Diese Mannschaft ist ein Neuanfang - doch ebenso eine gute Basis auf dem Weg nach 2023. Foto (c) Keßler
Mit dem Sieg der Spanier am Wochenende über Rumänien hat sich Deutschlands Traum von der Rugby-WM 2019 in Japan de facto endgültig erledigt. Das ist die traurige Realität - doch muss man sich in der deutschen Rugby-Community ebenso eingestehen, dass die schmerzlichen Niederlagen in Köln gegen Spanien, sowie in Sochi gegen Russland im Vorjahr die deutschen Chancen schon zur Halbzeit der WM-Quali auf ein Minimum hatten sinken lassen. Die starken Spanier in diesem Frühjahr haben das letzte Quäntchen Hoffnung beerdigt. Jetzt gilt es den Blick nach vorne zu richten: Zahlreiche junge und vielversprechende deutsche Rugby-Talente drängen in die DRV XV und mittlerweile spielt eine Reihe von DRV-Assen erfolgreich in Frankreichs zwei Profi-Ligen. Eventuell wird man gar früher oder später wieder Wild-Spieler in der DRV XV sehen und nicht nur, wie am vergangenen Wochenende, auf der gegnerischen Seite.
Es ist nicht so lange her, da war man sich auf allen Seiten im deutschen Rugby einig - die WM 2019 in Japan wurde als gemeinsames Ziel in Angriff genommen und diese Maßgabe öffentlich ausgerufen. Denn mit dem Erreichen des drittgrößten Sport-Events der Welt böten sich dem deutschen Rugby zahllose Chancen - in Sachen Gewinnung neuer Fans, aber auch wenn es darum geht Sponsoren an Land zu ziehen. Lediglich die Qualifikation für Olympia im Siebener-Rugby sowie mit leichten Abstrichen auch für die Sevens World Series könnten dem ovalen Ballsport in der Bundesrepublik einen ähnlichen Schub geben.
Das Thema WM 2019 hat sich, um es salopp zu sagen, leider nun erledigt. Selbst mit einem Sieg in Cluj, der angesichts der rumänischen Heimstärke auch in Bestbesetzung nahezu unmöglich schien, wären die Qualifikations-Chancen der deutschen Mannschaft aufgrund der beiden Siege der Spanier nur noch theoretischer Natur. Doch wie es XVer-Sportdirektor Paul Healy bereits in Cluj TotalRugby gegenüber formulierte: „Wir müssen diese Herausforderung als Chance begreifen.“
Jetzt gilt es Japan abzuhaken und in den nächsten fünf Jahren die Basis für die WM im Nachbarland Frankreich im Jahr 2023 zu legen. Das Potenzial dazu hat das deutsche Rugby. Auch Milton Haig, Trainer der georgischen Nationalmannschaft, betonte Samstag nach dem Spiel mit Blick auf die deutsche Mannschaft: „Einige dieser jungen deutschen Spieler haben heute viel Talent und noch mehr Mut unter Beweis gestellt.“
Haig, der mittlerweile im achten Jahr Georgiens aufstrebende Nationalmannschaft betreut, verfolgt seit Jahren die Entwicklung des deutschen Rugbys und kann eine interessante Perspektive von außen bieten. Er selbst hatte Deutschlands neuen Nationaltrainer Pablo Lemoine beim von 2013 bis 2015 ausgetragenen Tbilisi Cup kennen gelernt. Lemoine, der persönlich WM-Erfahrung als Trainer und Spieler sammeln durfte, sei absolut der richtige Mann für das deutsche Rugby in der jetzigen Situation und könne nachhaltig Erfolge für das deutsche Rugby sicher, davon ist Haig überzeugt.
Und tatsächlich weist Lemoine ein sehr interessantes Profil auf - neben seiner Qualifikation als Ex-Profi bei Stade Français und seiner erfolgreichen vierjährigen Amtszeit als Uruguay-Coach, in der er sein Heimatland zur WM führte, hat Lemoine auch Uruguays aktuelles High Performance Programm aufgebaut. Dieses Programm managt den Uruguays Spieler vom Nachwuchs bis in den Spitzenbereich gilt als vorbildlich unter den aufstrebenden Rugby-Nationen.
Die Bedingungen, die Lemoine momentan in Deutschland vorfindet, sind alles andere als optimal. Das waren sie aber auch nicht, als er nach der WM 2011 seinen ersten Trainerjob in Uruguay antrat. Dennoch erreichte er die erst dritte WM-Teilnahme seines Landes mit einer Mannschaft, die weitestgehend aus Amateuren bestand. Immerhin hat Deutschland heute eine fast doppelt so große Spielerbasis, wie das kleine südamerikanische Land damals. Mit Chris Lane, der als Bundestrainer Technik seit dieser Saison von Berlin aus agiert, dem wachsenden Stützpunkt Hannover und den etablierten Strukturen in Heidelberg kann sich Lemoine aus immerhin drei beträchtlichen Spieler-Pools bedienen.
Bereits an diesem Wochenende hatte Lemoine mit den jungen vielversprechenden Außen Dembele und Pfisterer, Ersatz-Gedrängehalb Jan Piosik und Zweite-Reihe-Stürmer Jens Listmann junge Talente aus dem ganzen Bundesgebiet im Kader. Speziell Listmanns Klub SC Frankfurt 1880, der in den vergangenen Jahren massiv in die Jugendarbeit investierte, dürfte dem deutschen Rugby künftig noch so einige Talente auf dem Präsentierteller liefern.
Die Zukunft des deutschen Rugbys war zum Teil am Samstag in Offenbach zu sehen
Freilich war diese Jugendoffensive eher der Not geschuldet, die sich aus dem Fehlen der WRA-Spieler ergab. Doch aus dieser Not lässt sich mittelfristig eine Tugend machen. Praktisch ist der Verband, sollte die Wild Rugby Academy, bzw. deren Tochter „Gesellschaft zur Förderung des Rugbysports“ weiter ihre Angestellten nicht für Spiele der Nationalmannschaft freigeben, mehr denn je auf den Nachwuchs angewiesen. Dem aktuellen Kader fehlt noch viel Grundlagen-Arbeit - doch mit einer eingespielteren Gasse und einer besseren Koordination auf dem Feld hätte die DRV-Auswahl bereits an diesem Wochenende noch gegen Georgien wettbewerbsfähiger sein können. Am Willen der Spieler sich für den Adler auf der Brust zu zerreissen, hat es in Offenbach zu keinem Zeitpunkt gehapert.
Jedoch muss die oberste Priorität erst einmal sein, die höchste europäische Spielklasse zu halten. Nur so können sich die vielversprechenden Nachwuchs-Spieler auf höchstem Niveau testen und beweisen. Dazu muss die deutsche Mannschaft entweder in knapp zwei Wochen das direkte Abstiegsduell gegen Belgien gewinnen. Angesichts des knappen 34:29 im Vorjahr in Offenbach mit den WRA-Spielern an Bord sowie dem kleinen engen und atmosphärischen Stadion von Brüssel mit 10.000 lautstarken belgischen Fans auf den Rängen kein Selbstläufer - auch wenn bis dahin eine Reihe prominenter Legionäre das deutsche Team verstärken dürften.
Die zweite Option ist der Weg, den der nächste Gegner Belgien im Vorjahr selbst gegangen ist. Der Letzte der Rugby Europe Championship steigt seit der vorigen Saison nämlich nicht mehr direkt ab - in einem Relegationsspiel gegen den Gewinner der Rugby Europe Trophy könnte der Abstieg selbst als Schlusslicht noch vermieden werden. Stand heute wäre der Gegner entweder Portugal oder die in der Trophy nur einen Punkt dahinter rangierenden Niederländer.
Tatsächlich wird es spannend zu sehen sein, ob bis dahin auch wieder Spieler der Wild Rugby Akademie im deutschen Trikot auflaufen werden. Auch Dr. Wild selbst sollte daran gelegen sein, dass sein Herzblut und das Geld, das er in das deutsche Rugby gesteckt, nicht einfach so den Bach runter geht. An €2000 Abstellungsgebühr, wie von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung kolpotiert, dürfte die Zukunft des deutschen Rugby doch eigentlich nicht scheitern. Am Samstag in Offenbach jedenfalls war nur ein einziger Wild-Spieler auf dem Rasen des Bieberer Berges zu sehen: Es war der georgische Ersatz-Prop Zurab Zhvania. Der 26-jährige Erste-Reihe-Stürmer wurde von seinem Klub, dem im Besitz von Dr. Wild befindlichen Pariser Hauptstadtverein Stade Français, selbstverständlich für das Länderspiel in Offenbach freigegeben - obwohl sich dieser momentan ganz tief im Abstiegssumpf befindet.
|