Am Ende bleibt die große Enttäuschung. Es hat nicht gereicht für unsere Jungs. Foto (c) Kessler
Es war am Ende ein deutliches Ergebnis. Lange war die deutsche Mannschaft im Spiel, konnte aber am Ende nicht mit den Kanadiern mithalten und unterlag 10:29. Warum das Ergebnis zu Stand kam und was es für die künftige Entwicklung bedeutet, beantworten wir in unseren drei Thesen.
Unsere Berichterstattung aus Marseille mit freundlicher Unterstützung von Decathlon
Am Ende ist Kanada der verdiente Sieger und fährt höchstwahrscheinlich zur WM
Rein rechnerisch ist Kanada noch nicht durch und so ironisch es auch sein mag, nach dem bisherigen Geschehen in Marseille: Hongkong könnte sich am kommenden Freitag sogar noch das Japan-Ticket sichern, während unsere Jungs raus sind. Das steht am Ende unter dem Strich an einem kühlen November-Abend im Süden Frankreichs.
Achtzig Minuten lang hatte eine deutsche Mannschaft, die als am niedrigsten gesetztes Team in dieses Turnier gegangen war, aufopferungsvoll gegen den achtmaligen WM-Teilnehmer gekämpft. Die Defensiv-Leistung und der schiere Wille, den diese Mannschaft am heutigen Abend an den Tag gelegt hat, waren beispielhaft.
Gerade in der ersten halben Stunde hatte Kanada fast ein Monopol auf den Ball und das Spielgeschehen spielte sich fast ausschließlich in der Hälfte unserer schwarzen Adler ab. Doch Welle um Welle des erfahrenen Kanada-Sturms um den bei den neuseeländischen Chiefs stürmenden Achter Ardron wehrte unsere Defensive ab.
Im Ballbesitz zeigte sich unsere Fünfzehn gerade im ersten Durchgang zu überhastet. Die wenigen Bälle, die unsere XV in den eigenen Reihen hatte, wurden allesamt verloren oder vorschnell abgegeben. Beim Stand von 10:0 für die Canucks hätte man eine verdammt einseitige Partie beführchten können.
Erst nachdem Kanada das erste Mal erfolgreich ins deutsche Malfeld eingetaucht war, wurde die deutsche Mannschaft im Ballbesitz abgeklärter und setzte vermehrt eigene Akzente. Eine Gasse in der Canucks 22 und mehrere Phasen später war Deutschland mit Dash Barber auf einmal im Malfeld. Gefühlt aus dem Nichts betrug der Abstand nunmehr nur noch drei Zähler.
In Durchgang zwei war die deutsche Mannschaft zumindest zwanzig Minuten lang besser im Spiel und konnte einen offenen Schlagabtausch aus der Partie machen. Nur gelang es der deutschen Mannschaft am Ende nicht Kanada über längerer Phasen unter Druck zu setzen. Bis zur 60. Minuten war die deutsche Mannschaft in Reichweite - aber als Ayron Schramm den Ball nur zwei Meter vor der Kanada-Linie und dem möglichen Ausgleich verlor, sollte das die letzte große Chance an diesem Abend sein. In der Schlussphase war Kanada eine Nummer zu stark.
Insgesamt konnte die deutsche Mannschaft ihre Stärken im Sturmspiel nie richtig zur Entfaltung bringen. In der Gasse gab es erneut einige Abstimmungsprobleme und die Ankicks waren im gesamten Spielverlauf ein Problem. Unsere Sturmphasen brachten zwar meist Meter, doch zu selten kamen wir dabei in einen richtigen Rhythmus rein. Immer wieder konnten die Kanadier den Ball klauen, oder es passierten Fehler.
Bei gegnerischem wie eigenem Ankick gelang es nicht den Ball unter Kontrolle zu bringen und direkt zum Auftakt des zweiten Durchgangs kostet uns das einen Versuch. Zwar konnte Kanada in den weiten Kanälen durchaus ab und an Meter machen, doch Superstar DTH van der Merwe wurde von unserer Defensive weitestgehend kaltgestellt.
Problematischer war, dass wir im gesamten Spielverlauf zu viele Straftritte kassierten. Referee Luke Pierce war gerade mit dem deutschen Gedränge nicht zufrieden - selbst als Julius Nostadt seinen Gegenüber Tierney derart dominierte, dass dieser sprichwörtlich in der Luft hing, kassierten unsere XV den Straftritt.
Für die Canucks war bereits der Umweg Marseille Richtung Japan ein Ausrutscher und künftig werden die Kanadier, die ab der kommenden Saison ein Profi-Team in der US-Profiliga MLR stellen, sicherlich wieder auf dem aufsteigenden Ast zu sein. Hier und heute wäre eine Sensation drin gewesen, aber schlussendlich sollte es nicht sein und mit Kanada fährt ein verdienter Sieger aller Wahrscheinlichkeit nach Japan.
In den entscheidenden Momenten fehlte der DRV XV die Erfahrung
Mehrmals brachte sich die deutsche Mannschaft im Spielverlauf selbst in die Bredouille. Im Team wollte dies niemand auf Nervosität schieben. Es war schlussendlich wohl eher die Erfahrung, die den Kanadiern in den entscheidenden Momenten hat den kühlen Kopf bewahren lassen.
So passierten der deutschen Mannschaft zwei Mal nach langem Ankick einfache Fehler in der Verteidigung. Einmal saß das Tackle zu hoch und beim zweiten Mal kam der Hit von Marcell Coetzee zu früh - das Resultat jeweils: Kanada konnte sich zu einfach befreien und konnte das Spiel wieder in die deutsche Hälfte verlagern.
Als die deutsche Mannschaft mit nur einem Versuch beim Stand von 10:17 im zweiten Durchgang zur Offensive gezwungen war, wählte man mehrmals das falsche Mittel oder suchte die zu schnelle Entscheidung. Gleich zwei Mal landeten riskante Überpässe von Jamie Murphy und Hagen Schulte im Aus. Einmal versuchte Innen Cameron Dow den Ball am Leben zu halten und beförderte den Ball direkt in die Arme eines Kanadiers.
Einmal ließ sich Julius Nostadt von einem Kanadier, der die schnelle Gasse versuchte zu verhindern provozieren, schubste diesen und kassierte einen etwa übertriebenen Straftritt. Statt Gasse an der 22 Kanadas waren die Canucks plötzlich wieder in der deutschen Hälfte.
Der kühle Kopf, um in diesen Situationen mehr daraus zu machen, fehlte der deutschen XV heute. Kanada hat ungleich mehr Matches auf diesem hohen Niveau absolviert und traf die besseren Entscheidungen.
Die Perspektive ist besser denn je
Es hat etwas von tragischen Ironie: Bereits in Hongkong im April scheiterte die deutsche Mannschaft im Finale hauchdünn - als beste Mannschaft, die nicht auf der World Series vertreten ist, kratzen wir in der olympischen Variante ganz knapp an der absoluten Weltspitze. Das gleiche Schicksal hat nun auch unser Fünfzehner-Team erwischt. Mit einem Sieg gegen Kenia würden wir das Turnier höchstwahrscheinlich als Zweiter abschließen und wären damit inoffiziell die beste nicht bei der WM vertretene Mannschaft.
Unabhängig davon, ob das Teilnehmerfeld der WM 2023 auf 24 Teams erhöht wird, diese Mannschaft hat das Potenzial es dorthin zu schaffen. Das muss auch das Ziel sein, wie Schluss Chris Hilsenbeck betonte. DRV-Finanzvorstand Jürgen Zeiger wies heute im TR-Interview auf die Situation des deutschen Rugbys vor zehn Jahren hin. Seitdem ist viel geschehen, doch während man früher in Moldawien auswärts in der drittklassigen Rugby Europe Trophy ranmusste und unterlag, stand man heute knapp vor der Qualifikation für eine WM.
Die Entwicklung dieser Mannschaft ist trotz aller Rückschlage beeindruckend. Und zahlreiche Schlüsselspieler werden zur nächsten WM im besten Rugby-Alter sein. Eric Marks hat heute eine beeindruckenden Partie absolviert, einen großartigen Turnover an der eigenen Linie geholt und defensiv wie offensiv geackert. Unsere DRV-XV-Props haben gegen Hongkong und zumindest zeitweise gegen Kanada unter Beweis gestellt, dass sie auf diesem Niveau nicht nur mithalten, sondern zum Teil dominieren können.
Mit Hagen Schulte und Chris Hilsenbeck als Verbinder, sowie Tim Menzel als Gedrängehalb ist auch auf den Kreativ-Positionen mehr als genug Potenzial da. Die Außenpositionen sind mit Carlos Soteras Merz, Marcel Coetzee, aber beispielsweise auch Tim Biniak und Steffen Liebig perspektivisch gut besetzt. Auch die Dritte-Reihe-Stürmer Schramm, Ferreira und Els haben noch einige Jahre im DRV-Trikot vor sich. Das Gerüst dieser Mannschaft steht, es geht darum sie weiter zu entwickeln - die Konkurrenz in Spanien, Rumänien und auch Belgien steht nicht still.
Dazu werden in den kommenden Wochen viele Weichen gestellt werden. Allen voran beispielsweise in der Trainerfrage, denn in nur drei Monaten steht die Rugby Europe Championship vor der Tür. Überraschend offen äußerte sich Mike Ford heute dazu und bejahte die Frage, ob er Trainer dieser Mannschaft bleiben wolle. Auch sonst wird man sich im DRV in den kommenden Wochen viele Fragen stellen müssen, um Frankreich 2023 zum realistischen Ziel werden zu lassen.
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