Der erfahrene Fünfzehner- und Siebener-Nationalspieler Rafael Pyrasch wird die DRV XV Samstag aufs Feld führen.
Es ist ein bisher nie dagewesener Vorgang - weite Teile der deutschen Rugby-Nationalmannschaft boykottieren das Länderspiel am Samstag gegen Chile. Der Arbeitgeber des überwiegenden Teils der boykottierenden Spieler, der ehemalige DRV-Sponsor Wild Rugby Akademie, betont gleichzeitig per Pressemeldung, dass ihre Angestellten dem DRV von nun an nicht mehr zur Verfügung stünden. Noch am Samstag auf der Pressekonferenz nach dem USA-Spiel hatte Nationalmannschafts-Kapitän Sean Armstrong auf Nachfrage eines Journalisten bestätigt, dass man gegen Chile auf jeden Fall auflaufen werde. Die Umstände bleiben in gewisser Weise nebulös, doch was seit heute zumindest feststeht: Samstag Nachmittag werden 15 Jungs auf dem Bieberer Berg mit dem Adler auf der Brust ihr Land vertreten (der Kader). In nur 24 Stunden ist es dem Verband gelungen eine den Umständen entsprechend schlagkräftige Truppe aufzustellen.
Lediglich der Neuenheimer Nikolai Klewinghaus sowie der Frankfurter Wynston Cameron-Dow bleiben aus dem Kader der ersten beiden November-Spiele übrig. Mit dem Siebener-Trainer-Team um Vuyo Zanqua und Clemens von Grumbkow sowie fünf aktuellen Nationalspielern der olympischen Variante wird die DRV-Not-XV ein erfahrenes und eingespieltes Rückgrat haben. Dazu kommt mit Matthias Schösser ein erstklassiger Prop, der in Aberdeen Rugby spielt und zuletzt auch in den Überlegungen von Nationaltrainer Kobus Potgieter eine Rolle gespielt hatte. Zusammen mit erfahrenen Bundesliga-Akteuren wie Germania List-Kapitän Stephan Mau oder Ex-Nationalspieler und Löwen-Stürmer Markus Bender wird eine wettbewerbsfähige Mannschaft in Offenbach auflaufen. Die wohl größte Herausforderung für den Verband bestand darin, einen Sturm zusammenzustellen, der es am Samstag nach minimaler Vorbereitung mit den schweren und erfahrenen Chilenen aufnehmen kann. Ob und inwiefern das gelungen ist, wird sich wohl erst Samstag endgültig zeigen. Im direkten Gespräch mit einigen der Kader-Spieler ist jedenfalls klar geworden: Sie brennen darauf am Samstag alles zu geben, um den DRV würdig zu vertreten.
Was indes weiterhin unklar bleibt, sind die genauen Hintergründe des Boykotts. Ob dieser nun eine Entscheidung der Spieler, wie in der von Kapitän Sean Armstrong per Rundschreiben verbreiteten Pressemitteilung ist, oder eine Sperre ihrer Angestellten durch die WRA-Tochter GFR (Gesellschaft zur Förderung des Rugbysports), wie in der wenige Stunden später verschickten WRA-Pressemitteilung vermerkt, konnten wir nicht endgültig in Erfahrung bringen. Auf Rückfragen an Armstrong selbst, der uns die Pressemitteilung von seinem privaten E-Mail-Account aus hatte zukommen lassen, erhielten wir von TotalRugby bisher keine Antwort.
Am späten Nachmittag erläuterte Robert Mohr dann in einem Interview mit Meinsportradio den Standpunkt der WRA. Dabei betonte der ehemalige Zweite-Reihe-Stürmer der DRV XV, dass die bisher gelaufenen 18-monatigen Verhandlungen mit dem DRV zu nichts geführt hätten und dieser offene Bruch nur 72 Stunden vor dem Länderspiel keinen hätte überraschen dürfen. Auf die Nachfrage warum dies genau jetzt nach bereits zwei absolvierten Spielen geschehe antwortete Mohr, dass keinerlei Perspektive für Rugby in Deutschland auf dem jetzigen Niveau bestehe. Der Verband wäre lediglich bereit das Siebener-Rugby zu fördern und für das Fünfzehner gebe es seitens des DRV schlicht keinen Plan B seit der Trennung mit Dr. Wild. Auf die erneute Nachfrage, was sich seit dem Länderspiel gegen die USA in so kurzer Zeit geändert habe, entgegnete Mohr: „Nichts und genau das ist das Problem“. Angesprochen auf die zahlreichen Zuschauer, die sich bereits mit Karten eingedeckt hätten und die Tatsache, dass die Absage für diese ebenso sehr kurzfristig käme äußerte Mohr Verständnis - ergänzte anschließend, dass allen Interessierten das Ende der Kooperation zwischen WRA und DRV hätte klar sein müssen.
Beim DRV wiederum gab man sich schockiert: Präsident Klaus Blank äußerte sein „völliges Unverständnis“ und beurteilte die Aktion als inakzeptabel. DRV-Sportdirektor Manuel Wilhelm (Mohrs ehemaliger Partner in der zweiten Sturmreihe der DRV XV) bestätigte eine schriftliche Vereinbarung zwischen DRV und WRA, die für die laufende November-Serie gelte. Diese besage unter anderem, dass der DRV die Gehälter des Trainerteams um Potgieter und den neu verpflichteten England-Veteranen Botha übernehme und auch sonst für ähnliche Bedingungen, wie bei den letzten Länderspielen, sorge. Dass diese Vereinbarung nun nicht eingehalten werde, käme völlig überraschend.
Drastische Konsequenzen für das deutsche Rugby abgewendet - doch wie geht es weiter?
Für den Samstag ist das Spiel der DRV-Auswahl gesichert, auch wenn für die sturmstarken Chilenen für den kurzfristig in höchster Eile zusammengestellten Kader eine Mammutaufgabe werden. Damit wurde großer Schaden für den Verband abgewehrt. Denn im Falle einer Absage hätten nicht nur tausende Ticket-Käufer wütend reagiert, es hätten dem DRV auch ernstzunehmenden Konsequenzen durch den Weltverband und die Sponsoren gedroht. Es bleibt zu hoffen, dass sich World Rugby und die Unterstützer des DRV mit der gefundenen Notlösung zufrieden geben.
Wie die Perspektive jedoch für die anstehenden Rugby Europe Championship Spiele aussieht, ist derzeit noch völlig offen. DRV-Sportdirektor Wilhelm bestätigte zwar bei Meinsportradio die vorhandene Gesprächsbereitschaft beim DRV, doch ob nach diesem Super-GAU für das deutsche Rugby nicht zu viele Brücken zerstört sind, wird sich in den Wochen bis Weihnachten entscheiden. In den vergangenen 24 Stunden haben sich Spieler, die sich dem Boykott anschließen und solche, die am Samstag in Offenbach für Deutschland auflaufen gemeldet und betont: Uns geht es um das deutsche Rugby.
WRA-Manager Robert Mohr gegenüber Meinsportradio: „Für uns kommt es wenig überraschend für die Rugby-Community vielleicht schon. Wenn auch eigentlich alle nach dem DRT hätten Bescheid wissen müssen. Unsere Kooperationsverträge sind ausgelaufen. Wir haben trotzdem gesagt, wir stellen alle Leute frei. Aus zwei Gründen: A um herauszufinden was sich da entwickelt. Ob der Verband einen Schritt auf uns zukommt. Um zu sehen ob es den berühmten Plan B gibt. Außerdem wollten wir den Spielern, die Deutschland repräsentieren wollen, keine Steine in den Weg legen.
Die Situation nach zwei Spieltagen stellt sich so dar, dass wir wenig Perspektive sehen für die Zukunft für Rugby in Deutschland, zumindest unter den gegebenen Voraussetzungen. Unser Projekt war immer eine starke Nationalmannschaft aufzubauen, auf Spieler zu setzen, die nicht in Deutschland ausgebildet wurden und Erfolge zu haben. Parallel Spieler auszubilden, die die Erfolge weitertragen.
Jetzt ist es so, dass die Siebener-Nationalmannschaft sehr gut ausgestattet ist, mit zwei Development-Teams nach Dubai fährt. Die U-20 Nationalmannschaft ein Trainingswochenende gehabt hätte, das abgesagt wurde. Da sehen wir wenig Perspektive für die Zukunft.
Ein weiterer Grund ist, dass uns unterstellt wurde, dass keine Kommunikation zwischen Akademie und Verband stattgefunden habe. Dass die DRV XV mehr oder weniger autark organisiert wurde. Nun gut, wir trainieren 2 km entfernt, in Heidelberg wo Präsident, Sportdirektor und sonst wer wohnt. Von daher wäre es sicher einfach gewesen Kontakt aufzunehmen. Der Sportdirektor war glaube ich bei einem Training und hat sonst die Spiele auf Sport 1 kommentiert, von daher sehen wir da keinen Fortschritt.“
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