Die Überlegenheit in Durchgang eins konnte die DRV-Not-Fünfzehn nicht in Punkte ummünzen.
Das Geschehen rund um das Länderspiel wird in die deutsche Rugby-Geschichte eingehen, so viel steht fest. Wie sich der deutsche Rugby-Sport in den kommenden Monaten entwickeln wird, scheint völlig offen. Wir werfen einen letzten Blick auf das vergangene Wochenende und bewerten das Geschehen auf und abseits des Rasens.
1. Die deutsche Not-Fünfzehn verkaufte sich teuer - der Anlass war traurig, doch gab es auch auf sportlicher Seite Positives vermelden
Am Ende stand eine klare Niederlage, die gegen diese chilenische Mannschaft in der Form niemals hätte passieren dürfen. Doch die in allerletzter Minute zusammengetrommelte deutsche Mannschaft hat sich deutlich besser geschlagen, als das Ergebnis suggeriert. Der Tenor hinter der Kulisse bei den Spielern lautete: Mit ein paar mehr Tagen Vorbereitung hätten wir die geschlagen. Die ersten 20 Minuten wurden, so waren sich beide Trainer nach dem Spiel einig, von deutscher Seite dominant geführt. Chiles Coach schätzte sich gar bei der PK glücklich, dass seine Mannschaft bei keiner der drei dicken deutschen Chancen in Durchgang eins einen Versuch kassiert zu haben.
Während das große Fragezeichen vor dem Spiel der deutsche Sturm war, brillierte dieser unerwarteterweise. Die erste Sturmreihe mit Gennaro und den beiden großartigen aufspielenden Props Marcus Bender und Paul Weiss hielt nicht nur das Gedränge und schlug sich achtbar in der Gasse - Mit starken Läufen und hervorragender Ruck-Arbeit verdiente sich das Trio Bestnoten. Angesichts der Tatsache, dass das gesamte Bundesliga-Kontingent seit drei Wochen spielfrei ist und eigentlich mitten in der wohlverdienten trainingsfreien Winterpause, ist diese Leistung umso bemerkenswerter.
Natürlich kamen die DRV-Stürmer gegen Ende des Spiels das eine oder andere Mal zu spät zum Support - doch mit nur vier Stürmern auf der Bank wurde ihnen auch ein unüblich hohes Pensum abgefordert. Coach Zanqua musste seinen Spielern, in den zwei Tagen vor dem Spiel ein zu hohes Trainingspensum abverlangen, um ein Mindestmaß an Koordination auf dem Feld gewährleisten zu können. Normalerweise finden in den 48 Stunden vor einem Spiel auf solchem Niveau nur noch lockere Einheiten statt, damit die Frische der Spieler beim Spiel selbst gewährleistet ist - in diesem Fall jedoch fand alle Trainingsarbeit in diesem kritischen Zeitraum statt.
Die Firepower der DRV-VII Jungs, die mitten aus ihrer Vorbereitung auf die Dubai 7s gerissen wurden, litt unter den Bedingungen. Während es beim Warmup noch kalt aber trocken war, fing es pünktlich zu den Hymnen an wie aus Eimern zu schütten. Auf tiefem Geläuf und mit glitschigem Ball konnten die pfeilschnellen Siebener-Asse ihr Können nur zum Teil aufblitzen lassen. Der fast-Versuch von Tim Lichtenberg in Durchgang eins sowie der erfolgreiche Abschluss mit der letzten Aktion von Phil Szczesny wären da zu nennen. Drei der chilenischen Versuche resultierten allerdings aus der mangelnden Verteidigungs-Abstimmung nach Gassen und Gedrängen - der Kanal zwischen Sturm und Reihe wurde durch die Chilenen mehrmals mit Inside-Bällen attackiert - zwei Mal mit durchschlagendem Erfolg.
Die positive Nachricht aus sportlicher Sicht jedoch: Ein mitten in der Winterpause befindlicher Bundesliga-Sturm, fast ausschließlich mit Spielern bestückt, die ihr Rugby-Handwerk hierzulande gelernt haben, muss sich auf diesem Niveau nicht verstecken. Chile ist international momentan auf dem Niveau von Belgien, Brasilien oder Kenia einzuordnen und war vor diesem Duell bereits seit drei Wochen als Mannschaft zusammen.
Zweifelsohne, wenn es am Samstag gegen Rumänien oder Georgien gegangen wäre, hätte es bei den Standards und im offenen Spiel ganz anders ausgesehen. Doch viele deutsche Vereine müssen sich trotz der vielfach gescholtenen Jugendarbeit nicht für diese schämen - das ist eine Erkenntnis und Grundlage, auf die künftig aufgebaut werden kann.
2. Niemand kann so recht sagen, wie es weiter geht - beim DRV signalisiert man Gesprächsbereitschaft, aber in den kommenden Tagen wird sich zeigen, ob das Tischtuch endgültig zerschnitten ist
In der deutschen Rugby-Community herrscht Ratlosigkeit darüber, wie es künftig weiter geht im alles überschattenden Konflikt zwischen Verband und Ex-Sponsor. Am morgen des Spieltags kam über die Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung eine klare Ansage durch den WRA-Geschäftsführer Robert Mohr Richtung Verband: „Präsident Klaus Blank, Finanz-Vizepräsident Jürgen Zeiger und Sportdirektor Manuel Wilhelm haben nicht mehr das Vertrauen von Herrn Dr. Wild.“
Was unter der Woche nur in verklausulierter Form und hinter den Kulissen ausgesprochen wurde, war nun für alle schwarz auf weiß in Heidelbergs größter Zeitung zu lesen: Der Chef des ehemaligen DRV-Sponsors WRA fordert öffentlich und für alle zu lesen den Kopf der drei wichtigsten handelnden Personen beim Deutschen Rugby-Verband. In Offenbach waren zahlreiche Vertreter der mitgliederstärksten Vereine des Landes vor Ort: Verständnis für diesen Vorgang gab es so gut wie keines.
Dies ist nicht nur im Rugby ein einmaliger Vorgang und war wenig überraschend Gesprächsthema Nummer eins in Offenbach. Zentraler Vorwurf im RNZ-Interview Mohrs: Die Mehrfach-Rolle von Sportdirektor Manuel Wilhelm, der als Oktoberfest-7s-Gesellschafter, TotalRugby-Gründer/Besitzer (vor gut zwei Jahren hat sich Wilhelm aus der redaktionellen Arbeit bei TR verabschiedet) und Kommentator bei Sport 1 fungiert. Dies habe ein „Geschmäckle“, so zitiert Robert Mohr WRA-Gründer Dr. Wild in eben jenem RNZ-Interview.
Beim DRV legte man nach dem Spiel gegenüber der versammelten Presse seine Version der Dinge dar und wies einen Großteil der Anschuldigungen von WRA- und Spieler-Seite zurück. Um mehr Licht ins Dunkel der Konflikte der vergangenen Tage zu bringen werde man zeitnah den Schriftverkehr mit der Gegenseite veröffentlichen. Gerade angesichts eines Berichts in der Rhein-Neckar-Zeitung unter der Woche, laut dem der DRV das vorliegende WRA-Angebot vor Monaten bereits angenommen und unterschrieben habe, jedoch erst kurz nach dem Verstreichen einer WRA-Frist zurückgeschickt habe, dürfte dieser Vorgang interessant sein. Auch über den so oft besprochenen Plan B, für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen, habe man die WRA informiert und auch dies werde man bei Gelegenheit öffentlich zugänglich machen.
Laut Darstellungen von Klaus Blank und Manuel Wilhelm stehe man indes im engen Kontakt mit World Rugby - der Weltverband fordere drastische Konsequenzen gegenüber der streikenden Spieler. In der Vergangenheit sei World Rugby bereits kritisch gewesen, ob der großen Abhängigkeit des DRVs von seinem Ex-Sponsor WRA und habe „die gelbe Karte gezeigt“ so Präsident Blank. Nun seien Spielersperren für alle am Boykott beteiligten Akteure durch WR gefordert worden.
Jedoch wolle man seitens des DRV lediglich einige wenige Spieler sanktionieren. Grundsätzlich sei weitere Gesprächsbereitschaft vorhanden. Doch ob es dazu kommt, konnte auch auf dem Podium niemand mit Sicherheit sagen. DRV-Präsident Blank schilderte der Presse gegenüber, dass er bereits seit seinem Amtsantritt Probleme habe, Dr. Wild zu erreichen: „Ich weiß nicht, ob Doktor Wild den Hörer abnimmt, wenn er weiß, dass ich anrufe.“
Für das Wohl des deutschen Rugby bleibt zu hoffen, dass er es versucht und dass irgendwo im Schweizer Kanton Zug der Hörer abgenommen wird. Denn sollten die WRA-Spieler tatsächlich nicht mehr für den DRV auflaufen, droht eine katastrophale Rugby Europe Championship im Februar/März. Die Siebener-Nationalspieler werden sich dann in der Vorbereitung auf die Hong Kong Sevens befinden, wo sich ihnen die bisher beste Aufstiegs-Chance in die World Series bisher bieten wird. Weitere Aushilfs-Einsätze wären deshalb nur schwer vorstellbar.
Ebenso wäre es aber auch schwer vorstellbar, dass die von der „Gesellschaft zur Förderung des Rugbysports“ angestellten Spieler während der fünf extrem wichtigen Länderspiele im Februar und März weiter streiken. Zum einen hat auch von WRA-Geschäftsführer Mohr in einem Radio-Interview unter der Woche die Wichtigkeit dieser Spiele betont - zum anderen haben die Streikenden selbst durchblicken lassen, dass die Option Streik bei einem REC-Spiel keine wäre. Die WRA sowie die GFR wurden einst gegründet, um das deutsche Rugby nach vorne zu bringen - die besten deutschen Spieler unter Vertrag zu nehmen und dann davon abzuhalten für Deutschland zu spielen würde den Sinn der WRA/GFR völlig konterkarieren.
Der DRV kann momentan nicht ohne die WRA und andersherum kann auch die WRA eigentlich ohne den DRV - die Frage ist, ob der in den letzten Wochen und Monaten entstandene Vertrauensverlust nicht zu groß ist, um eine einvernehmliche Lösung für die WM-Quali-Spiele zu finden. Die schriftliche Vereinbarung über die Abstellung des GFR-Personals für den November jedenfalls war ja bekanntlich nur 96 Stunden vor dem Chile-Spielbeginn aufgekündigt worden. Außerdem steht weiterhin die Aussage im Raum, dass Blank, Himmer und Wilhelm nicht mehr das Vertrauen Dr. Wilds genießen. Diese Hürden gilt es zu überwinden, um das deutsche Rugby nur zehn Wochen vor dem Start der Rugby Europe Championship aus einer seiner größten Krisen zu hieven.
3. Eine Klärung des Konflikts sollte schnellstmöglich erfolgen - nur so kann weiterer Schaden vom deutschen Rugby abgewendet werden
Man mag es kaum glauben - in Offenbach hatten etliche der 2601 Zuschauer keinerlei Ahnung vom schwelenden Konflikt zwischen WRA und DRV. Trotz aller Medien-Aufmerksamkeit in den vergangenen Tagen werden durch die öffentliche Schlammschlacht mehr potenzielle Fans verprellt worden sein, als man sich das in erster Linie vorstellen mag. Seit der Boykott-Ankündigung vom Dienstag der Vorwoche hatten sich, so die Stadion-Betreiber gegenüber TR, Ticket-Stornierungen und Neubestellungen in etwa die Waage gehalten.
Noch stehen die Orte für die REC-Heimspiele nicht fest, Verhandlungen mit Ausrichtern laufen seit Monaten. Da aber kaum jemand erahnen kann, welche Mannschaft schlussendlich gegen Russland und Georgien auflaufen wird, dürfte der Ticket-Verkauf auch bei baldiger Bekanntgabe der Spielorte schleppend verlaufen. Diese Unsicherheit wird dem deutschen Rugby-Sport weiteren Schaden zufügen, nachdem bereits der Spieler-Boykott für unrühmliche Schlagzeilen um den Globus gesorgt hatte. Selten war wohl von Australien, über Südafrika bis Chile so viel über das deutsche Rugby zu lesen.
Die Beteiligten müssen sich also schnellstmöglich wieder an den Verhandlungstisch setzen. Sollte keine Einigung erfolgen oder absehbar sein muss folgende Frage geklärt werden: Werden die Angestellten der Gesellschaft zur Förderung des Rugbysports wieder mit dem Adler auf der Brust auflaufen? Sean Armstrong hatte in Wiesbaden betont, welche Ehre es sei für Deutschland aufzulaufen. Es wäre kaum auszudenken, dass er und die anderen Streikenden fünf weitere Spiele bestreiken. Also bleibt die Frage ob ihr Arbeitgeber es ihnen erlauben wird und ob der DRV die Streikenden wieder im DRV-Trikot sehen möchte. Letzteres dürfte, so sehr es auch für einig der Handelnden beim Verband als Gesichtsverlust wahrgenommen werden mag, die beste Lösung für das deutsche Rugby sein.
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