Siebener- oder Fünfzehner-Rugby? Beides! Wie Bastian Himmer und Marvin Dieckmann bewiesen haben. Foto (c) Keßler
Durch Rugby-Deutschland geht ein Riss. Nicht zwischen Nord und Süd oder Ost und West – sondern die Frage nach der klassischen Fünfzehner-Variante oder der olympischen Siebener-Spielart spaltet die Rugger der Bundesrepublik. Gegner der vor zwei Wochen in München während der DHL Oktoberfest 7s auf und neben dem Feld überaus erfolgreich zelebrierten Sprintversion üben nun in einer Berliner Zeitung massive Kritik an der olympischen Rugby-Disziplin. Doch wie dieser jüngst in der Zeitung „Junge Welt“ (JW) veröffentlichte Beitrag offenbart ergeben sich beim Autor und den Wortführern dabei eklatante Fehleinschätzungen sowie hier und dort mangelndes Fachwissen bezüglich des Siebener-Rugbys.
Der JW-Autor Oliver Rast lässt sich dabei von den angeführten Protagonisten für deren Sache vor den Karren spannen, zeigt dabei aber, dass er nur wenig in der Materie steckt, über die er schreibt. Denn im 15er-Rugby suchen Zuschauer vergebens einen „schlanken Sturm und eine breite Verteidigung“. Von der Physiognomie abgesehen, ist eine Mannschaft im Rugby nicht in Angriff und Verteidigung eingeteilt. Um einen bekannten Spruch des Rugby-Schiedsrichters Nigel Owens zu zitieren: „This is not soccer!“ Auch mit seinen Ausführungen zu der Schutzsperre für Siebener-Nationalspieler ("Grund: Die Spieler brauchen mehrere Trainingseinheiten, um sich wieder auf die Spielweise im 15er-Rugby einzustellen.") liegt Rast völlig daneben: Die Akteure benötigen nicht „mehrere Trainingseinheiten“, um sich von der olympischen auf die klassische Rugby-Variante umzustellen. Wie der Bundesliga-Spieltag am 3. Oktober, nur drei Tage nach den DHL Oktoberfest 7s, zeigte: Alle einsatzfähigen 7er-Nationalspieler, die im Münchener Olympiastadion aufliefen, kämpften in der 1. Bundesliga um Punkte – allesamt erfolgreich in ihren Vereinsfarben und zeigten, wie gut ausgebildet diese Akteure sind. Die Schutzsperre dient vielmehr dazu, den Spielern in der olympischen Rugby-Variante, die das Bundesinnenministerium (BMI) und der DOSB fördert, genügend Zeit zu verschaffen, sich intensiv auf eine erfolgreiche internationale 7er-Saison vorzubereiten.
In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass zum Kader der DRV VII mittlerweile zehn Sportsoldaten und zwei niedersächsische Landespolizisten gehören. Ihr Dienstbefehl lautet: Qualifikation für die olympischen Spiele 2020 in Tokio. Zudem erhalten zahlreiche weitere Spieler finanzielle Unterstützung durch die Sporthilfe. Somit ist das 7er-Rugby mittlerweile weit mehr als nur ein "Sommerspaß", das nun auch in Deutschland unter professionellen Bedingungen betrieben wird. Für das Bundesministerium des Innern und den DOSB hat das 15er-Rugby daher keine Bedeutung. Und doch hat das Siebener-Rugby auf dem Platz eine durchschlagende Wirkung auf das Fünfzehner-Rugby. So deutet aktuell die RGH ihre Ambitionen auf einem Platz im Bundesliga-Halbfinale an – getragen vor allem von zahlreichen Siebener-Nationalspielern, die vornehmlich in der Hintermannschaft der „Orange Hearts“ wirbeln. Mit dabei: Die beiden ehemaligen Stabhochsprung-Zwillinge Johannes und Simon Schreieck. Und auch beim TSV Handschuhsheim mischt mit Joshua Tasche ein ehemaliger Sprinter im 15er-Rugby munter mit. Alle drei sind Quereinsteiger aus der Leichtathletik, die der Deutsche Rugby-Verband (DRV) für sein Siebener-Programm gezielt gesichtet hat. Daher ist die Aussage des von dem JW-Autor zitierten Rugby-Abteilungsleiter des SC Frankfurt 1880, Christoph Gutmann, einfach irrig, dass man „aus einem Leichtathleten keinen versierten 15er-Spieler“ machen könne.
Und auch die Aussage von RK-03-Pressesprecher Lutz Joachim ist nur die halbe Wahrheit, dass Siebener- und Fünfzehner-Rugby „körperlich, taktisch und trainingsmethodisch“ zu unterschiedlich seien, „sodass eine Trennung der beiden Varianten unerlässlich“ sei. Die RG Heidelberg im Süden und der SC Germania List im Norden beweisen das Gegenteil. Und auch beim RK Heusenstamm wäre das Trainergespann sicherlich froh, auf die aktuell verletzten 7er-Akteure Tim Biniak, Sam Rainger und Leon Hees in der Fünfzehner-Bundesliga zurückgreifen zu können. Allesamt Spieler, die für jeden Verein aus der der 1. Bundesliga eine spielerische Verstärkung bedeuten würden. Und auch die U18-Junioren des DRV durchlaufen mittlerweile mehr Siebener- als Fünfzehner-Lehrgänge – einfach aus Mangel an sportlichen Alternativen in der klassischen Variante.
Interessant auch die Aussagen von RK-Präsident Ingo Goessgen, der in dem JW-Text „immer wieder Konflikte und Terminkollisionen mit der Fünfzehner-Bundesliga“ beklagt. Dabei hätte Goessgen als Vorsitzender des Bundesligaausschusses (BLA) alle Zügel in der Hand, diese Kontroversen zu minimieren. Doch stattdessen installiert der BLA einen DRV-Pokal, dessen sportlicher Wert sehr überschaubar ist und der angesichts der vielen Spielabsagen auch bei den Vereinen keinerlei Priorität darstellt. Zudem steigt nach der dritten Reform im dritten Jahr nach der Wiedereinführung die K.o.-Phase nun im Juni - mitten in der internationalen Siebener-Saison. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Gleichwohl steigt auch in Deutschland immer stärker das Interesse am olympischen Siebener-Rugby. Ein ansprechendes Turnierformat um die deutsche Siebener-Meisterschaft, wie der Manager des TV Pforzheim, Phil Paine, es in dem JW-Text anspricht, wäre daher wünschenswert. Probleme bereitet dabei aber die noch zu geringe Spielerdichte in Deutschland, wie Paine weiter korrekt anmerkt. Die fehlende Basis, aus der sich die sportliche Leistungsspitze entwickelt, betrifft aber auch das Fünfzehner-Rugby. Daher sind DRV und die Vereine aufgerufen, das sportliche Fundament zu vergrößern – damit Deutschland sowohl in der klassischen als auch in der olympischen Variante international dauerhaft konkurrenzfähig wird.
Leistungsträger im Fünfzehner- und Siebener-Rugby: Carlos Soteras-Merz
So baut der Berliner RC, Stadtkonkurrent des RK 03, seit geraumer Zeit eine schlagkräftige 7er-Truppe auf. Die Coepenick Captains haben sich zudem als reine Siebener-Mannschaft gegründet. Letztere nehmen an der neu gegründeten „Berlin Brandenburg 7s Series“ teil. Ironischerweise tut dies auch der RK 03, der zudem den zweiten Spieltag dieser Liga am 26. Oktober ausrichtet. Darüber hinaus hat der DRV neben Heidelberg und Hannover auch einen Siebener-Stützpunkt in der Hauptstadt eröffnet, an dem auch Fünfzehner-Spieler trainieren. Ein weiter Stützpunkt ist aktuell in Frankfurt geplant. Statt also den Sommer für eine Turnierserie um die deutsche Meisterschaft im Siebener-Rugby zu nutzen, spielen im Juni sukzessive immer weniger Vereine um die goldene Ananas, genannt DRV-Pokal. Ob der DRV daher „in den vergangenen Jahren nicht immer glückliche Entscheidungen getroffen“ habe, wie ausgerechnet Ex-DRV-Präsident Claus-Peter-Bach in der JW zitiert wird, sei dahingestellt. Denn den DRV-Pokal haben der BLA und die Bundesligavereine der 1. Und 2. Bundeliga wiedereingeführt. Das sportlich international erfolgreiche Siebener-Programm hat dagegen der DRV aufgebaut.
Und auch eine von Bach herbeigeredete Konkurrenz zwischen der 7er- und der 15er-Nationalmannschaft ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil, denn noch wechseln die Siebener-Spieler zwischen den beiden Varianten hin und her. Nicht immer zum Gefallen des DOSB sowie der entsprechenden Dienstherren bei der Bundeswehr und der Landespolizei. Zudem riskieren die Akteure ihre Sporthilfe, die ausschließlich an das 7er-Rugby gebunden ist.
Anzumerken ist auch, dass kein „Rugby-Reformer“, wie Autor Rast die Siebener-Befürworter bezeichnet, in dem Text zu Wort kommt. Diesen Reformern legt Rast mit Blick auf die Fünfzehner-Bundesliga in den Mund, dass die klassische Rugby-Variante nicht „TV-gerecht und zuschauerfreundlich“ sei. Dies liegt aber nicht an der Sportart – sondern einzig und allein, dass die Rugby-Bundesliga in seiner jetzigen Form nur wenig öffentliche und mediale Sogwirkung entwickelt. Dennoch hat das Fünfzehner-Rugby Vermarktungspotenzial wie die WM-Übertagungen auf Europsort oder die DRV XV mit ihren Livespielen auf Sport 1 gezeigt hat. Beide Rugby-Varianten sorgen für einen Aufschwung dieser Sportart in Deutschland, wie Alexander Wölffing, Leiter Sports bei Sport 1, in der JW zitiert wird. Das Fünfzehner-Rugby mit seinen Länderspielen in der Europe Rugby Championship im Rahmen der WM-Qualifikation 2019 in Japan und die olympische 7er-Variante mit Turnieren der wie den DHL Oktoberfest 7s tragen dazu ihren entsprechenden Anteil bei.
Sportlich spielt die DRV VII mittlerweile international im Konzert der Großen mit – das eben nicht als „Rugby-Häppchen für die Werbepause“ konzipiert ist, wie JW-Autor Oliver Rast fabuliert. Diese Entwicklung nun zu torpedieren, birgt die Gefahr, dass Rugby-Deutschland abermals eine globale Entwicklung in diesem Sport verpasst – und abermals in ausgetrampelten Pfaden nur auf der Stelle tritt, anstatt sportlich einen Sprung nach vorne zu machen. Denn die Siebener-Variante boomt weltweit - in traditionellen Rugby-Nationen, wie die SWS-Turniere in Kapstadt oder Sydney beweisen, aber auch darüber hinaus - wie beispielsweise in Kanada mit dem neuen World-Series-Turnier in Vancouver eindrucksvoll unter Beweis stellt. Auf diesen Zug und die Möglichkeit die sich damit bieten gilt es aufzuspringen. Dass sich Fünfzehner und Siebener-Nationalmannschaft gegenseitig hervorragend ergänzen können, hat sich in den letzten Monaten ebenso gezeigt: Als Raynor Parkinson mit der DRV VII in Hongkong fast die World-Series-Quali geschafft hat, oder als Bastian Himmer und Marvin Dieckmann die Personalnot der DRV XV auf den Außenpositionen linderten. Nur wenn in Deutschland aus der Glaubensfrage "Siebener oder Fünzehner" ein "sowohl als auch" wird, kann unser Sport in Deutschland prosperieren.
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