Bei hochsommerlichen Temperaturen und gegen einen mit rumänischen Nationalspielern gespickten Saracens-Sturm wird der HRK-Sturm um Jaco Otto harte 80 Minuten vor sich haben. Foto (c) Keßler
Es ist der allerletzte Schritt, den der deutsche Meister am Samstag ab 15 Uhr am Harbigweg machen muss. In seiner mittlerweile dritten Teilnahme am European Rugby Continental Shield, dem Europacup der aufstrebenden Rugby-Nationen, könnte mit einem Sieg endlich der Sprung ins Konzert der Großen gelingen. Die einfache Gleichung lautet: Sollte der Klub vor heimischer Kulisse mit einem verwandelten Versuch oder mehr gegen die Timisoara Saracens gewinnen, spielt der HRK im kommenden Jahr im Challenge Cup. Dieser ist in etwa vergleichbar mit der Europa League im Fußball - statt Harbigweg, Martinsee und Feldgerichtsstraße hießen die Klub-Ziele dann beispielsweise Twickenham Stoop, Stade Chaban-Delmas oder Kingsholm. Dann wäre auch die gestrige Niederlage in der Bundesliga mit einem B-Team gegen Pforzheim schnell vergessen.
Erst die späte Aufholjagd des Klubs in Timisoara am Osterwochenende, der mit einem Versuch von Marcel Coetzee, sowie der erfolgreichen Erhöhung und einem Penalty von Raynor Parkinson in den Schlusssekunden überhaupt erst in Reichweite kam, ermöglicht es dem deutschen Meister nun diesen Schritt gehen zu können. Hätte der zwischenzeitliche 21-Punkte-Rückstand zum Abpfiff Bestand gehabt, würde nun wohl niemand auch nur einen Cent auf die Chancen des HRKs setzen - allein in den 120 letzten Sekunden schrumpfte das 16-Zähler-Defizit auf sechs Punkte. Nach nunmehr drei Siegen gegen den italienischen Meister Calvisano, je einem weiteren gegen Petrarca und Lissabon sowie der einzigen Niederlage im Wettbewerb auswärts bei Georgiens Vizemeister Batumi wird sich am Samstag im achten Spiel im laufenden Wettbewerb entscheiden, ob der HRK seinen größten internationalen Erfolg in fast 150 Jahren als Verein schaffen wird.
Kobus Potgieter, der den Klub im Europapokal in dieser Saison betreut sieht „80 knüppelharte Minuten“ auf seine Jungs zukommen in denen sie sich „keine Fehler erlauben dürfen“. Über weite Teile des Hinspiels hinweg hatten die Rumänen - die bisher ebenso wie der HRK lediglich in der georgischen Hafenstadt Batumi die Segel streichen mussten - mit ihrem dominanten Sturmspiel die Kontaktsitutationen dominiert und schienen lange der klare Sieger zu sein. Genau in jenen Kontaktsituationen gilt es am Samstag nun mit selbstloser Verteidigungsarbeit und einem mannschaftlich geschlossenen Defensiv-Verbund gegenzuhalten.
Ein absoluter Lichtblick während der knappen Hinspielniederlage war HRK-Neuzugang Siegfried Fisi’ihoi - der tongaische Nationalspieler mit Super-Rugby-Erfahrung bei Neuseelands Top-Team Chiefs war vor drei Wochen nach seiner Einwechslung nicht nur der beste Klubspieler, sonder der beste Mann auf dem Feld. Im Gedränge konnte der 130-kg-Mann ebenso wie im offenen Spiel ein ums andere Mal dominieren. Dazu ging der erste Klub-Versuch nach einem kraftvollen Lauf auf sein Konto. Auch am Samstag wird der Erste-Reihe-Stürmer, der zuletzt bei Stade Français unter Vertrag stand, wieder eine ähnliche dominante Leistung abrufen müssen, damit der Klub sich den Traum von Europas großer Rugby-Bühne erfüllen kann.
Im achten Spiel der laufenden Europapokalsaison muss der sechste Sieg her, damit der Traum Challenge Cup Realität wird
Neben der Sturm-Neuverpflichtung Fisi’ihoi werden am Samstag wohl erstmals auch zwei weitere Neulinge im Klub-Dress zum Einsatz kommen. Die Südafrikaner Vian Riekert und Marcel Human sind beide vielseitig auf der Dreiviertelreihe einsetzbar - beide hatten zuletzt für die Tuks genannte Mannschaft der Universität von Pretoria gespielt. In den weißen Trikots mit roten Streifen dieser Uni liefen in den letzten Jahren auch schon Spieler wie Springboks-Verbinder Handre Pollard, oder auch DRV-VII-Leistungsträger Max Calitz auf. Wie Klub-Coach Potgieter kommen sie aus dem Dunstkreis des Super-Rugby-Teams Bulls in Pretoria.
Coach Kobus Potgieter selbst will den physisch starken Rumänen am Samstag bei perfekten Bedingungen mit gleichen Waffen begegnen: „Wir erwarten wieder ein sehr physisches Spiel der Rumänen, dem wir vor allem in der ersten Spielhälfte den Zahn ziehen müssen.“ Aber auch spielerisch wird auf dem schnellen Untergrund am Harbigweg vom HRK viel Druck kommen müssen. Den Gegner humorlos physisch überwältigen, wie es der Klub bei vielen Bundesliga-Konkurrenten machen kann, wird gegen die Rumänen kein Erfolgsrezept sein können. Dazu haben die Rumänen zu viele erfahrene Akteure der Nationalmannschaft, einige davon mit WM-Erfahrung, in den eigenen Reihen.
Während Potgieter auf die im Europapokal bisher im Klub-Dress spielenden Wynston Cameron-Dow und Nikolai Klewinghaus verzichten wird müssen, die gleichzeitig für ihre Heimatvereine Frankfurt und Neuenheim im Einsatz sein werden, kehrt mit Hagen Schulte der Dreh- und Angelpunkt des Klub-Spiels auf der Dreiviertelreihe zurück. Im Hinspiel vor drei Wochen hatte der Deutsch-Neuseeländische Verbinder eine Gehirnerschütterung erlitten und musste seitdem pausieren. Seine Aufgabe wird es sein das Klub-Spiel anzukurbeln und im Verbund mit Parkinson und Coetzee taktisch clever zu kicken. Gerade angesichts der Stärke der Rumänen im Sturm wird man beim Klub nicht sonderlich viel in der eigenen Gefahrenzone herumexperimentieren wollen.
Die Rumänen, die heute bei sommerlichen Temperaturen in Frankfurt gelandet sind, werden leicht favorisiert in Heidelberg antreten, wo sie zuletzt an gleicher Stelle vor zwei Jahren in der Gruppenphase des Shields gewinnen konnten. Doch mit einer Niederlage gegen Bukarest am vergangenen Wochenende im Gepäck wird dem amtierenden rumänischen Meister, der momentan nur auf dem vierten Rang der rumänischen Liga rangiert, keine Aura der Unschlagbarkeit anheften.
Die Ruhe vor dem Sturm - heute spielten die Klub-Spieler noch entspannt Minigolf, Samstag wird es vorbei sein mit der Ruhe
Als Trainer-Berater haben sich die Rumänen eigens für den Europapokal Chester Williams geangelt. Der südafrikanische Weltmeister von 1995 nimmt damit bei den rumänischen Saracens eine ähnliche Rolle ein, wie Mouritz Botha beim HRK. Der südafrikanisch-stämmige ehemalige englische Nationalspieler hat den Klub in den vergangenen Wochen beraten, damit dieser am Samstag gegen die vermeintliche rumänische Sturm-Übermacht bestehen kann.
Bei sicherlich kraftraubenden warmen Bedingungen wird die Fitness der Klub-Spieler sicherlich eine große Rolle spielen. Doch mit den intensiven letzten Wochen der Vorbereitung dürfte es daran nicht scheitern. Nennenswerte Ausfälle hat man beim Klub ebensowenig zu beklagen. Eine Rekord-Kulisse am Harbigweg dürfte ihr Übriges zur Motivation der Spieler des Meisters beitragen. Nach einer entspannten Runde Minigolf unter den Spielern am heutigen Nachmittag sind es keine 48 Stunden mehr, bis feststeht ob Jaco Otto und Co. in der kommenden Saison im Challenge Cup antreten dürfen.
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