TR-Review Six Nations: England demütigt Frankreich, Irland mit Kampfsieg
Geschrieben von TotalRugby Team
Montag, 11. Februar 2019
Hattrick-Held Johnny May versenkte Frankreich fast im Alleingang.
Wie sich die Zeiten doch ändern - schloss England die letztjährigen Six Nations noch mit dem schlechtesten Resultat der sechs-Team-Ära ab, sind die Männer aus dem Mutterland nun auf Kurs Grand Slam. Der Sieg gegen die Franzosen war der höchste seit 111 Jahren und unterstrich die starke Form der Engländer. Irland konnte mit einem hart erkämpften Sieg in Edinburgh zumindest eine minimale Chance auf eine Titelverteidigung wahren, doch nun sind die Iren auf Schützenhilfe von Wales angewiesen.
England 44 - 8 Frankreich
Eines der größten Rugby-Klischees lautet „man weiß nie welches französische Team antreten wird“ - ob les Bleus mit Weltklasse-Kombinationen, oder Slapstick-Einlagen aufwartet. Als Damien Penaud in der 35. Minute eine großartige Kombination zum vielleicht schönsten Versuch des Turniers abschloss, hätte man fast denken können, das alte French-Flair-Rugby sei zurück. Picamoles hatte den Ball kraftvoll nach vorne getrieben, Huget hatte sich durch die Linie der Engländer getanzt und Außen Penaud perfekt bedient. Das einzige Problem: Zu diesem Zeitpunkt hatte Englands Johnny May bereits drei Mal im französischen Mal abgelegt.
Die Gastgeber spielten in einer aus ihrer Sicht nahezu perfekt verlaufenen ersten Hälfte nicht schön, aber brutal effektiv. Ein ums andere Mal kickten die Engländer clever hinter die französische Linie. Verbinder Farrell und Gedrängehalb Youngs fanden dabei entweder vom Aushilfs-Schluss Yoann Huget nicht abgedeckten Rasen, oder die beiden von Innen auf Außen umfunktionierten Fickou und Penaud, die ebenso mit den hohen Bällen Probleme hatten. So waren drei Kicks jeweils der Ausgangspunkt für die drei Versuche Mays. Der schnellste Mann auf dem Feld ließ zudem Penaud mit einem Hüftwackler eiskalt dastehen und unterstrich seinen Status als Englands bester Außen.
Der in die Start-XV berufene andere Außen Ashton konnte immerhin ein Mal als Vorbereiter mit einem großartig platzierten Bodenroller glänzen. England nutzte seine brutal starken Ballträger im Sturm, sowie seine präzisen Kicks, um Frankreich nicht nur den Zahn zu ziehen, sondern um les Bleus gleich zu demütigen. Ein weiterer flacher und cleverer Kick von Neuner Youngs an der Seite des Rucks vorbei brachte England in Position und von einem Ruck wenige Meter vor der Linie spielte Prop Synckler den Gedrängehalb und brachte Slade mit seinem Überpass in Position. Slade tanzte Bastareaud, welcher trotz einiger guter Hits in der Defensive schon beim ersten Versuch schlecht aussah, gnadenlos aus und legte zum Bonuspunkt vor der Hälfte ab.
Zum wahrhaftigen Waterloo, wie Frankreichs Rugby-Bibel Midi Olympique am heutigen Morgen titelt, wurde das Spiel in den ersten Minuten der zweiten Hälfte. Der erneut brillant aufspielende Innen Henry Slade fing, wie schon gegen Irland, einen Pass ab und kickte clever Richtung Malfeld. Ashton schien das Rennen gegen den langsameren Fickou zu gewinnen, doch der zog den englischen Außen genau in dem Moment herunter, als dieser sich den Ball ins Malfeld kicken wollte. Die logische Konsequenz: Gelb für Fickou und Strafversuch für England.
Noch während der Überzahl spielte England einen Straftritt für ein zu hohes Tackle an Tuilagi schnell an und wieder sollte der Kick die richtige Wahl sein. Farrell legte den Ball weit vor, sowohl Frankreichs Dupont als auch Englands May verpassten und Farrell musste nur noch die Hand zum Versuch auflegen. 44 Zähler für die Gastgeber zur 55. Minute - die gute Nachricht aus französischer Sicht ist immerhin, dass England danach die Lust verlor und man selbst die eigene Linie sauber halten konnte. Unter dem Strich bleibt eine krachende Niederlage, nachdem die Franzosen noch im Vorjahr einen vielumjubelten Sieg gegen England einfahren konnten.
Trainer Brunel muss sich Fragen gefallen lassen: Warum spielen zwei für die Außen-Position zu langsame Innen auf der 11 und 14? Warum ein Außen auf 15? Warum wird Bastareaud erst gegen Wales aussortiert und dann wieder auf die defensiv schwer zu spielende 13er-Position gesetzt? Frankreich gilt seit Jahren als das am schlechtesten gecoachte Top-Team im internationalen Rugby. Einfachste Fehler, bizarre Personal-Entscheidungen und ständige Wechsel, die dem Team keine Chance geben, sich einzuspielen. Mit der reichsten Liga der Welt und so viel nachkommenden Talenten sollten les Bleus eigentlich viel besser dastehen, eigentlich. Ob Jacques Brunel die Grande Nation auch bei der WM trainieren wird scheint mehr und mehr fraglich.
England dagegen steht mit der Maximal-Ausbeute von zehn Zählern hervorragend da und es werden Hoffnungen auf einen Grand Slam laut. Das Spiel der Engländer mag zwar momentan nicht unbedingt schön sein, effektiv ist es allemal. Ob man die All Blacks allerdings mit einem derartigen Gameplan in Japan überlisten wird, muss man absehen. Zuerst steht jedoch der ganz harte Test in Cardiff in zwei Wochen an - sollte England den gegen die bisher ebenso ungeschlagenen Waliser bestehen, stünden die Chancen auf einen dritte Grand Slam in der Six-Nations-Ära verdammt gut. Eddie Jones jedenfalls, der sich noch vor wenigen Monaten mit Rücktrittsforderungen konrontiert sah, sitzt besser denn je im Sattel.
Schottland 13 - 22 Irland
Das erste Spiel des Six-Nations-Wochenende sollte ein wegweisendes sein. Irland drohte die zweite Niederlage und damit das vorzeitige Ende der Titelverteidigungs-Träume, doch die Boys in Green erkämpften sich in Edinburgh einen eminent wichtigen Sieg. In einer ersten Hälfte, in der Schottland mehr vom Ball hatte, zeigte sich Irland weitaus effektiver. Ein cleverer Kick von Außen Stockdale geriet für Schottlands Verteidigung zum Albtraum - Schottlands Seymour versuchte unter Druck den aufgelesenen Ball loszuwerden und produzierte dabei aber nur einen Katastrophen-Pass, den Murray zum Versuch auflesen konnte.
Irland konnte mit einem wunderschön herausgearbeiteten Versuch nachlegen - nach einem Ruck auf der Mittellinie spielte Dritte-Reihe-Stürmer O’Mahoney eine tolle Schere mit Verbinder Sexton, der Stockdale per perfekt getimeten kurzen Ball durch die Lücke brachte. Stockdale sollte bis unter die Stangen sprinten, doch Sextons Nachmittag war mit Oberschenkel-Problemen vorzeitig beendet. Für ihn kam der 23-jährige Joey Carbery ins Spiel, dem Ex-Irland-Spielmacher Ronan O’Gara unter der Woche ein Potenzial ähnlich dem von Beauden Barrett zugesprochen hatte.
Carbery fügte sich aber zuerst denkbar schlecht mit einem Intercept ein - sein Gegenüber Finn Russel roch einen Pass des Munster-Mannes, fing ihn ab und sprintete fast bis zum irischen Mal. Zentimeter vor der Linie wurde der Schottland-Verbinder zwar noch von Earles getacklet, Russel gelang es jedoch, Schottlands Innen Johnson zu seinem ersten Versuch für Schottland vom Boden aus per Offload zu bedienen. Beim Stand von 10:12 drohte das Spiel nun zu Gunsten der Gastgeber zu kippen und ein toller Angriff brachte die Schotten dann auch vor der Pause bis einen Meter vor die Linie, doch ein letzter ungenauer Pass von Huw Jones verhinderte eine Pausenführung der Schotten.
Stattdessen sollte Irland Mitte des zweiten Durchgangs für die Vorentscheidung sorgen. Ersatz-Verbinder Carbery bereitete, nachdem er einen Katastrophen-Pass von Sean O’Brien hinter sich auflesen konnte, mit einem tollen Solo Keith Earls Versuch vor. Carbery beschleunigte aus der Drehung heraus unwiderstehlich und konnte das Tackle von gleich zwei Schottland-Stürmern brechen - für einen Mann seiner Statur beachtlich und etwas, was Johnny Sexton so wohl nicht gelungen wäre - bevor er in der 22 einen weiten Pass auf seinen Munster-Teamkollegen Earls punktgenau ablieferte, so dass dieser nur noch wenige Meter mit dem Ball ins Malfeld zurücklegen musste.
Mit der Erhöhung war Irland außer Reichweite, Schottland sollte in der Schlussphase nicht noch ein Mal zurückkommen, jedoch gelang den Iren aber auch kein Bonuspunkt, der für die Chancen der Boys in Green auf eine Titelverteidigung hätte hilfreich sein können. Nach der Pause am kommenden Wochenende müssen beide Kontrahenten auswärts antreten - die Iren dürften in Rom einen lockeren Sieg einfahren, während Schottland in Paris mit mehr Gegenwehr rechnen muss.
Italien 15 - 26 Wales
Coach Warren Gatland hatte vor dem Duell seiner Waliser in der ewigen Stadt mit den Azzurri gleich zwei Drittel seiner siegreichen Mannschaft aus Paris herausrotiert. Das, so Gatland nach dem hart erkämpften Sieg in Rom, war wohl doch ein wenig zu viel. Lange Zeit tat sich der haushohe Favorit schwer im Olympiastadion der italienischen Hauptstadt. In einem zähen Spiel hatte Wales zwar vier erfolgreiche Straftritte von Verbinder Biggar vorzuweisen, aber sonst wenig spielerische Glanzpunkte.
Italien dagegen sollte den ersten Versuch des Spiels erzielen. Eine Gasse in der 22 nach Straftritt resultierte nach unzähligen Stürmerphasen im ersten und einzigen Versuch des Spiels für die Gastgeber. Braam Steyn, eingebürgerter Südafrikaner, überwand die letzten Zentimeter gegen gleich zwei walisische Tackler. Kurz nach der Pause konnte Italien gar per Penalty auf 10:12 verkürzen. Doch die Hoffnung der Italiener unter den nur 38.700 Zuschauern, die schlechteste Kulisse seitdem Italien seine Heimspiele im Olimpico abhält, sollten nicht lange anhalten. Mit dem eingewechselten Routinier Alun Wyn-Jones kam mehr Ruhe und Richtung ins Gäste-Spiel und eine schnelle Kombination auf den Flügel, wo Schluss Liam Williams ein Tackle brach und Worcester-Winger Josh Adams per Offload ins Malfeld schickte, beendete italienische Hoffnungen auf einen Heimsieg.
Der eingewechselte Ersatz-Verbinder Gareth Anscombe konnte dann in der Schlussphase sein Können, aber auch seine Fehler-Anfälligkeit unter Beweis stellen. Ein toller Bodenroller hinter die Linie bereitete Wales zweiten Versuch durch Innen Watkin vor - ein zu schnelles Rausrücken Anscombs aus der Defensiv-Reihe dann aber auch Italiens zweiten Versuch durch Padavani fünf Minuten vor dem Ende. Wales Sieg sollte dies nicht gefährden, aber diese Aktion wird Trainer Gatland darin bestärkt haben, vorerst auf den konservativeren Biggar als Verbinder zu setzen.
Für Italien werden die Aufgaben in den kommenden Wochen nicht einfacher, denn demnächst kommt Irland zu Besuch, wenn die Six Nations in zwei Wochen in Runde drei gehen. Italiens erster Sieg gegen den Titelverteidiger scheint zu diesem Zeitpunkt utopisch. Wales empfängt daheim England im Spiel der einzigen ungeschlagenen Teams des Wettbewerbs. Dieses Duell könnte eine Vorentscheidung im Titelrennen bringen.