Rugby in Frankreich: Premiere in Rugbys erstem Hallenstadion, der Boom der Top 14
Geschrieben von TotalRugby Team
Mittwoch, 27. Dezember 2017
Das erste Hallenstadion im Rugby überhaupt - die Pariser U Arena
Denkt man an klassische Rugby-Schlachten der Vergangenheit, kommen einem direkt Bilder von schlammverschmierten Stürmern mit Schnurrbärten in den Sinn, die im Nahkampf um jeden Meter ringen. Die Schnurrbärte sind längst Opfer der Modetrends seit den 80ern geworden und auch die Schlammschlachten werden mit den Kunstrasenplätzen, die mittlerweile in jeder Profi-Liga Europas im Einsatz sind, immer weniger. Nun könnte Rugby künftig frei von jeglichem Einfluß der Elemente werden - denn in Paris beim Erstligisten Racing wurde am Wochenende das erste Rugby-Hallenstadion der Welt bezogen. Auch anderweitig boomt Frankreichs Klub-Rugby, ganz im Gegensatz zur Nationalmannschaft. Selbst fern von den Rugby-Hochburgen des Südens entwickelt sich Christopher Hilsenbecks RC Vannes in der Bretagne prächtig.
Es ist nahezu eine Rugby-Revolution, die der Racing-92-Präsident Jacky Lorenzetti mit seinem Stadionbau realisiert hat - der schwerreiche Pariser Immobilien-Unternehmer hatte Racing, einst Frankreichs erster Rugby-Meister überhaupt, vor elf Jahren im Unterhaus übernommen. Schon damals mit der Vision den Traditionsverein aus dem mondänen Pariser Westen, dem bereits seit langem ein leicht elitäres Image anhaftete, in eine neue Arena zu verfrachten. Denn die bisherige Spielstätte, das Olympiastadion von 1924 Yves de Manoir, entsprach weder in Sachen Kapazität noch Infrastruktur modernen Ansprüchen. So begann Lorenzetti rasch mit den Planungen und in den letzten vier Jahren ist dabei die U Arena im Wolkenkratzer-Viertel la Défense entstanden.
Die Besonderheit ist, dass die 31.000 Zuschauer fassende Arena im Endeffekt eine Halle ist. Die Tribünen sind auf drei Seiten des Feldes in U-Form angeordnet und hinter den Stangen auf der Zuschauer-freien Seite befindet sich der mit 800 Quadratmetern größte Stadion-Bildschirm der Welt. Mit Cardiffs Millennium Stadium existiert mittlerweile seit 18 Jahren ein prominentes Rugby-Stadion mit verschließbarem Dach - mit der U Arena gibt es nun erstmals ein Stadion, das sich gar nicht erst öffnen lässt. Erst mit dem Siegeszug des Kunstrasens im Rugby in den letzten Jahren ist diese Entwicklung überhaupt erst möglich geworden und dennoch benötigte Racing eine Ausnahmegenehmigung von World Rugby zum Betrieb der Arena. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ohne Regen, der glitschige Bälle produziert und Wind der Kicks schwerer auszuführen macht sowie tiefe Böden steht eigentlich nichts einem schnellen, ansehnlichen und damit auch telegenen Spiel entgegen.
Freilich war Lorenzettis Anliegen nicht unbedingt den Rugby-Sport zu revolutieren: Er wollte die Lücke an Veranstaltungsorten für Konzerte und Sport-Events zwischen der großen Messehalle in Bercy mit 15.000 Plätzen und dem 80.000 Zuschauer fassenden Stade de France schaffen und seinem Klub nebenbei eine neue den hohen eigenen Ansprüchen genügende Heimat kreieren. Der Erzrivale Stade Français, seit diesem Sommer im Besitz von Dr. Hans-Peter Wild, hatte sein Stadion Jean Bouin erst vor wenigen Jahren renoviert. Die eigentliche Eröffnung der U Arena fand bereits vor wenigen Wochen mit einem Konzert der Rolling Stones statt.
Nun erfolgte auch das erste Spiel der Hausherren von Racing in ihrer neuen Heimat und zu Gast war kein Geringerer, als Rekordmeister Toulouse. Angetrieben von über die 30.000 Fans, was etwa dem dreifachen des bisherigen Zuschauerschnitts des Vereins im alten Stadion entspricht, erkämpfte sich das Pariser Star-Ensemble einen hart erkämpften 23:19 Sieg. Nach einem Blitzstart und zwei schnellen Versuchen hatte sich der prominente Gast aus dem Süden noch einmal zurückgekämpft. Aber am Ende glückte das Debüt im neuen Stadion der Himmelblauen um Superstar Dan Carter.
Ob das Vorbild U Arena letztlich Schule machen wird bleibt abzusehen. Toulouse-Stürmer Yoann Maestri jedenfalls outete sich nach dem Spiel nicht unbedingt als Fan: „Das riecht hier noch wie ein neues Auto, hier müsste Mal gelüftet werden.“ Frankreichs Nationaltrainer Novès, der jahrelang Toulouse trainiert hatte, machte sich indes größere Sorgen ob der erhöhten Verletzungsrisiken auf Kunstrasen - besonders Bänder- und Sehnen-Verletzungen wären ein Problem. Noch gibt es allerdings keine belastbaren Studien zur neuesten Generation von Kunstrasenplätzen im Rugby. Die Racing-Arena ist in jedem Fall ein interessantes Experiment, dessen Erfolg oder Misserfolg auch anderswo genauestens beobachtet werden dürfte.
Erst einmal sind jedoch keine weiteren Stadien nach dem Vorbild der U Arena geplant. Gebaut wird anderswo an Frankreichs Rugby-Stadien dennoch - denn generell boomt Frankreichs Liga - allein in dieser Saison wurden die Stadien von La Rochelle, Pau, Toulon und eben Racing zum Teil erheblich vergrößert. Lyon zog zudem, wie einst Bordeaux vor ein paar Jahren auch, in ein deutlich größere Stadion um und kann mit seiner bisher passablen Saison Zuschauer-Rekorde erzielen. In der Pyrenäen-Stadt Pau, die unter anderem die Ex-All-Blacks Collin Slade und Conrad Smith ihre sportliche Heimat nennen, wurde am Wochenende das neue Stade du Hameau eröffnet. Mit 18.300 Zuschauern steigt auch hier die Kapazität deutlich - nun passt knapp jeder vierte Einwohner des Ortes passt in das neue Stadion - dennoch war es ein ausverkauftes Haus, das den Sieg der Gastgeber Section Paloise gegen den amtierenden Meister Clermont sah.
In Frankreichs tiefem Süden, wie hier in Pau, wird Rugby wie sonst kaum anderswo gelebt
Auch Erik Marks Klub La Rochelle verkauft seit mehr als zwei Jahren jedes einzelne Spiel im als Hexenkessel bekannten Stade Marcel Deflandre aus. Damit könnte sich insgesamt die Lücke zur Fußball-Liga Ligue 1 in Sachen durchschnittlicher Zuschauerzahl schon bald schließen. Noch haben die Rundball-Recken mit 20.000 Zuschauern pro Spiel einen Vorsprung von etwa 4000 Zuschauern, obwohl Rugby laut Umfragen insgesamt in Frankreichs Öffentlichkeit seit gut zehn Jahren als der beliebtere Sport in Frankreich gilt.
Auch im Unterhaus Frankreichs entwickelt sich einiges. Traditionell gilt der Süden als die Hochburg des „Ovalie“, wie in Frankreich der Rugby-Sport liebevoll genannt wird. Abgesehen von den beiden Pariser Traditions-Klubs Racing und Stade Français hatte es jahrelang keinen einzigen Vertreter in den beiden Profiligen aus dem Norden der Republik gegeben, der als Fußball-Hochburg. Der RC Vannes aus der Bretagne, bei dem seit dem letzten Sommer DRV-XV-Verbinder Chris Hilsenbeck spielt, hat dieses scheinbar bestehende Naturgesetz widerlegt.
In der sonst lediglich als Fußball-verrückten Bretagne füllt der RCV regelmäßig das Stade de la Rabine und hatte in diesem Jahr bei jedem Spiel mehr als 8.000 Zuschauer. Für einen Verein, der erst in seiner zweiten Saison im professionellen Rugby unterwegs ist und dazu in einer Region, die noch nie für ihre Rugby-Affinität bekannt war, ist das absolut beachtlich. Denn damit befindet sich der sportlich im Mittelfeld angekommene Klub in Sachen Zuschauerzahl im oberen Drittel der Pro D2. Vielleicht gelingt es den Bretonen ihre großartige Entwicklung fortzuführen und eventuell den Sprung in die Top 14 zu schaffen.