Halbzeit bis zur Rugby-WM in Japan 2019 - unser TotalRugby-Ranking der Nationalteams Teil 1
Geschrieben von TotalRugby Team
Mittwoch, 12. Juli 2017
Still on top of the world: Kapitän Kieran Read und die All Blacks. Foto (c) NZRU Instagram
Mit den Juni-Länderspielen und der Lions Series ist für die Top-Teams der Nordhemisphäre die Saison vorbei, während die Wallabies, All Blacks, Pumas und Springboks nun in die Rugby Championship einsteigen. Der internationale Fokus der Rugby-Öffentlichkeit wird sich in den kommenden Monaten nun vermehrt auf die WM 2019 in Japan richten. Zur Halbzeit des laufenden WM-Zyklus bieten wir euch erstmals unser TotalRugby-Ranking der Nationalmannschaften.
Die gute Nachricht dabei ist: Die europäischen Teams scheinen nicht mehr dermaßen chancenlos gegen die Süd-Teams zu sein, wie das noch bei der letzten WM der Fall gewesen ist. Nachdem kein Six-Nations-Team es unter die letzten vier geschafft hatte, dürfte sich dies 2019 in Japan eigentlich nicht noch Mal wiederholen. Doch die Favoritenrolle gebührt auch nach der abgelaufenen Lions Series eindeutig dem Titelverteidiger.
1.Neuseeland
Um sich die momentane Lage im Welt-Rugby ein Mal vor Augen zu führen: Die besten Spieler von vier Top-Ten-Mannschaften - die Nummer zwei, drei, sechs und sieben der Weltrangliste - bilden eine Super-Auswahl und gastieren für drei Länderspiele beim Weltmeister. Und dieser ist dann auch noch haushoher Favorit. Das Unentschieden der British&Irish Lions in Neuseeland, mit einer Niederlage, einem Sieg und dem dramatischen Unentschieden in der letzten Partie wurde in Großbritannien und Irland tatsächlich als Erfolg gewertet - so groß ist die Dominanz der All Blacks.
Ein Gedankenspiel soll an dieser Stelle als weiterer Beleg der Klasse der All Blacks herhalten: Hätte Lions Coach Gatland noch Neuseelands Spieler zur Auswahl gehabt, hätte er mindestens fünf von ihnen direkt in die Startaufstellung der Lions befördert (Verbinder Beauden Barrett, Gedrängehalb Aaron Smith, Prop Owen Franks, Achter Kieran Read, Zweite-Reihe-Brecher Brodie Retallick). Selbst die vermeintliche Neuseeland-Schwachstelle Mittelfeld - immerhin mussten die All Blacks die Abgänge von Conrad Smith und Ma’a Nonu, die zuvor jahrelang die Shirts mit der 12 und 13 gepachtet hatten sowie die Sperre von Superstar Sonny Bill Williams verkraften - war schlussendlich keine. Debütant Ngani Laumape, der erst im Vorjahr vom Rugby League zurück zu Union gewechselt war, erwies sich als Volltreffer. Bereits für seine Super-Rugby-Mannschaft Hurricanes hatte er nach Belieben gepunktet und bei seinem ersten Start-XV-Einsatz konnte er auch im sagenumwobenen schwarzen Shirt punkten.
Der nächste Superstar der All Blacks? Ngani Laumape
Neuseeland ist ohne jeden Zweifel die momentan beste Mannschaft der Welt. Die All Blacks haben nicht umsonst den WM-Titel als erste und bisher einzige Mannschaft zwei Mal in Folge holen können. Auch beim Turnier in zwei Jahren in Japan dürften die All Blacks als absolute Favoriten gehen. Das beängstigende als Nicht-Neuseeländer ist, wie wenig es den Neuseeländern ausmacht, Abgänge zu verkraften und noch stärker aus vermeintlichen Schwächungen zu werden. Die Tiefe in Neuseeland zeigt sich auch darin welch großartige Spieler in der Länderspiel-Serie erst gar nicht zum Einsatz kommen, sonstwo aber garantiert in der Start-XV wären: Nehe Millner-Skudder war für die All Blacks bei der letzten WM zusammen mit Julien Savea der beste Außen. Millner-Skudder schafft es momentan gar nicht in die Mannschaft und Savea kämpft mit Israel Dagg, Waisake Naholo und Rieko Ioane um einen Platz im Team. Damien McKenzie, Charlie Ngatai, James Lowe, Liam Messam und Tawera Kerr-Barlow schaffen es gar nicht erst in die Mannschaft. Realistisch gesehen würde es selbst Neuseeland B ins Halbfinale der nächsten WM schaffen.
2. England
Kein anderes Team konnte sich seit der letzten Weltmeisterschaft derart verbessern und folgerichtig dominierten die Engländer das europäische Rugby seitdem. Das Heim-WM-Debakel wirkte im englischen Team tatsächlich, wie ein reinigendes Gewitter und mit Trainer Eddie Jones wurde ein wahrer Weltklasse-Mann verpflichtet, der sein Team in kürzester Zeit zu ungeahnten Höhen führen konnte. Vergangenen Monat konnte eine Rumpftruppe der Engländer, ohne 17 wichtige Spieler im Lions-Einsatz, den in Bestbesetzung spielenden WM-Halbfinalisten Argentinien gleich zwei Mal in dessen Hinterhof schlagen. Wenn auch beide Resultate am Ende knapp waren (35:25 und 38:34), gelang es der Mannschaft von Jones in zwei unglaublich offenen und rasanten Duellen zu beweisen: England ist mittlerweile mehr als nur ein guter Sturm, sondern ist auch spielerisch mindestens zwei Klassen besser als noch vor Kurzem.
Wenn man sich zum Kader der sommerlichen Argentinien-Tour noch die fehlenden Lions und vor allem den unglaublichen starken momentan noch verletzten Achter Billy Vunipola dazudenkt, kommt man zu dem Schluss: Einzig England könnte realistischerweise zum ernsthaften Konkurrenten für Neuseeland werden. Die Engländer in den Kampf führen dürfte dabei Maro Itoje. Der erst 22-jährige Zweite-Reihe-Stürmer schlug als jüngster aller Lions-Spieler in seinen ersten Spielen gegen Neuseeland auf Anhieb ein, wie eine Granate. Als Ballträger unangenehm zu tacklen, aber erst recht defensiv in den Rucks und Paketen ein absolutes Monster. Itoje ist einer der wenigen, denen es gelingt die All-Blacks-Maschinerie zumindest zu verlangsamen. Als Fazit seiner Lions-Tour gab er dann auch selbstbewusst zu Protokoll: „Ich verstehe mittlerweile besser was die All Blacks ausmacht und was man braucht, um sie zu schlagen.
Tackles, Intercepts und gute Runs - Maro Itoje hat auf dieser Tour fast alles richtig gemacht
Ein weiterer Senkrechtstarter der Engländer bei den Lions ist Jamie George. Der Hakler fristet im England-Dress mit der roten Rose auf dem Revers noch ein Schattendasein hinter Kapitän Dylan Hartley. Bei den Lions jedoch durfte der bullige Erste-Reihe-Stürmer beweisen, was seine Vorzüge sind. Im offenen Spiel geradezu als vierter Dritte-Reihe-Stürmer fungierend und als Ballträger für jemanden mit seiner Statur unglaublich explosiv - George dürfte bald Hartleys Trikot mit der zwei erben. Wenn dann noch Billy Vunipola von seiner Schulter-Verletzung zurückkommt, haben die Engländer wahrlich einen Sturm zum Fürchten, auch wenn es gegen den Weltmeister geht.
Doch ob England wirklich das Zeug hat, um die All Blacks zu schlagen, werden wir so schnell leider nicht rausfinden. Zwar wird Neuseeland diesen November in Twickenham auflaufen, doch vor November nächsten Jahres ist kein Spiel zwischen beiden Teams geplant. Denn in diesem Jahr werden die All Blacks lediglich gegen die Barbarians spielen, in einem Rematch des Duells von vor fast 50 Jahren, das bis heute noch bei vielen Beobachtern als das beste Spiel jemals gilt. Auf ein angelachtes Spiel zwischen England und Neuseeland diesen Sommer konnten sich beide Verbände nicht einigen, dem Vernehmen nach hatten die Neuseeländer einen zu großen Teil der enormen Einnahmen gefordert, die die RFU mit jedem Heimspiel in Twickenham generiert.
3. Schottland
Ja Ihr habt richtig gelesen. Wir bei TotalRugby halten die Schotten für die momentan drittbeste Mannschaft der Welt und sehen diese damit gleich drei Plätze weiter vorne als das World Rugby Ranking. Zugegeben, die Schotten mussten bei den diesjährigen Six Nations eine derbe Niederlage in Twickenham sowie eine weitere knappe im Stade de France einstecken, gewannen aber die anderen drei der fünf Spiele. Schottland ist seit Jahren im Aufwind und der Trend begann bereits mit dem 2014 ins Amt gehievten Coach Vern Cotter. Der Australier brachte Schottland ins WM-Viertelfinale, wo nur eine unglückliche Entscheidung den stark aufspielenden Bravehearts gegen Australien einen Platz im Halbfinale kostete.
Insgesamt befindet sich das schottische Rugby seit Jahren im Aufwind. Die Glasgow Warriors haben sich zu einer richtigen Spitzenmannschaft entwickelt, die schottischen Siebener-Jungs haben gerade die beste Saison ihrer Geschichte gespielt in der sie erneut die London 7s gewinnen konnten und in Schottlands erster Fünfzehn befinden sich mit Schluss Stuart Hogg, Verbinder Finn Russel, den Gray-Brüdern in der zweiten Reihe sowie den momentan verletzten Innen Mark Bennett und Huw Jones etliche Spieler, für die man auch abseits des Murrayfield viel Verwendung finden würde. Vorbei sind die Zeiten, in denen Schottland lediglich mit Italien um den letzen Platz bei den Six Nations kämpfte.
Mittlerweile stellen sich auch die Resultate ein - nach zwei denkbar knappen Last-Minute-Niederlagen gegen Australien bei der WM und im vergangenen November konnten die Schotten Australien diesen November auswärts schlagen. Zwar ging der Sieg zu gewissem Grad in der Lions-Euphorie in Neuseeland unter, doch den Schotten gelang ohne Tommy Seymour und Stuart Hogg sowie einer Reihe von Verletzten ein beeindruckender Sieg in Sydney. Wohin kann die Reise also für die Schotten noch gehen? Ein erstmaliger Sieg bei den Six Nations wäre nicht dermaßen utopisch zumal die Schotten im kommenden Jahr England im Murrayfield empfangen dürfen. Neu-Trainer Gregor Townsend, der aufgrund seiner unglaublich erfolgreichen Arbeit mit Glasgow den eigentlich erfolgreichen Vern Cotter ersetzen durfte, hatte mit dem Sieg über Australien den perfekten Einstand. Der ehemalige Schottland-Innen ist durch seine Arbeit mit den Warriors mit einem Großteil des Kaders bestens vertraut und ist natürlich auch im schottischen Rugby bestens vernetzt - eine Einarbeitungsphase benötigt Townsend nicht.
Mit Schottland wird in den kommenden Monaten und bis zur WM zu rechnen sein, ein erstmaliger WM-Halbfinaleinzug, an dem die Schotten beim letzten Mal so knapp gescheitert waren, wäre ein realistisches Ziel. Mit Japan und Irland sowie höchstwahrscheinlich Rumänien sollte die Gruppenphase zumindest kein Problem sein für Schottland. Die Euphorie im schottischen Rugby ist da und manifestiert sich auch in Ticketverkäufen: Das Heimspiel gegen die All Blacks diese November war innerhalb von Stunden ausverkauft und auch das Rematch gegen die Wallabies war nach wenigen Tagen ausverkauft. Schottland ist wieder wer im Rugby.
4. Südafrika
Die Boks sind zurück. So zumindest lautete das stolze Fazit der südafrikanischen Öffentlichkeit nach den drei klaren Siegen über Frankreich im Juni. Waren die Boks mit erstmaligen Niederlagen auf heimischen Boden gegen Argentinien und Irland sowie auswärts gegen Italien und Wales in den vergangen beiden Jahren eher als nationale Schande wahrgenommen worden, ist das Selbstbewusstsein bei den Südafrikanern zurück. Angesichts der Ressourcen, über die das südafrikanische Rugby verfügt, ist es auch eine Selbstverständlichkeit, dass Südafrika in der Weltspitze mitspielt. Über eine halbe Million registrierte Vereinsspieler sowie eine dominante Stellung in der Öffentlichkeit, was sich bei Sponsoren und den Zuschauerzahlen ausdrückt, Südafrika hat die perfekten Voraussetzungen um im Welt-Rugby wieder seine dominante Stellung einzunehmen. Die vielfach kritisierten Versuche die nicht-weiße Bevölkerung vermehrt einzubinden und per Quote in Mannschaften zu hieven wird sich spätestens auf mittlere Sicht auszahlen.
In jedem der drei Spiele gegen Frankreich gelangen den Boks vier Versuche
Auf dem Feld scheint es Coach Allister Coetzee endlich zu gelingen, die im Super Rugby unglaublich erfolgreichen Lions in sein Springbok-Kader zu integrieren. In den drei Partien gegen Frankreich zog Verbinder Elton Jantjies wie auch bei seinen Lions die Strippen und konnte die pfeilschnellen Skosan, Kriel und Mapoe ein ums andere Mal in Szene setzen. Neu-Kapitän Warren Whiteley, ebenso von den Lions, führt einen Bok-Sturm an, der ebenso an besser Tage anzuknüpfen scheint. Während der sonst physisch extrem dominante Zweite-Reihe-Riese Eben Etzebeth nicht die allerbeste Sommer-Serie hatte, konnten Lions-Hakler Malcolm Marx und Stormers Flanker Siya Kolisi einiges an Eigenwerbung betreiben. In der kommenden Rugby Championship werden die Boks versuchen ihre magere Bilanz aus dem Vorjahr zu verbessern und zumindest Australien und Argentinien hinter sich zu lassen und zumindest nicht dermaßen gegen Neuseeland unterzugehen, wie das im Vorjahr der Fall war. Dann könnte im November in Dublin eine Revanche gegen Irland folgen. Südafrikas Weg zurück an die Weltspitze lässt sich nach den beeindruckenden Spielen gegen Frankreich leicht vorzeichnen. Es wird spannend zu sehen, ob die Boks den gestiegenen Ansprüchen gerecht werden können.
5. Irland
Obwohl Irland die letzte Nationalmannschaft war, der es gelang die übermächtigen All Blacks schlagen zu können, sehen wir das Team von Trainer Joe Schmidt momentan nur auf Rang fünf weltweit. Zugegeben, in Prop Tadh Furlong, Verbinder Johnny Sexton, Neuner Conor Murray mit Abstrichen auch CJ Stander und Peter O’Mahoney konnten auf der Lions-Tour nach Neuseeland einige Iren überzeugen. Doch nach den Six Nations diesen Frühjahr, als Irland als Favorit gegen Schottland und Wales verlor, steht zumindest in Sachen Konstanz ein großes Fragezeichen hinter den Iren. An einem guten Tag können auch die Iren jeden schlagen, jedoch steht auch bei der Mannschaft mit dem Kleeblatt auf dem Revers ein Halbfinaleinzug noch aus. 2019 könnte mit einer vermeintlich einfachen Gruppe (Schottland, Japan und wahrscheinlich Rumänien) genau der richtige Zeitpunkt sein. Ob der dann 34-jährige Johnny Sexton noch Irlands Verbinder sein wird, steht noch in den Sternen. Ein weiterer Umbruch wird auf der Hakler-Position von Nöten sein, denn Kapitän Rory Best wird zum Turnier in Japan bereits 37 sein.
Doch während Irlands Tiefe in den vergangenen Jahren auf vielen Position, allen voran der dritten Sturmreihe, zugenommen hat, werden diese beiden Positionen schwer gleichwertig zu besetzen sein. Der etwas biedere Paddy Jackson wird wohl der Sexton-Ersatz werden, während Munsters Niall Scannel auf der erfolgreichen Japan-Tour der Iren das grüne Trikot mit der zwei trug. Beide werden von Trainer Joe Schmidt noch an das internationale Spitzenniveau herangeführt werden. Der absolute Härtetest erwartet die Boys in Green im kommenden November, wenn die Springboks zu Besuch in der Hauptstadt Dublin sein werden. Sollte Irland bei der kommenden WM endlich Mal über das Viertelfinale herauskommen wollen, muss hier ein Sieg her.
Flyhalf bei Irland
Ich seh da eher den jungen Carbery als Nachfolger von Sexton. Der Junge hat Potential. Jackson sehe ich da eher erst als zweite Alternative hinter Sexton. Und leider nimmt man sich mit der Regel, nur Spieler, die auch in Irland spielen, ins Nationalteam zu berufen, die Möglichkeit, einen international erfahrenen Mann wie Madigan.
Juli 12, 2017
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