Der vermeintliche Klassenerhalt: Leipzig setzte sich am letzten Spieltag gegen den RK 03 durch. Foto (c) Kirschner
Chaos in der Rugby-Bundesliga: Mehr als vier Wochen nach dem Ende der Saison sorgt ein Sportgerichtsurteil für Ungewissheit und zwar mitten in der Sommerpause. Eine noch nicht rechtskräftiges Entscheidung wertet das letzte reguläre Saisonspiel der Berliner Grizzlies gegen Germania List für den damaligen Gastgeber. Die Berliner hatten eigentlich mit 17:50 verloren, und wären damit in der Relegation gelandet. Nun umgehen sie aber durch das Urteil wahrscheinlich die Relegation und halten direkt die Klasse. Die Grundlage ist eine komplizierte Regelung um Schutzsperren von Nationalspielern und im konkreten Fall der Einsatz von Siebener-Nationalspieler Niklas Koch, dessen Schutzsperre je nach Regelinterpretation 22 Stunden vor, oder eine Stunde nach dem Abpfiff des besagten Spiels endete.
Der Rugby-Club Leipzig befand sich eigentlich seit über vier Wochen in der Gewissheit, mit dem überragenden Sieg über den RK 03 Berlin Anfang Mai den direkten Klassenerhalt gesichert zu haben, mitten in der Sommerpause. Doch diese Ruhe endete am Sonntag abrupt mit der Benachrichtigung über die Vorgänge am grünen Tisch - was war geschehen? Die Berliner Grizzlies hatten beim Sportgericht laut Aussage von Team-Manager Moritz Koburg „bereits vor Wochen und definitiv fristgerecht“ Beschwerde gegen die Wertung ihres letzten Saisonspiels gegen Germania List eingelegt. Der Grund hierfür: Mit Niklas Koch war seitens der Hannoveraner ein Spieler eingesetzt worden, dessen 72-Stunden-Schutzsperre nach Grizzlies-Auslegung des § 14 der DRV-Spielordnung erst eine Stunde nach Abpfiff der Partie abgelaufen war. Das DRV-Schiedsgerichts unter Leitung von Mahmud Marachi folgte der Argumentation der Berliner und wertete die Partie 50:0 für die Grizzlies.
Germania-Gedrängehalb Koch hatte beim Vorbereitungslehrgang der DRV VII zu den Moskau und Stanislas 7s in Heidelberg teilgenommen, der offiziell am Mittwoch dem 9. Mai um 17 Uhr und damit lediglich 69 Stunden vor dem besagten Bundesliga-Spiel endete. Koch war jedoch bereits am Tag vorher aus der Neckarstadt abgereist, da er einen Polizei-Eignungstest in Hannover zu absolvieren hatte. Deshalb war man bei der Germania davon ausgegangen, dass Koch eingesetzt werden dürfe und verzichtete auf die Beantragung der üblichen Ausnahmegenehmigung bei DRV-Leistungssportreferent Michael Tuttor.
SC-Germania-Kapitän Stefan Mau bestätigt nun gegenüber TR, dass man bei der SCG gegen diese Entscheidung vorgehen wolle, da die Regelung „schwammig“ sei und man auch für künftige Fälle Klarheit wolle. Zumal die Grizzlies laut Aussage von Germania-Offiziellen im fraglichen Spiel einen Spieler eingesetzt hätten, der erst seit März bei den Grizzlies sei und gar nicht hätte auflaufen dürfen. Besagter Spieler hätte selbst nach dem Abpfiff gegenüber mehreren Germania-Spielern bestätigt, so SCG-Kapitän Stefan Mau, dass das letzte Saisonspiel sein Grizzlies-Debüt gewesen sei. Berlins Team-Manager Koburg erklärte mit Blick auf diese Anschuldigung gegenüber TR: "Dieser Spieler hatte lediglich nach langer Verletzungspause sein Comeback für uns gegeben."
Die Grizzlies wiederum, so betont es Team-Manager Koburg im Gespräch mit TotalRugby, seien eigentlich kein Freund von Urteilen am grünen Tisch. Weiterhin schildert Koburg, dass er durch Zufall von einer Beschwerde der SG Odin/Döhren mitbekommen habe und damit den Klassenverbleib seiner Grizzlies in Gefahr gesehen habe. Odin/Döhren hatte die Saison direkt hinter den Grizzlies abgeschlossen und war direkt abgestiegen. Nur deshalb habe er diesen Schritt überhaupt gewagt und das auch nur widerwillig: „Scheinbar war es ja tatsächlich regelwidrig, was da passiert ist.“ Bisher sei man bei solchen Angelegenheiten immer der Gebeutelte gewesen. Beispielsweise im direkten Duell mit dem RC Leipzig, das gegen die Grizzlies gewertet wurde, da diese keine zehn für Deutschland spielberechtigten Spieler hatten vorweisen können. Koburg betonte hierbei noch Mal, dass man sich damals auf die Aussage eines DRV-Offiziellen verlassen hatte, der die Regelkonformität des Kaders bestätigt habe. Gleichwohl, so der Grizzlies Manager abschließend, freue er sich für seine Jungs, da diese nun aller Voraussicht nach nicht in die Relegation müssen.
Leidtragender ist nun allerdings der Rugby-Club Leipzig, der von den Entwicklungen absolut überrascht wurde. Erst letzten Donnerstag sei man überhaupt darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass ein Protest der Grizzlies vorläge und am Sonntag habe man schließlich das Urteil erhalten. RCL-Teammanager Sven Paukstat gegenüber TotalRugby: „Es ist glaube ich nicht verwunderlich, dass wir von dem Urteil sehr überrascht sind und auch inhaltlich wirft es ein paar Fragen auf. Die versuchen wir zu verstehen.“ Zurzeit diskutiere man, ob ein Einspruch erfolgversprechend sei und ob man als indirekt betroffene Partei dazu überhaupt berechtigt sei. Mit Blick auf das für den 7. Juli terminierte Relegationsspiel gegen Victoria Linden ergänzt Paukstat: „Wir versuchen jetzt eine Mannschaft zusammen zu bekommen, aber da wir erst drei Wochen nach Einspruchsfrist und damit dreieinhalb Wochen nach dem letzten Spieltag davon erfahren haben, wird das sehr schwer.“
Für alle beteiligten Vereine sicherlich keine einfache Situation - Germania List wäre so oder so auf dem zweiten Rang gelandet. Doch für Leipzig und die Grizzlies geht es schließlich um die Saisonplanung - sicher nicht wenige Spieler der Sachsen werden für den in den Sommerferien gelegenen Termin andere Pläne haben. Victoria Linden wiederum kann sich in der Zwischenzeit nicht auf einen Gegner für das Entscheidungsspiel um den Aufstieg einstellen.
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