Wie geht es weiter mit der DRV XV und Cheftrainer Ford? Foto (c) Grzanna
Es war ein rundum gelungener Auftritt, den unsere Nationalmannschaft am gestrigen Abend in Marseille abgab. Noch vor wenigen Monaten wäre ein solches Spiel aufgrund der komplizierten im deutschen Rugby Umstände abseits des Feldes undenkbar gewesen. Die deutsche Mannschaft konnte, obwohl das ganz große Ziel WM als Zweiter beim Repechage-Turnier am Ende knapp verpasst wurde, nunmehr auf dem Feld überzeugen. Umso mehr stellt sich nun die Frage der Zukunft dieses Teams.
Unsere Berichterstattung aus Marseille mit freundlicher Unterstützung von Decathlon
Unter den Jubel mischten sich bereits am gestrigen Abend im deutschen Team nach dem klaren 43:6 Sieg gegen Kenia gleichermaßen Vorfreude auf die bereits in elf Wochen in Brüssel beginnende Rugby-EM, wie Fragen nach der Entwicklung in den kommenden Wochen. Denn nachdem das Repechage-Turnier von Marseille mit dem mehr als nur achtbaren zweiten Platz beendet ist, stehen nunmehr zahlreiche Fragezeichen im Raum.
Gedrängehalb Sean Armstrong drückte es gegenüber TR drastisch aus - zu allererst müsse er eine Arbeit finden, um seine junge Familie zu versorgen, erst dann könne er an die kommende EM denken. Ob dies bei einem deutschen Verein, im Ausland, oder außerhalb des Rugbys sein wird, ist dabei völlig offen. Die Verantwortlichen beim DRV werden indes in den kommenden Wochen ebenso wichtige Weichenstellungen zu tätigen haben, die die Zukunft des Nationalteams und des deutschen Rugbys insgesamt betreffen.
Im TR-Interview gab sich Sean Armstrong offen: Für ihn hat, verständlicherweise, die Versorgung seiner jungen Familie Vorrang
Diese drei Wochenenden im tiefen Süden Frankreichs haben gezeigt, wie weit es das deutsche Team als DRV-Aushängeschild mit seinem jetzigen Personal schaffen kann. Denn bis auf die Entdeckung dieses Herbstes, Hakler Kurt Haupt, der am gestrigen Abend betonte zu 100% auch künftig mit dem Adler auf der Brust aufzulaufen, repräsentierten nur altbekannte Gesichter den DRV in Frankreich. In der momentanen Form dürften auch die EM-Konkurrenten Spanien, Russland und Rumänien Respekt vor der deutschen Mannschaft haben. Dieses Team hat sich über die letzten Wochen einspielen und die eigenen Stärken im Sturmspiel feinjustierten können.
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Jedoch war die wochenlange Vorbereitung mit absolutem Spitzenpersonal in der Mannschaftsbetreuung, angeführt von Ex-Bath- und Toulon-Coach Mike Ford als Nationaltrainer, dessen Zukunft ebenso ungeklärt ist, natürlich auch kein günstiges Unterfangen - und Stand heute mit den dem Verband zur Verfügung stehenden Mitteln sicher so schnell nicht noch einmal zu realisieren. Die Sicherstellung der Finanzierung der DRV-Auswahl wird in den kommenden Wochen ein sehr wichtiges Thema sein - welche Rolle der Weltverband dabei spielen wird, dürfte spannend zu beobachten sein.
Gestern stattete World-Rugby-Präsident Bill Beaumont dem Presseraum des Stade Delort jedenfalls einen Besuch ab und erklärte im Gespräch mit TR: „Deutschland ist eine großartige Sport-Nation und ebenso ein kommerziell lukrativer Markt. Ich habe mit Eurem Präsidenten (DRV-Präsident Stalker) gesprochen und er hat mir von den tollen Einschaltquoten des Siebener-Rugbys in Rio erzählt. Wir haben Deutschland, zusammen mit Brasilien und den USA als Zielmärkte identifiziert. Es wäre schön zu sehen, wenn nicht nur der runde Ball in Deutschland dominiert, sondern mehr und mehr auch der ovale.“
Eine aufgestockte WM 2023 als Chance für den DRV
Eine Erweiterung der WM, die eine Qualifikation des deutschen Teams ungleich einfacher machen würde, konnte Beaumont zumindest noch nicht in Aussicht stellen. Vor gut sechs Wochen hatte World-Rugby-Geschäftsführer Brett Gosper öffentlich bestätigt, dass man beim Weltverband die Aufstockung von 20 auf 24 Teams bereits für 2023 in Betracht ziehe. Beaumont betonte gestern, dass sich Frankreich auf eine 20 Mannschaften umfassende WM beworben habe, man aber genau beobachte, ob sich so etwas nicht realisieren ließe.
Die Infrastruktur dafür ist in jedem Fall in Frankreich vorhanden und angesichts der Tatsache, dass sich World Rugby zu einem Großteil aus den Einnahmen des drittgrößten Sportereignises der Welt finanziert, wird man diesen Schritt sicherlich forcieren wollen. Mehr Spiele bedeuten schließlich mehr Ticket-Einnahmen und Fernsehgelder, die dann schlussendlich wiederum in das Wachstum des Sports reinvestiert werden sollen.
Aus deutscher Sicht wäre ein WM-Teilnahme in Frankreich natürlich ein absoluter Jackpot - wie viel Medieninteresse bei einer erstmaligen WM-Teilnahme bestünde, kann man sich anhand des Hypes rund um das Kanada-Spiels ausmahlen. Die WM 2023 muss zusammen mit der Olympia-Teilnahme der Siebener-Mannschaft die absolute sportliche Priorität des DRV sein.
Momentan klopft Deutschland als nach dem Repechage-Turnier formell beste Mannschaft, die nicht bei der WM vertreten ist, sowie als bestes Siebener-Team, das nicht auf der Sevens World Series spielt, lediglich an die Tür der Weltspitze. Diese beiden Barrieren zu durchbrechen würde das deutsche Rugby endgültig auf der ovalen Weltkarte etablieren.
Arbeit an der Basis muss verbessert werden
Was aber gleichwohl nicht bedeuten darf, dass die Arbeit an der Basis, dem Fundament des deutschen Rugbys, vernachlässigt wird. Denn eine Rugby-World-Cup-Teilnahme wäre kein Allheilmittel, das alle Probleme mit einmal lösen würde. Ein positives Zeichen ist die in dieser Saison viel ausgeglichenere Bundesliga, die den in Deutschland ansässigen Spielern weitaus mehr enge Spiele liefert, die dennoch natürlich immer noch ein gutes Stück von der Härte und Schnelligkeit des internationalen Rugby-Parketts entfernt ist. Eventuell muss deshalb auch die Idee der Regionalauswahlen noch einmal in Betracht gezogen werden.
Im Nachwuchsbereich profitiert der DRV gerade von der hervorragenden Arbeit von Frankfurt 1880 und dem Berliner RC, während andere Hochburgen schwächeln und mit Spielgemeinschaften gegen die geballte Nachwuchs-Power der beiden Jugend-Spitzenreiter antreten. Mehr Vereine mit einer derart guten Arbeit im U-Bereich wären für die Entwicklung im Spitzenbereich ein Segen. Auch auf Verbandsseite werden dahingehend weitere Schritte unternommen.
Mit der Anstelllung von Ex-Profi Melvine Smith als Landestrainer Hessen, der dem deutschen Rugby-Publikum als Trainer der Siebener-Damen bekannt ist, gibt es auch dort eine bessere Förderung für Talente und eine Schnittstelle vom Nachwuchs- in den Auswahlbereich. Das ist auch dringend nötig, denn mit der Verschärfung der sogenannten Residency Rule, die es Spielern nach drei Jahren erlaubte für ihre Wahlheimat anzutreten, wird eine Regelung, von die unsere DRV XV bisher profitiert hat, deutlich unattraktiver gemacht.
Die Konkurrenz schläft nämlich nicht: Spanien, das sowieso mehr als drei Mal so viele registrierte Vereinsspieler hat, wie Deutschland, konnte letzte Woche WM-Teilnehmer Namibia daheim deutlich schlagen. Russland zeigte sich an diesem Wochenende gegen WM-Gastgeber Japan wettbewerbsfähig und unterlag nach langer Führung am Ende nur knapp.
So viele Fragen momentan auch unbeantwortet sein mögen, eines ist klar: Die kommenden Wochen jedenfalls werden für die Zukunft des deutschen Rugbys von entscheidender Bedeutung sein.
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