Max Calitz trägt den Ball gegen Irland in den Kontakt: Ist den Iren mit schierer physischer Stärke beizukommen? Foto (c) Perlich
Die Geschehnisse vom Sonntag sind so langsam verdaut, die deutsche Mannschaft befindet sich seit gestern Abend wieder im Land und die Siebener-Saison ist erst einmal vorbei. Zeit das Geschehen vom Wochenende nüchtern zu analysieren und einen Blick in die Zukunft zu werden. Unsere drei Thesen zum letzten EM-Turnier in Lodz.
1. Die Nominierung des Trainerteams war riskant, der Erfolg aber gibt ihnen Recht
Selbst für langjährige Beobachter der DRV VII und einige involvierte Spieler kam die Nominierung des deutschen Kaders für das letzte und entscheidende EM-Turnier in Polen wie ein Schock: Einige verdiente Veteranen des Teams hatten überraschend keine Einladung bekommen, während gleich drei Debütanten im Kader waren. Nach dem schlechten Abschneiden in Exeter ging das Trainerteam Zangqa / v. Grumbkow damit ein kalkuliertes Risiko ein.
Als sich dann noch direkt in der ersten Halbzeit des Auftaktspiels Kapitän Sam Rainger an der Schulter verletzte waren plötzlich nur noch acht gestandene und EM-erfahrene Spieler im DRV-Kader. Die Gruppenphase wurde dann aus deutscher Sicht zu wackligen Angelegenheit und nach Tag eins schien die Hongkong-Quali tatsächlich eine Weile lang in Gefahr. „Wir haben uns richtig schwer getan und vor allem in den ersten Halbzeiten schlecht gespielt“ wie es Co-Trainer von Grumbkow im Gespräch mit TR zusammenfasste.
Dabei zeigten auch alle drei Debütanten im Turnierverlauf Schwächen: Onisimo Nayato Seremaia (genannt Simo) ließ gleich zum Auftakt zwei mögliche Versuche fallen und stand dabei jeweils offensiv nicht optimal, um beispielsweise im vollen Lauf angespielt zu werden und rückte defensiv mehrmals überhastet zu schnell heraus. Ben Ellermann ließ ebenso einige scheinbar einfache Bälle fällen und Morne Laubscher leistete sich im Viertelfinale gegen Spanien gleich zwei Vorwürfe, die dem deutschen Team am Ende hätten teuer zu stehen kommen können.
Ob die deutsche Auswahl mit einem konventionelleren Kader und mehr Routiniers an Bord souveräner durch die Gruppe gekommen wäre, ist schlussendlich eine hypothetische und damit müßige Frage. Denn am Ende steht mit dem dritten Finaleinzug und dem zweiten EM-Gesamtplatz ein historischer Erfolg, die gesteckten Saisonziele wurden allesamt erreicht und das alleine zählt am Ende. Dazu konnte Nationaltrainer Zangqa gleich drei neuen Spielern zu wichtiger EM-Erfahrung verhelfen.
Alle drei konnten in Lodz auch unter Beweis stellen, warum sie es in den Kader geschafft haben. Simo Seremaia verlor im Verlauf des Turniers die anfängliche Nervosität und zeigte sich in den Offenen gefährlich, bewies, dass er eine Gasse-Option ist und hätte per Offload gegen Portugal fast den Versuch des Turniers vorbereitet. Ben Ellermann kann mit seiner extrem physischen Spielweise zu einer Waffe werden - Irlands Supersprinter Conroy, der beim World-Series-Turnier in London Carlin Isles und Dan Norton stehen ließ, kann davon ein Lied singen: Ellermann lief ihn einfach über den Haufen.
Morne Laubscher wiederum reagierte gegen Russland als Halb am schnellsten, als ein Gedränge kurz vor der Linie chaotisch endete und der Ball unkontrolliert rausschoss - der Kölner reagierte blitzschnell und konnte trotz des Würgegriffs von Russlands Ostroushko zum Versuch ablegen. Dazu kann er als quirliger Antreiber und Spielmacher sicherlich eine Bereicherung für das Team und Option für Coach Zangqa werden.
2. Irland ist momentan allen EM-Teams voraus, das ist aber erstmal nur eine Momentaufnahme
Robert Haase zeigte sich nach dem Abpfiff des Finales im TR-Interview gnadenlos ehrlich - Irland sei kein zweites Spanien, also kein Angstgegner, der trotz ähnlichem Leistungsniveau immer wieder knapp die Nase vorne habe, sondern momentan schlicht eine Klasse besser. Der letzte Sieg der deutschen Mannschaft über Irland datiert aus dem Mai 2017 in Moskau. Seitdem setzte es abwechselnd knappe Niederlagen (wie in Moskau dieses Jahr), oder richtiggehende Klatschen, wie in den Finalspielen von Marcoussis und Lodz.
Dabei schienen die Iren noch in Hongkong selbst verwundbar und zeigten Nerven: Ihren ersten richtigen Härtetest, das Halbfinale gegen Japan, bestanden die Boys in Green nicht. Einfache Fehler, vergeudete Chancen und am Ende Defensiv-Schwächen gegen den späteren Gewinner kamen den Iren teuer zu stehen. Doch seitdem hat die irische Mannschaft ihr Spiel auf ein neues Niveau gehievt: Bei den World-Series-Turnieren von London und Paris zeigten die als Gastmannschaft angetretenen Iren ein für ein nicht-Kernteam unerhörte Leistungen.
Während der gesamten Grand Prix Series waren die Iren eine Klasse besser, als der Rest des Feldes. Das Tempo mit dem die Iren ihr Spiel aufziehen ist atemberaubend - dazu die unglaublich Präzision bei den Ankicks und damit schafft es Irland fast jedem Spiel seinen Stempel auszudrücken. Nur zwei Mal wackelte das sonst so solide Gerüst der Iren - gegen eine englische Mannschaft mit allen Superstars in daheim Exeter hatte die Iren an dem Tag keine Antwort parat. In Marcoussis dagegen war es gegen Portugal im ersten Spiel an Tag zwei eine Einstellungssache. Die Iberer hatten die Iren im Viertelfinale am Rande einer Niederlage, erst mit der letzten Aktion konnte der spätere Sieger Irland triumphieren.
Die deutsche Mannschaft wird Irland, um den Traum von der World Series im vierten Anlauf in Hongkong zu realisieren, nur einmal schlagen müssen. Und so sehr sich alle Spieler nach dem Finale darüber im Klaren waren, dass Irland im Moment eine Klasse besser ist, war der Tenor im Team gleichwohl klar: Wir werden in den nächsten sieben Monaten hart arbeiten und sie am Ende schlagen.
Das Rezept dafür muss in den kommenden sieben Monaten noch erarbeitet werden, aber vielleicht wird es am Ende schlicht um brutale Power gehen. Clemens von Grumbkow zumindest sah im zweiten Finaldurchgang „was wir gegen die Iren machen können“ und meinte damit die kraftvollen Runs von Ellermann und Calitz.
Irlands Speedster Conroy und Kennedy jedenfalls haben sicherlich andere Vorlieben, als Calitz, Buckman oder Ellermann in voller Geschwindigkeit mit Ball auf sie zurennen zu sehen. Und mit einem anderen Schiedsrichter, als dem im Lodz-Finale, kann John Dawe eventuell auch deutlich effektiver in den Rucks sein. Ihm wurden vom russischen Unparteiischen nämlich gleich zwei dem Anschein nach legale Turnover abgepfiffen.
3. Die Perspektive dieser Mannschaft bleibt großartig - 2019 wird ein Schicksalsjahr für die DRV VII
Als die erste Enttäuschung über die Finalniederlage vorbei war, wurde DRV-VII-Wirbelwind Bastian Himmer nostalgisch. Er erinnerte sich an den weiten Weg, den er mit dieser Mannschaft vom Aufstieg in die höchste Spielklasse GPS, über den mehrmals nur knapp geschafften Klassenerhalt, bis hin zum jetzigen zweiten Platz in der Grand Prix Series zurückgelegt hat. Die Entwicklung jedenfalls stimmt und die Leistungskurve zeigt seit Jahren, wenn auch mit vereinzelten Ausschlägen nach unten, stetig aufwärts. Der Kader der DRV VII und damit die Alternativen, die das Trainerteam zur Verfügung hat, wird immer breiter.
Der Flaschenhals Hongkong bleibt für die DRV VII weiterhin ein Problem, aber auch im kommenden Jahr wird das deutsche Team als Mitfavorit im spektakulären Hong Kong Stadium auflaufen. Russland, Chile, sowie natürlich die Iren dürften die härtesten Konkurrenten um den Titel und damit den Aufstieg unter die 16 besten Teams der Welt sein. Gerüchte über eine Änderung des Aufstiegs-Modus, mit künftig zwei Auf- und Absteigern aus der und in die World Series halten sich hartnäckig, dürften aber frühestens übernächstes Jahr ein Thema werden.
Aber 2019 ist aus einem weiteren Grund ein entscheidendes Jahr: Die Qualifikation für die olympischen Spiele in Tokio 2020 steht an. Der genaue Modus ist noch immer nicht bekannt, aber sollte dieser ähnlich dem im Jahr 2015/2016 sein, wäre die deutsche Mannschaft alles andere als chancenlos. Damals trennten die deutsche Mannschaft nur drei Halbzeiten beim Turnier in Monaco von der Sensation. Mit Spanien sicherte sich schließlich eine Mannschaft mit ähnlichem Leistungsniveau das Ticket nach Rio. Das Siebener-Debüt bei Olympia verfolgten schließlich Millionen Deutsche an den Schirmen daheim - was für einen Schub eine deutsche Teilnahme bedeuten könnte, kann sich jeder ausmalen.
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