Achim Behring-Scheil - Ehrenpräsident NRV
Der deutsche Rugbysport am Scheideweg.
15er Nationalmannschaft spielt Herbstserie im „Sonderurlaub“.
von Achim Behring-Scheil – Ehrenpräsident des Niedersächsischen Rugby- Verbandes
Es rumort gewaltig im deutschen Rugbysport. Bei vielen Klubs und Rugbyfans herrscht Unverständnis über Entscheidungen und Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit.
Beherrschendes Thema, obwohl es von allen Seiten tot geschwiegen wird, ist der Zwist zwischen Dr. Wild/WRA und geschäftsführendem DRV-Vorstand (3 Personen)/Sportdirektor. Aus dem gesamten DRV-Präsidium (8 Personen) hört man durchaus gegensätzliche Positionen. Keine Informationen, keine gewollte Kommunikation, selbst auf dem Rugbytag wurde das Thema nur emotional kurz gestreift und war noch nicht einmal ein eigenständiger Tagesordnungspunkt. Also, die wichtigste Weichenstellung des deutschen Rugbysports wurde mal so nebenbei behandelt!? Verstehe dass wer will?
Wenn man denkt, wir sind über den Berg, dann das. Ohne Herrn Dr. Wild und Dr. Uli Byzio gäbe es den deutschen Rugbysport in der heutigen Form mit internationaler Anerkennung für 7er und 15er gar nicht. Mit ihren finanziellen Mitteln haben sie uns vor dem Konkurs gerettet. Und nicht nur das, der Aufschwung beider Teams ist unmittelbar mit dem Engagement von Herrn Dr. Wild verbunden.
Auf dem DRT 2017 sagte DRV-Präsident Klaus Blank: „ Wir haben einen Plan B, wenn der Vertrag mit der WRA nicht verlängert wird.“. Die Vereine haben es geglaubt. In einem kürzlich stattgefunden Gespräch auf Wunsch der Nationalmannschafts-Spielervertretung musste er zugeben, dass kein Plan B existiert. Jetzt spielen die Nationalspieler der WRA im „Sonderurlaub“ die Länderspielserie. Kein Witz, sondern traurige oder glückliche Wahrheit. Denn wer, wenn nicht unser bestes Team hätte denn gegen diese Gegner von herausforderndem internationalen Kaliber antreten sollen? Die WRA hat Spieler und Trainerstab frei gestellt, um diese 3 Spiele zu spielen. Dankeschön an die WRA, denn nicht auszudenken, welche Blamage dem deutschen Rugbysport widerfahren wäre, wenn hier die 2./3. Garnitur ohne internationale Erfahrung hätte antreten müssen.
Aber wie geht es weiter? Eine Katastrophe ist bei verhärteten Fronten im Anmarsch. Ohne die großzügige Unterstützung von Herrn Dr. Wild können und werden wir den Aufschwung im 7er und 15er Rugby nicht fortsetzen können. Sollte der Konflikt sich an einigen Personen entzünden, so empfiehlt sich auf Erfahrungen im Wirtschaftsleben zurückzugreifen. Die softe Lösung ist, einen unabhängigen Mediator einzuschalten. Die harte Lösung ist, handelnde Personen abzulösen, um zu einer für den deutschen Rugbysport befriedigenden Lösung zu kommen.
Und dann das Länderspiel in Leipzig! Was für eine miese Kulisse! Und dann von 2.600 Zuschauern zu sprechen, einfach lächerlich. Was für eine kalte Stimmung! Nur ein paar Schüler/innen feuerten das Nationalteam an. Was für unmögliche Trikotfarben, Hosenfarben und Stutzenfarben für die deutsche Nationalmannschaft! Adler fast auf der Schulter! .Jede Vereinsmannschaft sieht besser aus. Ich denke, dem Ehrenpräsidium werden die Augen geblitzt haben. So armselig haben wir uns lange nicht mehr präsentiert.
Und realistisch gesehen sind wir für eine Länderspielserie an 3 folgenden Wochenenden noch lange nicht geeignet. Sowohl im sportlichen Bereich ist es eine harte Herausforderung bei Gegnern dieses Kalibers, aber im Veranstaltungsbereich und hier speziell zuschauertechnisch grenzt es an Kannibalismus. Wer in Deutschland fährt denn an 3 Wochenenden zu Länderspielen quer durch die Republik? Zumal ja grad kurz zuvor die München Sevens stattgefunden haben.
Wenden wir den Blick vom internationalen Rugby zum nationalen Rugby. Hier pflügt der HRK durch die Bundesliga wie das Messer durch die Butter. Weit und breit keine Konkurrenz zu sehen. Die anderen Klubs stellen mittlerweile schon ihre Ersatzspieler auf, um Verletzungen der Stammspieler vorzubeugen!? Was für ein interessanter Wettbewerb! Und der DRV guckt zu, ohne auch mal ansatzweise das Thema Profis gegen Amateure anzufassen. Neben einem langweiligen und Zuschauer abhaltenden Wettbewerb greift hier sicher auch die Fürsorgepflicht für die Mehrheit der Spieler. Als Krönung wurde der HRK (oder die Wild Titans) noch nicht einmal vom DRV zum einzigen herausfordernden europäischen Wettbewerb, der Qualifikation für den EPCR, gemeldet. Erst nach Intervention wurde der HRK als „Kompromiss“ nachgemeldet. Was für eine unsägliche Sportpolitik.
Dann die Terminierung für die BuLi-Spiele. Samstags 13:00 Uhr zu spielen ist schon besonders und macht den veranstaltenden Vereinen keine Freude, da recht wenige Zuschauer zu dieser Uhrzeit den Weg auf den Sportplatz finden. Die Rückrunde ist noch gar nicht terminiert! Ha, ist denn das die Aufbaustaffel, wo mal nach Lust und Laune Termine vereinbart werden. Oh je und die Vereine jammern, aber halten still. Endspiele werden in der Regel kurzfristig vergeben, damit auch ja keine ausreichende Vorbereitung für den Veranstalter gegeben ist. Ergebnis: Grad mal ein paar Hundert Zuschauer, unzureichende Werbung und Vermarktung, Fernsehen Pustekuchen. Das bei der wichtigsten Veranstaltung des nationalen Rugbys! Und dann die aktuell die Terminierung des Nachholspiels SC Neuenheim: HRK. 1 Tag, ich wiederhole 1 Tag, nach dem Länderspiel gegen Chile soll der HRK mit seinen 16/17 Nationalspielern gegen den SCN antreten. Das hat im hart umkämpften Abstiegskampf „Geschmäckle“. Wer kommt denn auf solche Ideen?
Das „Projekt Grizzlies Berlin“ in der 1. BuLi Nord ist schon was ganz besonderes. Da kommt doch ein Manager mit ein bißchen Geld auf die Idee, viele ausländischen Spieler direkt zum Spieltag ein – und auszufliegen. Hilft dem deutschen Rugbysport enorm. Vor allem Vereinen, die jahrzehntelang Nachwuchs ausgebildet haben und dann das Nachsehen haben. Ich finde das Projekt sehr grenzwertig, da es nahezu auf Nachahmer mit einem Flughafen und Ryan Air, Easy Jet etc. wartet. In einer eigenständigen Profiliga könnte ich es noch akzeptieren. Aber ein Endspiel von 2 Vereinen, die ihre Spieler fast vollständig ein- und ausfliegen, sprengen meine Vorstellungskraft.
Im Nachwuchsbereich sind wir im schweren Sinkflug. Außer Frankfurt 80 und dem BRC haben alle Klubs zurzeit Schwierigkeiten. Gerade einmal 4 Teams bei der U18 DM, davon 2 Spielgemeinschaften! Aus der alten Hochburg Hannover kein Team! Bei der U16 DM sah es nicht viel besser aus. Alle Bundesligaklubs zusammen haben aktuell 52 Nachwuchsmannschaften von der U8 bis zur U 18! Das gibt im Schnitt 3,25 Teams pro Klub! Hört sich für einen Außenstehenden fast gut an, wenn nicht wenige Vereine in der U8 und U10 mehrere Teams am Start hätten und für eine Jugendarbeit, die Nachwuchs für die Herrenteams produzieren soll, es unablässig ist, alle Altersklassen besetzt zu haben. Im Süden sieht es bei Pforzheim und Neckarsulm ganz mau aus, im Norden bei Grizzlies, HRC und Leipzig. Insgesamt können nur 5 Klubs von 16 alle Altersklassen besetzen, aber davon auch 4 nur mit Spielgemeinschaften in der U18. Das Projekt „Get into Rugby“ hat löbliche Ansätze, aber wo sind die Kinder in den Vereinen? Deutschland Rugby hatte im Sommer 2017 gerade einmal 2.750 Lizenzen von der U6 bis U18 und das sind nicht alles Aktive, sondern da sind auch viele Papiertiger dabei. Portugal hat 4.800 Lizenzen bei nur 40 Vereinen. Mit dieser Basis wollen wir zur 7er- World Series bzw. zur 15er- WM? Geht nicht.
Woche für Woche sehe ich allenfalls befriedigende Leistungen unserer Schiedsrichter/innen in der 1. und 2. Bundesliga. Vom Jugendrugby ganz zu schweigen. Die Masse an Schiris ist dünn. Die „Masse“ an guten Schiris ist sehr dünn. In der letzten Saison mußten bereits Spiele wegen Schirimangel abgesagt werden! Aktuell diese Saison 1 Spiel. Einige Klubs, die sehr viel Geld in ihr Herrenrugby investieren, glänzen bei den TOP-Schiris durch Abwesenheit. Die DRV Spielordnung wird vom DRV nicht entsprechend konsequent angewandt, so dass viele Klubs ohne oder nur mit geringen Sanktionen davon kommen. Es ist bereits 5 nach 12! Und was kommt nach? Schiri-Obmann Tietge hat ein gutes Konzept, aber keine Unterstützung und kein Geld. Geht nicht.
Und wie sieht es bei den Finanzen aus? Nichts Genaues weiß man nicht. Wie hoch ist denn der Schuldenstand? Bis wann soll denn planmäßig alles wieder im Lot sein? Wo kommen die Gelder her? Werden sie vom Sport abgezogen? Denn dort spürt man es am Meisten. Die U20 konnte nur mit Geldern von Herrn Dr. Wild an der EM teilnehmen. Und in der Zukunft? Sitzt der Nachwuchs mit Plan B auf dem Trockenen? Die U18 muß für Testspiele ihre Fahrtkosten selbst bezahlen (oder die Klubs/LV). Wie will man im DRV einen vernünftigen Leistungssport ohne die großzügige Unterstützung von Herrn Dr. Wild betreiben? Hat er nicht in der Vergangenheit die 7er mit der Übernahme der Kosten für die Reisen nach Fiji, Australien, Afrika erst fit gemacht, um internationalen Ansprüchen gerecht zu werden? Jetzt soll es zukünftig die DRM richten, eine Marketing-Tochtergesellschaft des DRV. Diese DRM gibt es seit über 10 Jahren, ohne dass sie entsprechende Werbeeinnahmen generiert hat. Aber jetzt. Bei mir bestehen ernsthafte Zweifel, zumal bei einer Nichteinigung zwischen DRV und Herrn Dr. Wild/WRA die Frage auftaucht. „Was will man denn nun noch vermarkten?“. Eine 15er Nationalmannschaft, die in der 3. Division spielt? Eine 7er Nationalmannschaft, die fast ausschließlich im Ausland spielt oder wo die Marketingrechte für die München Sevens beim Veranstalter sind? Als Ausrichter von Länderspielen mit fast 10.000 Zuschauern und den Hannover Sevens mit 37.000 Zuschauern, übrigens noch immer die größte deutsche Rugbyveranstaltung, kann ich nur sagen, es ist ein sehr hartes Brot unseren Sport erstmal zu etablieren und dann auch noch Marketingeinnahmen zu generieren, die sich im Etat auch merklich auf Dauer abbilden lassen. Letztlich gehören dazu eine entsprechende Pressekampagne und Website, die permanent und aktuell berichten, sowie gute Kontakte in die Wirtschaft. Beides vermisse ich doch sehr stark bei der Herbstserie.
Verstehe dass alles wer will, ich nicht. Von einem großzügigen Unterstützer des deutschen Rugbysports haben wir immer geträumt. Unser Sport sollte wachsen, international erfolgreich sein und national wollten wir gesunde Klubs mit gesunden Wettbewerben. Jetzt haben wir die erste Aufmerksamkeit, die ersten Erfolge und dann ruinieren wir uns selbst. Der Sport ist größer als persönliche Eitelkeiten! Wer das nicht erkennt, sollte seiner Verantwortung gerecht werden und sozial kompetenteren und weitsichtigeren Leuten den Weg freimachen. Das gilt für beide Parteien.
Da es jetzt kurz vor Weihnachten ist, wünsche ich mir:
„ Lieber Herr Dr. Wild,
bitte beenden Sie nicht Ihr Engagement für den deutschen Rugbysport. Im Gegenteil, bitte verstärken/unterstützen Sie mit Ihrer Mannschaft die Anstrengungen der Vereine, im Schüler – und Jugendbereich mehr und ausreichend Nachwuchs zu gewinnen. Für die Marke „Capri Sun“ doch das ideale Betätigungsfeld. Auch die Ausbildung von Schiedsrichtern und Trainern sollte stärker unterstützt werden, denn die sind Mangelware in Deutschland.
Und last but not least würde ich mich über einen nachhaltigen und langfristigen Masterplan zur Förderung des deutschen Rugbysports aus der Feder der WRA sehr freuen.
„Liebes DRV-Präsidium,
bitte überdenken Sie alle, welche nachhaltigen und zukunftsweisenden Auswirkungen eine Beendigung/Nichtfortsetzung des Vertrages für den deutschen Rugbysport hat. Da wünsche ich mir als Demokrat doch die „Bürgerbeteiligung“, also einen außerordentlichen DRT, der nur die Zusammenarbeit WRA/DRV oder den DRV „Plan B“ auf der Tagesordnung hat und das an einem zentralen Ort, den möglichst viele Vereine besser als Hannover erreichen können.“
„Liebe Vereine,
bitte engagiert Euch in dieser Frage zur Zukunft des deutschen Rugbysports. Teilt dem DRV und der WRA Eure Sorgen und Nöte, Vorschläge, Ideen mit. Jetzt ist die Zeit „
Frohe Weihnachten und wie haben die Alten gesungen: “ Ein dreifach hoch dem Rugbyball, der Rugbysport ist überall, …“!
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