mehr Möglichkeiten einräumen kann.
Die Nations League Idee von World-Rugby-Vizepräsident Agustin Pichot jedenfalls hatte der Verband vor wenigen Wochen ohne viel Aufsehen begraben. Damit bleibt die aktuelle Struktur weiter bestehen. Für Georgien eher eine schlechte Nachricht. Denn trotz Siegen im U-20 Bereich über Schottland und Irland ist das nächste Duell keine Selbstverständlichkeit. Wirtschaftlich wären mehr Spiele daheim für die Georgier ebenso eine wichtige Einnahmequelle, wie eine sportliche Weiterentwicklungschance.
Zuletzt hatte World Rugby in einer zweiteiligen Dokumentation den Aufstieg des georgischen Rugbys bis in die erweiterte Weltspitze festgehalten. Inwiefern das Rugby-Märchen des Landes, das erst 1991 sein erstes Länderspiel überhaupt absolviert hat, weitergeht, wird sich zum Teil schon morgen zeigen.