Vom Tsunami zerstört, kehrt mit der Rugby-WM die Hoffnung nach Kamaishi zurück
Geschrieben von TotalRugby Team
Mittwoch, 7. August 2019
Kotaro Matsushima legt einen Versuch für Japan im neugebauten Stadion von Kamaishi. Foto (c) World Rugby
Es sind nur acht Jahre die den traurigsten Moment der Geschichte der nordjapanischen Stadt vom baldigen Highlight trennen. In Kamaishi hat die japanische Rugby-Nationalmannschaft soeben eines ihrer vier WM-Vorbereitungsspiele abgehalten und auch während des World Cups werden hier zwei Spiele ausgetragen. Dabei musste die Rugby-verrückte Kleinstadt noch vor acht Jahren den größten Horror ihrer Geschichte überstehen.
Kamaishi fällt beim Blick auf die Ausrichterstädte des drittgrößten Sport-Events der Welt, welches in weniger als 50 Tagen beginnt, gleich in mehrerlei Hinsicht auf. Nicht nur ist die etwa 35.000 zählende Stadt der kleinste Spielort und weist das kleinste Stadion des Turniers auf - Kamaishi liegt auch abseits der meisten anderen großen Spielorte im relativ dünn besiedelten Nordosten des Landes. Doch der Hintergrund der Wahl Kamaishis als Austragungs-Ort für den Rugby World Cup ist ein gleichwohl trauriger wie inspirierender.
Vor acht Jahren, im März 2011, gingen die Bilder aus der am Pazifik gelegenen japanischen Kleinstadt um die ganze Welt. Derselbe Tsunami, der drei Autostunden südlich das Nuklearkraftwerk Fukushima zur Havarie brachte, hatte Kamaishi dem Boden gleichgemacht. Nach dem die Wasserwelle auslösenden Erdbeben der Stärke 9,1 auf der Richterskala blieben der Bevölkerung nur wenige Minuten um sich auf die Wasserwalze vorzubereiten.
Die Bilder aus Kamaishi gingen um die Welt
Die kalten Wasserfluten bahnten sich mit unglaublicher Gewalt ihren Weg in die enge Bucht Kamaishis und hatten ganze Häuser mit sich gerissen. Die Stadt wurde wie keine zweite in Japan zerstört - der Tsunami hat dabei über 1000 Bewohnern des Ortes das Leben gekostet, von denen Dutzende von der sich zurückziehenden Welle auf das offene Meer gerissen und nie gefunden wurden.
Doch Kamaishi ist nicht nur für diese tragischen Katastrophe bekannt. Der Ort, der lange eines der Zentren der japanischen Stahlindustrie war, ist ebenso einer der Rugby-verrücktesten des Landes. Die Mannschaft Kamaishis errang zwischen 1979 und 1985 gleich sieben japanische Meisterschaften in Folge - ein bis heute ungeschlagener Rekord, der dem Team den Spitznamen „die eisernen Männer des Nordens“ einbrachte. Zu seinen Hochzeiten in den 1980er-Jahren schauten mehr Zuschauer bei Kamaishi-Spielen zu, als der kleine Ort Einwohner hat.
Heute spielt das Kleinstadt-Team, das in den 90ern nach der Abwanderung des lokalen Stahlherstellers von Steelers in Seawaves umbenannt wurde und negativ vom Strukturwandel der Region betroffen war nur noch in Japans zweiter Liga. Der Sport spielt aber dennoch weiterhin eine große Rolle und hat dies auch während der Wiederaufbauarbeiten in den letzten Jahren gespielt. Die Spieler der Seawaves waren bereits in den Tagen nach der Katastrophe an Rettungsaktionen sowie am Wiederaufbau beteiligt und in den lokalen Schulen wurde nach dem Tsunami noch mehr als zuvor auf den ovalen Ball gesetzt, um den Kindern Ablenkung vom tristen Alltag zu bieten.
Als Japan 2009 den Zuschlag für die Ausrichtung der Rugby-WM erhielt, war Kamaishi zunächst aber nicht auf der Liste der Austragungsorte zu finden. Sicher auch, weil in erster Linie Japans Großstädte wie Tokio, Yokohama, Kobe und Sapporo als ökonomisch wichtige Zentren als Spielorte des Turniers selektiert wurden. Erst nachdem der Tsunami den Ort verwüstet hatte, tat sich eine Reihe von lokalen Geschäftsleuten und Würdenträgern zusammen, um den Rugby World Cup in die insgesamt als Rugby-verrückt geltende Tohoku-Region zu bringen.
Moment des Triumphs für die gebeutelten Menschen in Kamaishi: Japan besiegt die hochgehandelten Fidschianer
Im Ort wurde in Rekordzeit das Kamaishi Recovery Memorial Stadium errichtet, das während der WM 16.200 Zuschauern Platz bieten wird. Da erst in diesem Jahr die letzten Bewohner des Ortes aus temporären Notunterkünften in reguläre Wohnungen und Häuser ziehen werden, war das Investment in das Stadion nicht bei allen unumstritten.
Doch die Hoffnung, die die Stadtverwaltung und die WM-Organisatoren mit der Ausrichtung von zwei WM-Spielen in Kamaishi verbinden ist, dass der Ort touristisch wieder erschlossen wird und von seinem Image als Katastrophen-Ort wegkommt. Denn noch immer wird der Ort in erster Linie mit den schrecklichen Bildern aus dem Jahr 2011 verbunden und wenn man Kamaishi googlet wird man genau mit diesen konfrontiert und nicht etwa mit der spektakulären Küstenlandschaft der Region.
Während der WM werden mit dem Duell Fidschi-Uruguay und der Paarung Namibia-Kanada zwei Spiele im neu errichtet und temporär erweiterten Stadion ausgetragen. Aber bereits letzte Woche hatte die japanische Mannschaft vor vollen Rängen hier die hoch gehandelten Fidschianer mit all ihren Superstars 34-21 geschlagen. Für Kamaishi ist das WM-Stadion und die Wettkämpfe ein Stück weit wiedereinkehrende Normalität und auch mit der Hoffnung auf japanische Siege beim World Cup verbunden. Die ovale Euphorie wird in Kamaishi sicherlich in den nächsten Wochen noch ein wenig mehr gelebt.