Als Gastbeitrag in unserer Reihe über das deutsche Rugby haben wir heute Horst Kemmling interviewt. Lest selbst , was der deutsche Rekordnationalspieler (50 Laenderspiele) und fünfmalige deutsche Meister zu den ersten beiden Teilen unserer Serie zu sagen hat.
Hallo, Horst. Du hast sicher auch unsere aktuelle Interviewserie verfolgt. Ist die 1. Bundesliga wirklich so schwer zu vermarkten? Was kann man verbessern?
Ja, sie ist (derzeit) schwer zu vermarkten. Das muss doch wohl so sein, denn allerorts ist zumeist Stöhnen zu hören. Wenn es leicht wäre, ergäbe sich zwingend der Schluss, dass überall, wo eine Vermarktung nicht gelingt, nur inkompetente Verantwortliche am Werke sind. Das ist doch wohl kaum der Fall, oder? Verbessern kann man sicherlich die Transparenz hinsichtlich erfolgreicher Aktionen und die Ehrlichkeit und das Vertrauen der Vereine und Verbände untereinander. Zu oft, so scheint es mir, verhindern Neid und Missgunst die Weitergabe von wertvollen Informationen und das Gewähren von Hilfe und Unterstützung.
Was hältst du von der wachsenden Professionalisierung der deutschen Clubs?
Die Professionalisierung geht für mich viel zu einseitig in eine Richtung, nämlich Spieler für das Rugbyspielen zu entlohnen. Professioneller ist für mich eine Verbesserung der Rahmenbedingungen, also:
- Trainerausbildung und Verpflichtung von Spitzentrainern auch und gerade im Nachwuchsbereich
- Verbesserung der Infrastruktur, d.h. bessere Trainingsmöglichkeiten, attraktivere Spielorte (auch für Zuschauer)
- Absicherung der Aktiven hinsichtlich der beruflichen und gesundheitlichen Risiken während der Zeit als Rugbyspieler, vielleicht sogar die Schaffung beruflicher Perspektiven
- Forcierung der Zusammenarbeit von Vereinen und Landesverbänden für das gemeinsame Ziel “Förderung des Rugbysports in Deutschland”
Derzeit sehen gerade Funktionsträger noch viel zu sehr durch die Vereinsbrille (und das beginnt bereits mit bei der U8, den D-Schülern.
Wie wichtig ist 7er-Rugby für das deutsche Rugby allgemein?
Der vergleichsweise größere internationale Erfolg der 7er-Mannschaft bietet natürlich die besseren Möglichkeiten, mit Rugby als Produkt oder Marke zu werben. Auch die Tatsache, dass kleinere Rugbynationen mit dünnen Spielerdecken eher eine gute 7er- als eine gute 15er-Mannschaft auswählen und unterhalten können, darf nicht unberücksichtigt bleiben. Auch die Möglichkeit eines olympischen 7er-Turniers spricht für die Wichtigkeit des 7er-Rugbys. Ganz persönlich gehört mein Herz aber dem 15er, 7er ist eben “nur” ein Ableger. Es macht mich allerdings nachdenklich, dass zunehmend in Taktik erstarrte Begegnungen oder künstlich-spektakuläre Spiele die Regel werden. Wie lange ist es her, dass ein 15er-Spiel eine Qualität und Emotionalität hatte, das es unvergesslich macht (wie the match zwischen den Barbarians und den All Blacks in Cardiff)?
Hast du im Rahmen der DRV-Spendenaktion etwas Geld locker gemacht? Warum bzw. warum nicht?
Hier geht es mir wie dem unbekannten Experten: Der Aufruf war mir viel zu nebulös und leidenschaftslos. Wenn er dann auch noch in einer Zeit platziert wird, in der man täglich – wegen der vermuteten weihnachtlichen Milde – um finanzielle Hilfe für zweifellos förderungswürdige Projekte gebeten wird, so kann dieser Aufruf kaum Wirkung erzielen. Erfolgversprechender scheint mir die konkrete Formulierung einer Maßnahme und eines damit verknüpften Zieles, die finanziell unterstützt werden soll. Allerdings muss ich als Vereinsvorsitzender auch anmerken, dass die Vereine ebenfalls auf Spenden angewiesen sind, es dabei aber vergleichsweise schwerer haben, mit hochkarätigen Sponsoren ins Gespräch zu kommen. Der Personenkreis, der durch den Aufruf angesprochen wird, ist aus meiner Sicht exakt der, auf den die Vereine angewiesen sind.
In diesem Zusammenhang eine (rhetorische) Gegenfrage: Waren die deutschen Rugbyvereine in der Zeit der letzten Teilnahme an der FIRA A-Gruppe professioneller oder finanziell besser ausgestattet? Für Hannover gesprochen: als sich viele Vereine gegenseitig Konkurrenz machten, gleichzeitig eigenen Nachwuchs rekrutierten und gut ausbildeten, war das Niveau am höchsten. Die Konzentration der (vermeintlich oder tatsächlich) besten Spieler in einem Club führte zu einem rasanten Abstieg der übrigen Clubs (nicht zuletzt durch fehlende Perspektiven für den Nachwuchs bei gleichzeitig fehlender Motivation für den abwerbenden Club, eigenen Nachwuchs zu fördern). Es gibt einen weiteren Unterschied zwischen der Situation in der Zeit von 1980 – 2000 und heute: egal, ob es sich um Hannover 1878, die RGH, Victoria oder DRC handelte – in der Hochzeit dieser Clubs stellten sie eine Vielzahl nicht nur der Spieler sondern auch der Leistungsträger der Nationalmannschaft ab. Ich kann heute nicht erkennen, dass in der Nationalmannschaft die entsprechende Zahl von Spielern aus Frankfurt oder vom HRK (womöglich “Eigengewächsen”) spielt. (Soweit auch noch eine weitere Kritik an der oben angesprochenen Professionalisierung).
Ist der Klassenerhalt für die DRV-XV zu schaffen? Mit welchen Mitteln?
Der Klassenerhalt wird sehr schwer. Durch die Niederlage gegen Spanien rückt er in noch weitere Ferne. Gelänge es, die besten Spieler Deutschlands konzentriert und zielgerichtet vorzubereiten und stünden diese Spieler auch tatsächlich für die Länderspiele zur Verfügung, erscheint mir ein Klassenerhalt aber nicht unmöglich. Damit sind wir schon bei den weiteren Fragen an den Experten: ein Blick auf den Spielplan unserer Ligen sowie auf die Länderspieltermine genügt, um eine schlechte Ausgangsposition unserer Nationalmannschaft zu erkennen. Aus einem Grundlagen- oder Aufbautraining heraus, das aufgrund der Witterung und der daraus resultierenden fehlenden Wettkampfpraxis nach meinem Wissen und aus eigener Erfahrung von allen deutschen Clubs in der Zeit zwischen Mitte Dezember und Anfang Februar durchgeführt wird, müssen sich unsere Nationalspieler den Länderspielen stellen. Ich kann nicht beurteilen, wie groß oder gering der Einfluss des DRV auf die internationale Spielplangestaltung (für die deutsche XV) ist – einen Einfluss kann ich allerdings gar nicht erkennen. Ist in diesem Fall ein Trainingslager in südlicheren Gefilden mit passenden Vorbereitungsgegnern eine Lösung? Sollte man versuchen, vermehrt gegen “Ostblock”-Mannschaften Vorbereitungsspiele durchzuführen?
Wo sollten die Länderspiele der DRV-XV stattfinden?
Es ist doch ganz klar, dass der DRV darauf angewiesen ist, auch oder gerade mit der Wahl des Spielortes den finanziellen Erfolg oder Misserfolg einer Veranstaltung zu kontrollieren. Die Spieler wünschen sich naturgemäß ein Stadion mit super Spielfeld und einer großen Zuschauerzahl. Die Zuschauer wiederum sind immer seltener bereit, frierend und im Regen stehend ein Länderspiel auf einer Clubanlage zu verfolgen und eine Bratwurst und Flaschenbier als Höhepunkt des Catering zu akzeptieren. Weitere Aspekte könnten im Idealfall berücksichtigt werden, z.B. die Tatsache, dass an einem Ort gerade eine Rugbyeuphorie herrscht und Medien bereitwillig mitziehen; das Fehlen von Konkurrenzveranstaltungen in der Region des Länderspiels; ein existierendes und nachgewiesen erfolgreiches Planungs- und Organisationsteam vor Ort; ein Publikum, dass sich auf ein Länderspiel im Heimatort freut; an einen Ort gebundene oder mit einer Region verbundene Sponsoren, die eine optimale Ausrichtung eines Länderspiels sichern. Und natürlich würde ich mich auch freuen, wenn die deutsche Nationalmannschaft im Ellis Park gegen die Springboks spielte (aber das ist eine andere Geschichte).
Eine 1. Bundesliga mit Vereinen oder Stadtauswahlen …
… ist eine Idee, über die ich schon oft mit vielen Rugbyleuten gesprochen habe. Bei Stadtauswahlen entstünde eine echte Bundesliga, die sicherlich besser zu vermarkten ist und wahrscheinlich ein höheres Niveau bietet. Aber was geschieht mit den Vereinen, ihrer besten Spieler ebenso “beraubt” wie der Möglichkeit durch Zuschauereinnahmen und Sponsoren ein wenig Geld einzunehmen? Wer leistet die organisatorische Arbeit hinsichtlich aller Belange dieser Stadtauswahl? Wie sind Auf- und Abstieg organisiert? Kann ein Standort überleben, wenn keine konkurrenzfähige Stadtauswahl gebildet werden kann? Was geschieht, wenn eine Stadtauswahl absteigt? Wie kann sich diese Stadtauswahl wieder qualifizieren, denn wo spielen die Spieler nach dem Abstieg? Geht dann plötzlich eine ganze Stadt baden? Vorhin habe ich eine verstärkte Zusammenarbeit der Vereine einer Region und der Landesverbände angemahnt. Könnte nicht verbindlich eine Landesverbandsmeisterschaft – de facto in den meisten Fällen eine Stadtauswahl-Meisterschaft – durchgeführt werden? Leider sind in den letzten Jahren eben diese Begegnungen auf Landesebene zuerst geopfert worden, es gibt weder ein Nord-Süd-Spiel mehr noch eine Landesverbandsmeisterschaft, die zuletzt von vielen Landesverbänden nicht mehr unterstützt wurde. Nicht akzeptieren kann ich Aussagen, unsere Spieler seien durch die derzeit auszutragenden Spiele, wohlgemerkt inklusive der Länderspiele, überlastet. Auch hier kommt wieder der Begriff Professionalität in den Blick – oder wir, vor allem auch die aktiven Spieler, müssen akzeptieren, dass wir nicht die Spieler haben, die einer Belastung standhalten, die in Nationen, denen wir nacheifern wollen, akzeptiert wird.
Sind wir vorbereitet auf eine mögliche Wiedereinführung von Rugby bei den olympischen Spielen?
Jetzt könnte ich natürlich bösartig fragen: Was haben wir damit zu tun? Gemeint ist natürlich “ist unsere 7er-Mannschaft vorbereitet” – dazu habe ich bereits Einiges gesagt. Es wird im Falle der Wiedereinführung eine Qualifikation geben, die es zu überstehen gilt. Das könnte möglich sein, ist aber sicherlich auch vom Losglück und anderen Unwägbarkeiten abhängig. Sportlich sehe ich das durchaus positiv – in anderen Bereichen, z.B. Chancen, die sich durch mögliche Forderungen an Organisationen und politische Instanzen ergeben, kennen sich andere Menschen besser aus als ich. Hoffentlich haben die ihre Hausaufgaben schon gemacht.
Vielen Dank!
Gerne doch!
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