Rugby in Brasilien: Ovaler Ballsport auf dem Vormarsch im Fußball-verrücktesten Land der Welt
Geschrieben von Stefan v.d. Hoek
Sonntag, 25. Februar 2018
Gegen die US-Boys hatten die Brasilianer am Samstag keine Chance, der ovale Ballsport ist in Brasilien dennoch im Kommen. Foto (c) Stefan v.d. Hoek
Denkt man an Brasilien fallen einem Namen wie Pele, Ronaldo oder Neymar ein. Man denkt an den Zuckerhut und vor allem einen Sport: Fußball. Sicherlich wird der runde Ball auf lange Sicht in Brasilien den Status einer Religion haben, doch in dem über 200 Millionen Einwohner zählenden Land ist Raum für mehr als einen Sport. Rugby in Brasilien ist im Kommen, auch wenn das am Samstag beim Americas-Rugby-Championship-Spiel noch nicht ganz zu sehen war. Dabei liegt den Südamerikanern gerade die schnelle Siebener-Variante unseres Sports.
Brasilien in der Americas Rugby Championship: USA bei Gastspiel dominant
Runde fünf der Americas Rugby Championship 2018: Brasilien traf am Samstag Abend auf die USA Eagles. Die „Tupis“ genannten Lokalmatadoren sind in der Tabelle des Amerika-Gegenstücks zu den Six Nations gerade Vorletzter. Im Wettbewerb treten die sechs besten Rugby-Nationen Nord- und Südamerikas gegeneinander an (Argentinien, Brasilien, Chile, Kanada, Uruguay und USA).
Aufgrund der Teilnehmeranzahl wird auch von „American Six Nations“ gesprochen. Das Gastspiel der „Eagles“ genannten US-Boys findet in einem unscheinbaren Stadion, in einer kleine Gemeinde namens São Jose dos Campos, etwa 1 ½ Stunden Autofahrt von der brasilianischen Megametropole São Paulo entfernt statt.
Am Samstag hatten die "Tupis" gegen die schnellen US-Boys oftmals das Nachsehen
Das Stadion war zwar nicht sonderlich gut gefüllt, für eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse war aber dennoch durch die anwesenden Fans gesorgt. Das lokale Polizeiorchester spielte die Nationalhymnen, eine Schule stellte die Einlaufkinder und zwei städtische Krankenwagen standen am Spielfeldrand zum Dienst bereit. Die Eagles traten vom Spielbeginn an dominant auf auf, spielten überwiegend in der brasilianischen Spielhälfte und punkteten zügig mit schnell erzielten Versuchen und Straftritten.
Die Brasilianer hatten Mühe ihre Verteidigung zu halten, konnten aber phasenweise das Spiel an sich reißen und den Ball über die Mittellinie in die gegnerische Spielhälfte bringen. Vor allem wussten die Brasilianer die gewonnenen Straftritte für sich zu nutzen und zeigten sich insbesondere bei Kicks vom Tee als besonders zielsicher. Brasilien bleibt eben das Land des Fußballes.
Der Endstand lautete 43 zu 16 für die USA Eagles. In der Tabelle stehen die USA derzeit auf dem ersten Platz, Brasilien hingegen rangiert an vorletzter Stelle. Das Ergebnis des gestrigen Abends war keine sonderlich große Überraschung. Wie in den USA gehört Rugby auch in Brasilien zu den am schnellsten wachsenden Sportarten und erfreut sich, insbesondere seit den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro, zunehmender Beliebtheit.
Brasiliens Aufstieg im Rugby
In den vergangenen Jahren ist es der brasilianischen Nationalmannschaft mühsam gelungen sich in der Weltrangliste von den hinteren Plätzen weiter nach vorne und in die Top 30 zu arbeiten. Hilfe kam hierbei unter anderem von den Argentiniern, welche sich auf dem südamerikanischen Kontinent für die Verbreitung und Entwicklung des Sportes einsetzen.
So sind die Head Coaches Brasiliens und Uruguays beispielsweise Argentinier und vor allem im Süden Brasiliens, wo die direkte Ländergrenze zu Argentinien besteht, ist das Netz von Rugbyvereinen besonders gut entwickelt. Der Weg zu einer Rugby.-Nation bleibt aber noch immer ein weiter. Zu dominant ist der Fußball am Zuckerhut, welcher hier über allen anderen Sportarten steht. In der kommenden Woche trifft Brasilien auf seinen Nachbarn Argentinien - an einem wird es ganz sicher nicht mangeln: Leidenschaft auf dem Feld und den Rängen.
Das Siebener als die brasilianischere Form des Rugby
Brasiliens Vormarsch im Weltrugby dürfte noch ein weiter Weg sein, doch was man bereits heute merkt: Siebener-Rugby wird am Zuckerhut begeistert gespielt. Das ist nicht nur Ergebnis der Anstrengungen die olympische Spielform vor der Olympiade in Rio zu etablieren. Oftmals fehlt es den Brasilianern im Fünfzehner an den nötigen Brocken im Sturm - ihnen liegt das Schnelligkeit betonende Siebener deutlich besser. Zumal es auch am Strand gespielt werden kann, wo die Brasilianer ihre Freizeit am liebsten verbringen.
Ein Beitrag geteilt von Stefan V. D. Hoek (@stevanderhoek) am Feb 25, 2018 um 4:53 PST
Gerade an den schweren Jungs mangelt es in Brasilien des Öfteren, weswegen die Siebener-Variante so beliebt ist
Wie ich Rugby selbst in Brasilien erlebt habe und erlebe
Als ich 2014 das erste Mal hier in Brasilien war und in einem Club gespielt habe, ist mir direkt aufgefallen, dass es in der Region in der ich gespielt habe ausschließlich dezidierte Siebener-Klubs gab. Die Rugby-Anhänger und Spieler in Belém do Pará deuteten vor allem darauf, dass oftmals schlicht die Spieler fehlten, um Fünfzehner-Rugby zu spielen.
Im letzten Jahr war ich wieder in der Stadt im Nordosten zu Besuch und war natürlich auch wieder bei meinem Ex-Klub. Heute spielen dort um die 40 Leute Rugby. Aber noch immer kein Fünfzehner - stattdessen haben sich die Spieler in mehrere kleinere Klubs aufgeteilt und bleiben beim Siebener-Rugby.
Meiner Meinung nach hat das wirklich etwas mit der Freiheit im Siebener-Rugby, die den Brasilianern so gut gefällt. Es ist spannend zu beobachten, für mich macht es aber Sinn. Es ist ähnlich wie beim Fussball mit den Brasilianern. Es ist nicht dermaßen wichtig, dass man im Team möglichst effizient spielt. Es ist vor allem wichtig eine gute Figur auf dem Feld zu machen. Den Ball zu spielen und dabei möglichst viele Tricks zu machen. Genau das, was wir beim Fussball auch von den brasilianischen Spielern kennen. Das sind einfach Ballzauberer. Und diese "Zauberei" ist beim Siebener einfach besser möglich als beim 15er Rugby.
Dieser Artikel stammt von TR-Gastauthor Stefan v.d. Hoek. Der 26-jährige Hakler hatte 2012 in Dortmund mit dem Rugby-Spielen angefangen und ist nach einer Zwischenstation in San Diego mittlerweile beruflich in Sao Paolo tätig.