Wenn Wales auf England trifft, sind das immer besondere Duelle.
Samstag ist es wieder soweit, die beiden alten Rivalen treffen wieder aufeinander. Es wird das 131. Duell seit dem allerersten Aufeinandertreffen im Jahr 1881 werden und wieder ein Mal könnte es ein wegweisendes werden. England tritt in Cardiff im Duell der beiden einzigen ungeschlagenen Mannschaften der diesjährigen Six Nations an. Nur der Sieger wird sich realistische Hoffnungen auf einen Turnier-Triumph machen dürfen. Wie so oft zuvor, werden die Nachbarn im Rugby-Tempel von Cardiff eine erbitterte Schlacht aus diesem Duell machen.
In Dublin und Edinburgh ist man sicherlich anderer Meinung, aber dennoch - es ist die wohl größte Rivalität bei den Six Nations. Wenn eines Schotten, Iren, Franzosen und Waliser im Rugby-Kontext verbindet, dann ist es eine gesunde Abneigung gegen England. Doch bei niemandem ist diese Abneigung derart ausgeprägt, wie bei den Walisern. Das liegt unter anderem auch daran, dass sich kein Land Europas derart über den ovalen Ballsport definiert, wie Wales, wo Rugby identitätsstiftend ist und zur Landesfolklore gehört. Den großen und als arrogant verschrieenen Nachbarn zu ärgern, ist dabei das höchste aller Gefühle für einen Fan der roten Drachen.
Wales dominierte England in seiner goldene Ära
In den 138 Jahren Geschichte dieser Rugby-Rivalität gelang den Walisern dies immer wieder und das, obwohl England in der Gesamtbilanz mit 62 zu 57 Siegen knapp die Nase vorne hat. In der goldenen Ära in den 70ern und 80ern - mit dem legendären Wales-Schluss JPR Williams, Verbinder Phil Bennett und Gedrängehalb Gareth Edwards - konnte Wales das Prestige-Duell mehr als ein Jahrzehnt lang dominieren. Aber auch zuletzt gelang es Wales den Engländern gleich zwei Mal gehörig in die Suppe spucken.
Bei der WM 2015 in England kegelten die walisischen Gäste den englischen WM-Gastgeber bereits in der Gruppenphase aus dem Turnier - eine historische Demütigung für das Rugby-Mutterland - zuvor musste noch kein WM-Gastgeber bereits nach der Gruppenphase die Segel streichen. Bei den Six Nations 2013 war England mit der Chance auf einen Grand Slam, also den Six-Nations-Gewinn mit fünf Siegen aus fünf Spielen, zum letzten Spiel nach Cardiff gereist - was folgte, war eine ordentliche Abreibung für den vermeintlichen Favoriten anstatt eines Triumphs auf des Gegners Platz.
Der Drachen hat den Löwen wieder Mal geschlagen - Wales dominierte England während seiner goldenen Ära
Aufgeheizte Atmosphäre im Rugby-Tempel von Cardiff
Englands hochgehandeltes Team konnte damals dem Erwartungsdruck und der einschüchternden Atmosphäre nicht standhalten. Generell gibt es wohl kaum ein schwierigeres Pflaster für Auswärts-Teams, als das Millennium Stadium in Cardiff. Das 74.000 Zuschauer fassende Nationalstadion mit seinen steilen Rängen thront wie eine Festung mitten im Zentrum der walisischen Hauptstadt. An Spieltagen entkommt man in Cardiff nirgends dem Rugby-Wahnsinn, die zahlreichen Pubs in Reichweite des ovalen Tempels laufen mit Fans beider Teams über - an wenigen Orten wird der Ballsport derart intensiv gelebt.
Wenn das Millennium Stadium wie aus einer Kehle die walisische Hymne „Land meiner Väter“ hinschmettert, lässt das wohl niemanden kalt. Auf diesen Zauber hoffen die Waliser auch am kommenden Samstag - um mit der Unterstützung ihres fanatischen Anhangs gegen den vermeintlich übermächtigen Favoriten zu siegen - es wäre nicht die erste Überraschung
Wenn 74.000 Waliser inbrünstig Land of my Fathers singen, lässt dies niemanden kalt
Doch auch wenn diese Rivalität ein wenig mehr von walisischer Seite gelebt wird, gewinnt man auch auf englischer Seite gern gegen den vermeintlichen Emporkömmling. Nachdem England 1998 im heimischen Twickenham Stadium mit 60:26 triumphierte über die roten Drachen, ließ es sich England-Kapitän Lawrence Dallaglio nicht nehmen, den Walisern noch ordentlich Salz in die Wunde zu streuen. Der England-Achter rief nach Abpfiff lautstark in die walisische Kabine, dass man es ihnen ordentlich gezeigt habe - sofern man eine jugendfreie Übersetzung für die Worte Dallaglios sucht - denn dieser hatte sich de facto weitaus deutlicherer Worte bedient.
2019 - Duell der Meister-Trainer
An diesem Wochenende wird es auch eine Rivalität zwischen den zwei Charakterköpfen auf den Trainerbänken sein. Warren Gatland bei Wales befindet sich mittlerweile im zwölften und letzten Jahr seiner Amtszeit in Cardiff und ihm werden Ambitionen auf den Trainer-Job in seinem Heimatland Neuseeland nachgesagt. Er wird im vorletzten Six-Nations-Heimspiel seiner Wales-Karriere dem Heim-Anhang seiner mittlerweile zweiten Heimat einen letzten Sieg gegen England bescheren wollen. Nicht umsonst schonte Gatland am letzten Spieltag schon zahlreiche Schlüsselspieler gegen Italien.
In Cardiff wollen die Gastgeber das Kunststück von 2013 wiederholen: England mit einer Niederlage nach Hause schicken
Englands Eddie Jones derweil, der normalerweise für seine verbalen Spitzen gegen die Konkurrenz bekannt ist, gab sich dieser Tage ungewohnt bescheiden. Trotz zweier überzeugender Bonuspunkt-Siege zum Auftakt des Wettbewerbs schob er die Favoritenrolle den Walisern zu. Dieses Team sei das beste walisische jemals - rein statistisch mag Jones da Recht haben, immerhin wäre ein Sieg gegen England der zwölfte in Folge, ein walisischer Allzeitrekord. Doch anders als das berühmte Team der Waliser in den 70ern und 80ern dominierten die heutigen Stars um Jonathan Davies, Alun Wyn-Jones und George North das internationale Geschehen nicht dermaßen, wie ihre berühmten Vorgänger im letzten Jahrhundert.
Man wird diese Aussage wohl unter die Kategorie „Psychospielchen von Eddie Jones“ verbuchen können. Denn auch der Japano-Australier weiß, der Gang für England am Samstag wird kein einfacher sein. Gleichwohl könnte es für sein Team wohl keine bessere Feuerprobe geben, als die am Samstag in Cardiff. Immerhin steht in nur sieben Monaten eine Weltmeisterschaft an - doch zu allererst geht es ums Prestige und darum, wessen nach dem 132. Duell dieser beiden Teams in den Pubs von Cardiff lautstark ihr Team bejubeln können.