Der Moment, als der Sieg über Irland feststand, Phil Szczesny taucht ins Malfeld ein. Foto (c) Perlich
Unsere Jungs haben Geschichte geschrieben! Zum ersten Mal gewinnt eine deutsche Nationalmannschaft den EM-Titel im olympischen Siebener. Siege über die drei World-Series-Teams Frankreich, Irland und gegen Spanien im Finale bedeuteten den historischen ersten Triumph. Ganz nebenbei qualifizierten sich unsere Jungs damit für die Hong Kong 7s und als Gastmannschaft bei den beiden europäischen World-Series-Turnieren 2020 in London und Paris.
Krimi gegen Frankreich im Viertelfinale
Nach einer blitzsauberen Bilanz an Tag eins des EM-Turniers von Lodz fing der zweite Turniertag für unsere Jungs mit einem absoluten Krimi an. Auf unsere Siebener-Auswahl wartete eine junge spielfreudige und vor allem wenig orthodox spielende französische Mannschaft. Mit dieser hatten unsere Jungs am Ende einer nicht immer einfachen Saison so ihre Probleme. Die Franzosen fingen den allerersten Ankick und während Phil Szczesny sich am Counterruck versuchte, schaltete einer der Franzosen und nahm den Ball, lief auf der kurzen Seite um das Ruck und danach von der Mittellinie bis unter die Stangen zum 0-7 aus deutscher Sicht.
Ein denkbar schlechter Anfang und es sollte noch schlimmer kommen. Die Franzosen konnten mit etwas Glück ihren eigenen Ankick fangen und kombinierten sich dann wenige Phasen später deutlich zu einfach durch die Defensiv-Linie unserer Jungs, die nunmehr mit dem Rücken zur Wand standen. Vielleicht war aber auch genau das der Weckruf, den sie gebraucht hatten.
Noch vor der Pause schlug das deutsche Team zurück. Die beiden gelernten Halbspieler Himmer und Koch kombinierten sich per Doppelpass zum ersten deutschen Versuch durch. Doch noch lief nicht alles rund: Als Phil Szczesny einen weiten Überpass von Basti Himmer nicht unter Kontrolle bringen konnte, der einen sicheren Versuch bedeutet hätte, und die Franzosen nach mehreren verpassten deutschen Tackles am anderen Ende punkten konnten, stand unser Team beim Stand von 7-19 erneut vor dem Turnier-Aus.
Der eingewechselte Fabian Heimpel konnte dann aber wieder ein wenig mehr Dynamik ins deutsche Spiel bringen und er war es, der Himmer zum zweiten Wolfpack-Versuch freispielte. 12-19 mit drei Minuten auf der Uhr, es war noch alles drin. Den Ausgleich kurz dem Ende besorgte Tim Biniak, der nach einem Turnover am schnellsten reagierte, das Leder gedankenschnell aufnahm und sich den Weg unter die Stangen bahnte. Nach einem schwachen ersten Tag des Heusenstammers sicherlich auch ein wenig Genugtuung für Biniak, der die Kader-Nominierung für das Olympia-Qualiturnier verpasst hatte.
Doch es sollten noch zwei dramatische Wendungen folgen. Erst kassierte Niklas Koch eine gelbe Karte für das Herausschlagen eines Balles - er hatte reflexartig die Hand nach einem Pass ausgestreckt, diesen aber nicht fangen können. Sicherlich ungewollt und Reflex-bedingt, aber dennoch berechtigt. Wieder mussten sich die deutschen Rugger aus einer brenzligen Situation befreien. Doch in Unterzahl wuchsen unsere Jungs zum ersten Mal an diesem Tag über sich hinaus.
Frankreich hatte den Ball, die Überzahl im Rücken und damit sprichwörtlich alle Karten auf der Hand. Aber erst sicherten sich unsere Jungs den wohl wichtigsten Turnover des Tages und dann kombinierten sie sich in Unterzahl bis ins Malfeld der Franzosen, wo Dawe mit Wucht ablegen konnte. Das 26-19 bedeutete den Halbfinaleinzug und damit bereits die Hongkong-Quali, sowie das Ticket für die beiden World-Series-Turniere in Twickenham und Paris im kommenden Jahr.
Defensiv-Schlacht gegen Irland im Halbfinale
Doch damit nicht genug, im Halbfinale wartete ein alter Bekannter, die Iren. Gegen die Boys in Green hatte es letztes Jahr ganze drei deftige Finalniederlagen gesetzt und auch letzte Woche endete die Olympia-Quali durch die Iren um Superstar Conroy. Ein nervöser Beginn mit einer überworfenen Gasse sowie mehreren weggegebenen Ruck-Penalties kosteten unseren Jungs wertvolle Feldposition. Dazu bekamen sie anfangs Terry Kennedy, im Vorjahr noch der beste Try-Scorer der gesamten EM, nicht unter Kontrolle. Mehrmals lief er gleich mehreren deutschen Spielern davon und die logische Konsequenz war das 0-7 für Grün.
Unsere Jungs aber weigerten sich dieses Mal wie das Kaninchen vor der Schlange zu erstarren. John Dawe holte einen weiteren wichtigen Turnover, Phil Szczesny machte wichtige Meter und spielte Kapitän Tim Lichtenberg zum Versuch frei. 5-7 und als Ben Ellermann, der an gleicher Stelle vor genau einem Jahr sein EM-Debüt gegeben hatte, mit dem Ball wie eine Abrissbirne durch die Tackles der Iren ging, waren unser Jungs erneut in Schlagdistanz und erneut war es die Kombination Szczesny auf Lichtenberg, die zum Erfolg führen sollte.
In diesem Spiel war aber nicht die Offensive der ausschlaggebenden Faktor. Wie die deutsche Mannschaft nach Wiederanpfiff die Iren zwei Minuten lang brutal effizient verteidigte, muss einem Respekt abnötigen. Wieder und wieder liefen die Iren an, doch jedes Mal wenn sich eine Lücke auftat, zeigten die deutschen Jungs unglaublichen Willen, um die Löcher zu stopfen. Die so gerühmte Offensive der Iren um Kennedy und Conroy sah sich einer schwarzen Wand gegenüber und schließlich erzwangen unsere Jungs den Turnover.
Selbst mit dem Ball unter dem Arm dann erneut eine ganz lange Sequenz, an deren Ende Carlos Soteras Merz mit einem Kuller-Offload, das den Boden entlangrollte, Szczesny bediente. Der deutsche mit dem polnischen Vorfahren nahm es dankbar auf und rannte Supersprinter Conroy zum Versuch davon, unter dem Jubel der anwesenden Polen und des Kommentator-Teams des polnischen TVs. Der Bann war gebrochen und Irland tatsächlich geschlagen.
Krönung gegen Spanien im Finale
Die Iren, die noch in der Vorrunde Italien mit 43-0 abgefertigt hatten, unterlagen danach entkräftet völlig überraschend den Azzuri im kleinen Finale, womit ein Sieg den EM-Titel bedeutet hätte. Und das motivierte unser Jungs gegen Spanien noch ein Stück mehr. Mit unglaublicher Aggressivität gingen sie gegen die Spanier um Spielmacher Pol Pla, die auf der World Series zuletzt zugelegt hatten und unter anderem erstmals Neuseeland hatten schlagen können.
Doch zunächst folgte der Rückschlag. Gleich drei Ruck-Entscheidungen des Unparteiischen gingen gegen das deutsche Team und irgendwann war der Druck nicht mehr zu verteidigen. 0-7 aus deutscher Sicht, wovon sich diese Mannschaft aber nicht vom Gameplan abbringen ließ. Nach mehreren Minuten des Anrennens gegen die spanische Linie bedurfte es eines Geniestreichs von Basti Himmer, der gleich zwei Spanier per angetäuschtem Pass aussteigen ließ und zum Ausgleich unter die Stangen lief.
Das Finale im Relive (ab 1:55:00)
Noch vor der Pause dann der nächste knüppelharte Ballvortrag von Ben Ellermann, der unsere Jungs mit 14-7 zur Pause in Führung brachte. Nach dem Intervall das gleiche Bild, unsere Mannschaft mit viel Druck und nachdem der Sturm um Dawe und Ellermann wichtige Meter gemacht hatte, war es der Germane Nikkie Koch, der durch die sich auftuende Lücke spritzte. 21-7 und Deutschland war am Drücker.
Spanien kam aber noch Mal, ein zunächst unglücklich platziert wirkender Kick sprang völlig unberechenbar auf und ließ damit die gesamte deutsche Defensive alt aussehen. Spanien konnte billig zum 14-21 Anschluss kommen, dieser Tag jedoch gehörte dem deutschen Team. Erst machte Tim Biniak wichtige Meter und dann konnte Kapitän Tim Lichtenberg vollenden. Unsere Jungs hatten es tatsächlich geschafft. Acht Jahre nach dem Aufstieg und mit dem ersten Turniersieg überhaupt auf GPS-Level sicherten sie sich die Krone im olympischen Siebener. Waren es vor genau sieben Tagen noch bittere Tränen der Enttäuschung, waren es dieses Mal Freudentränen. Was für eine Achterbahn der Gefühle für diese Mannschaft. Hut ab vor dieser Leistung und man muss es einfach sagen, diese Jungs gehören auf die World Series!
Der Abend heute in Lodz wird sicher noch ein langer werden, geht es doch für das Team danach in die nicht allzu lange Sommerpause. Danach wartet das nächste riesige Highlight auf die deutsche Mannschaft, die Oktoberfest 7s in München am 21. und 22. September, wenn unser Team vor zehntausenden Zuschauern erstmals gegen Teams wie Fidschi und Neuseeland antreten darf. Unterstützt sie dort, sie haben es sich verdient!
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