Die erste deutsche Sturmreihe hatte heute einen schweren Arbeitstag gegen die Frankreich-Profis der Belgier. Foto (c) Keßler
Aus deutscher Sicht war es ein Tag zum Vergessen. Die herbe 69:15 Niederlage im so wichtigen Spiel gegen den Vorletzten Belgien war selbst in dieser Deutlichkeit nicht zu erwarten. Wir haben mit den Beteiligten gesprochen und analysieren das Geschehen aus der belgischen Hauptstadt.
Es war ein dunkler Tag für das deutsche Rugby - nun heißt es Relegation
Nachdem die deutsche Nationalmannschaft noch im Vorjahr einen knappen 34:29 Sieg in Offenbach über die Belgier einfahren konnte, setzte es nun eine herbe Niederlage in Brüssel. Das 69:15 war sportlich gesehen eine Demonstration der Belgier, die der deutschen Fünfzehn heute in allen Belangen überlegen waren. Mit Blick auf den Klassenerhalt bedeutet die krachende Niederlage, dass man den Weg über die Relegation gehen müssen wird, um in der höchsten europäischen Spielklasse zu verbleiben. Gegner wird aller Voraussicht nach Portugal im April sein.
Die erste halbe Stunde dieser Partie war aus deutscher Sicht katastrophal - viel zu früh hingen die Köpfe der deutschen Spieler in diesem entscheidenden Spiel. Belgien dagegen hatte dieses Spiel schon lange im Blick und mit entsprechend viel Enthusiasmus und Aggressivität verhielten sich Belgiens fünfzehn auf dem Feld. Selbst als das Spiel schon lange gewonnen schien waren Belgiens Spieler noch in jeder Aktion aggressiv, was den deutschen Jungs über weite Teile abhanden ging.
Schon mit dem ersten Versuch nach nur wenigen gespielten Minuten, der nach einem Boxkick und einem Turnover im Ruck von den Belgiern geradezu erzwungen wurde, verletzte sich zu allem Überfluss Robin Plümpe am Knie. Belgiens mit französischer Erstliga-Erfahrung ausgestatteter Gedrängehalb Julien Berger, der noch im Vorjahr in Offenbach noch in der Anfangsphase verletzt vom Feld musste, spielte mit der deutschen Defensive Katz und Maus - gleich vier Mal brach er nach dem gleichen Muster durch: Kurzer angetäuschter Pass und dann der Sprint an der deutschen Defensive vorbei.
Es war insgesamt eine Halbzeit zum Vergessen, in der nichts zusammenlief für das deutsche Team und Belgien ganze sieben Versuche erzielen konnte. Die Standards saßen nicht, in der Defensive verpasste das deutsche Team viel zu viele Tackles und selbst wenn unsere Jungs die anrauschenden Belgier zu Boden bringen konnten, geschah dies erst mehrere Meter hinter der Vorteilslinie. Selbst konnte das deutsche Team im ersten Durchgang nicht ein einziges Mal mehrere Phasen aneinander reihen.
In Durchgang zwei konnten zwar die Defensiv-Lücken nicht annähernd gestopft werden, dafür gingen die fünfzehn Spieler mit dem Adler auf der Brust deutlich engagierter zu Werke. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass mit der nunmehr sicheren Niederlage gewissermaßen der Erwartungsdruck abgefallen sei. Mehrere krachende Runs und nun schaffte es die deutsche Mannschaft sogar ab und an Belgien in der Defensive unter Druck zu setzen.
Richtig gefährlich wurde es aber nur, wenn das deutsche Spiel schnell und unberechenbar wurde. So geschehen beim ersten der beiden Versuche, als der deutsche Angriff schnell auf die kurze Seite verlagert wurde. Dort wanderte der Ball auf den jungen Frankfurter Zweite-Reihe-Stürmer Jens Listmann, der an der Eckfahne ablegen konnte. Doch die vielversprechenden deutschen Angriffe konnte man an einer Hand abzählen und die beiden Versuche blieben schlussendlich Ergebniskosmetik.
Die Mannschaft muss die Konflikte ausbaden
Nach dem Abpfiff sah man überall Frustration und hängende Köpfe. Viele Spieler gingen selbst hart mit sich ins Gericht und Coach Pablo Lemoine konstatierte gegenüber TotalRugby: „Wir machen keine Fortschritte, im Gegenteil“. Dennoch dürfe man den Spielern nicht die Schuld in die Schuhe schieben: „Ich will keine Ausreden liefern, ich übernehme die Verantwortung für das, was heute auf dem Feld passiert ist - ich bin zu 100% verantwortlich.“
Natürlich hätte sich jeder deutsche Rugby-Fan einen aufopferungsvollen Kampf, wie über weite Teile des Georgien-Spiels, erhofft. Doch der heutige deutsche Kader hatte nur minimale Vorbereitungszeit auf diese Rugby Europe Championship. Nach dem Chile-Debakel, bei dem der Verband plötzlich ohne Spieler und Trainer dastand, musste erst ein Coaching-Team gefunden werden. Dieses konnte seine Arbeit erst kurz vor der Rugby Europe Championship aufnehmen.
Ein Großteil der deutschen Mannschaft hatte zwischen Oktober und dem EM-Vorbereitungsstart eine Woche vor dem Turnier kein einziges Spiel absolviert. Die belgische Liga hingegen spielt, trotz der sehr vergleichbaren klimatischen Bedingungen, den Winter über durch. Nun müssen die deutschen Jungs fünf verdammt schwere Spiele in Folge absolvieren. Sicherlich ist die Tatsache, dass sie derartige Belastungen nicht gewohnt sind und nur eine extrem kurze Vorbereitung hatten eine mögliche Erklärung für den Leistungsabfall im vergleich zum Georgien-Spiel.
Statt also auf denjenigen Spielern, die heute ohne adäquate Vorbereitung wiederholt die Knochen hingehalten haben, in den Social-Media-Kommentarspalten herumzuhacken, wäre es eher angebracht den Hut vor ihnen zu ziehen. Diese Jungs repräsentieren das deutsche Rugby und die Bundesliga und man muss sich nichts vormachen: Auch mit dem Sieg über Rumänien im Vorjahr ist das Niveau auf den Plätzen der Republik nicht über Nacht explodiert. An diesen Grundlagen zu arbeiten und zu versuchen die Basis zu verbreitern ist mittel- und langfristig das einzige Erfolgsrezept.
Lemoine fügte nach dem Spiel gegenüber TotalRugby abschließend hinzu, dass ihm einige Dinge im deutschen Rugby nicht einleuchten: In erster Linie die Auseinandersetzung zwischen dem Verband und seinem ehemaligen Hauptsponsor, von der er sicherlich viel zu wenig verstehe. Wieder und wieder betone man im Rugby den Respekt - dem Gegner und den eigenen Mitspielern gegenüber, sowie Werte: „Diejenigen, die heute nicht hier waren, teilen diese Werte scheinbar nicht, sie haben den Respekt meiner Meinung nach vermissen lassen - gegenüber ihren Mitspielern, aber auch gegenüber dem Trikot und dem Land, das ihnen so viel gegeben hat“.
An beide Konfliktparteien gerichtet forderte Lemoine, dass man seine eigenen Ambitionen und Konflikte zurückstecken müsse, der gemeinsamen Sache zu liebe. Mit Blick auf die Diskussionen beim Weltverband die WM auf 24 Teams aufzustocken analysierte der Uruguayer, der als Trainer und Spieler bei einer WM war, „die Chance für das deutsche Rugby war nie größer“.
Belgien macht aus wenig viel
Der belgische Verband ist, um es gelinde auszudrücken, finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet. Als die Gastgeber heute gut anderthalb Stunden vor Anpfiff am Nelson Mandela Centre ankamen, waren sie nicht einmal im einheitlichen Outfit ins Stadion eingelaufen. Die Belgier haben keinen reichen Gönner und können sich „Import-Spieler“, wie es beispielsweise die Rumänen und Spanier machen, nicht leisten.
Dafür ist die belgische Liga, die vom Niveau her nicht in schwindelerregenden Höhen anzusiedeln ist, äußerst ausgeglichen. Nach etwa der Hälfte der aktuellen Saison haben noch drei Vereine Chancen auf den Titel und am letzten Spieltag hat Tabellenführer Dendermonde daheim gegen die Nummer vier der Liga verloren. Die enge Tabellen-Konstellation dürfte dem Trainingseifer der heimischen alles andere als abträglich sein.
Zudem ordnen die Vereine ihre Anliegen dem Wohl des belgischen Rugbys insgesamt unter. Der Kern aus belgischen Spielern aus der heimischen Liga trainiert regelmäßig zusammen und ist seit dem Aufstiegsjahr 2016 nur noch enger zusammengerückt. Natürlich hilft die Tatsache, dass Belgiens gut 13.000 registrierte Vereinsspieler, die etwa dem entsprechen, was wir in Deutschland haben, räumlich viel konzentrierter angesiedelt sind.
Zumindest am heutigen Tag war es zudem ein riesiger Faktor, dass Belgien alle Legionäre an Bord hatte. Mit Cuffolo und Jadet standen beide Props mit Erfahrung aus der französischen Pro D2 in Belgiens erster Reihe - ihnen gegenüber stand eine erste Reihe aus der Bundesliga, die zumindest in der Auftaktphase deutlich dominiert wurde und einen Strafversuch nach Gedränge kassierte. Mit Victor Paquet konnte Belgien in Durchgang zwei gar einen weiteren Frankreich-Profi aus der Pro D2 von der Bank in den Gedränge-Kampf werfen.
Die Leistungsträger auf der Dreiviertelreihe, Gedrängehalb Berger und Innendreiviertel und Kapitän Jens Torfs, haben beide bereits in Frankreichs erster Liga gespielt. In den bisherigen beiden Belgien-Niederlagen in Russland und Georgien kamen sie nicht zum Einsatz, im so wichtigen Spiel gegen die DRV-Auswahl schon. Die Belgier haben es also geschafft zum wichtigen Zeitpunkt ihre beste Fünfzehn aufs Feld zu führen.
Neben dem Verletzungs-Pech, allen voran fehlten Deutschlands Erste-Reihe-Asse Nostadt und Tussac, ist es dem Verband schlicht nicht gelungen seine besten Spieler zu versammeln. Das DRV-XV-Spielmacher-Duo Tim Menzel und Christopher Hilsenbeck stand an diesem Wochenende ebenso gemeinsam auf dem Feld - bei der 25:46 Niederlage ihres RC Vannes in Biarritz.
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