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Die Lions vor Spiel 1 gegen die All Blacks: Haben die besten Spieler Europas überhaupt eine Chance?
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Geschrieben von TotalRugby Team   
Mittwoch, 21. Juni 2017

Gegen die Neuseeland Maori-Auswahl konnten die Lions ihre traditionellen Stärken ausspielen, gelingt ihnen das auch gegen die All Blacks? Foto (c) Lions Instagram
Gegen die Neuseeland Maori-Auswahl konnten die Lions ihre traditionellen Stärken ausspielen, gelingt ihnen das auch gegen die All Blacks? Foto (c) Lions Instagram

Lions-Touren sind legendär - seit dem Jahr 1888 touren die besten Spieler Irlands, Englands, Wales und Schottlands einmal alle (im Regelfall) vier Jahre, werden von zehntausenden Fans ans andere Ende der Welt begleitet und nehmen es mit einer der drei Südhemisphären-Rugbygroßmächte auf. Ein Lion zu werden und gegen Südafrika, Australien oder Neuseeland zu spielen ist die höchste Ehre für die besten Spieler der „Home Nations“. Für die Gastgeber jedoch ist es fast noch eine größere Ehre es mit den Lions aufnehmen zu dürfen, zumal sich für sie diese Chance nur alle zwölf Jahre ergibt.

Doch auch wenn die Lions im Endeffekt eine Super-Auswahl aus vier Top-Ten Nationalmannschaften in der Weltrangliste sind, ist ihr Erfolg alles andere als garantiert. Nur ein einziges Mal konnte eine Lions-Auswahl eine Drei-Spiele-Serie gegen Neuseeland gewinnen und das war im Jahr 1971. Die letzten beiden Touren nach Südafrika 2009 und Neuseeland 2005 gingen jeweils verloren, lediglich gegen schwächelnde Wallabies gelang 2013 ein 2:1 Sieg in der drei Spiele dauernden Serie.


Seit der Professionalisierung des Rugby-Sports im Jahr 1995 sind die Rahmenbedingungen für die Lions-Touren dabei nicht einfacher geworden. Auch wenn die monatelangen Bootsfahrten der frühen Jahre zum Glück eine Sache der Vergangenheit sind - der internationale Rugby-Kalender ist mittlerweile dermaßen vollgestopft, dass den Auserwählten zwischen ihrem letzten Liga-Spiel und dem ersten Tour-Spiel nicht einmal mehr eine Woche bleibt.


Angesichts der 30-stündigen Reise und der zehnstündigen Zeitverschiebung alles andere als optimal. Während die All Blacks, die allesamt bei einem der fünf neuseeländischen Super Rugby Teams spielen, regelmäßig zu Trainingscamps zusammenkommen, haben die Lions-Spieler noch vor etwa zehn Wochen mit ihren Nationalteams gegeneinander die Six Nations ausgefochten. Kein Wunder also, dass die Lions bei der diesjährigen Tour ihr erstes Warmup-Match gegen die sogenannten NZ-Barbarians, eine Auswahl aus Spielern des zweitklassigen Mitre 10 Cups, mit nur 13:7 gewinnen konnten. Weder hatten die Spieler nach sechs Tagen die extrem lange Anreise verdaut, noch konnten sie die so wichtigen Kombinationen auf dem Platz etablieren.


Welche Chance eine solche Tour bietet, ist allen beteiligten klar, man kann sich unsterblich machen. Legendäre Namen einerseits bei den Lions, wie Phil Bennet, JPR Williams, Willie John McBride (mit 17 Lions-Spielen der ewige Rekordhalter), Gareth Edwards oder Brian O’Driscoll sind untrennbar mit den Lions verbunden. In Neuseeland wiederum wurde passenderweise zum Auftakt der Lions-Tour eine Statue von Sir Colin Meads enthüllt, der es in seinen 14 Jahren als All-Black-Lock und Kapitän mit gleich mehreren tourenden Lions-Teams aufnehmen durfte.

 

Mit dem Dropgoal zum einzigen Lions-Sieg in Neuseeland im Jahr 1971 machte sich JPR Williams unsterblich

Bei der letzten Lions-Tour in Neuseeland 2005 ging bei den Neuseeländern der Stern eines damals noch recht unerfahrenen Verbinders auf - sein Name: Dan Carter. Erst Monate zuvor hatte er dem legendären Carlos Spencer das berühmte schwarze Shirt mit der Nummer zehn abgenommen, als ihm im wohl besten Spiel seiner Karriere 33 Punkte(2 Versuche, 5 Straftritte und 4 Erhöhungen) gegen die Lions gelangen, wohl ein Rekord für die Ewigkeit. Sein Name war in aller Munde und es sollte zehn Jahre dauern, bis Carter nach seinem zweiten WM-Titel mit Neuseeland aus der besten Nationalmannschaft der Welt zurücktreten würde.

Damals gewann Neuseeland deutlich alle drei Länderspiele gegen die Lions und die Tour galt gemeinhin als Desaster für das Nordhemisphären-Rugby. Immerhin waren doch zahlreiche amtierende Weltmeister der Engländer von 2003 mit an Bord sowie junge aufstrebende Talente, wie ein gewisser Brian O’Driscoll. Doch dessen verletzungsbedingtes Aus im ersten Länderspiel, durch ein unsauberes Cleanout von Tana Umaga, das zu einer Art Spear-Tackle wurde und den Iren seine Schulter und damit die Tour gekostet hatte, erregt heute noch die Gemüter. Umaga, der heute Coach der Blues ist, musste sich auf der Pressekonferenz in der vorletzten Woche noch immer einige Fragen zu dem Vorfall aus dem Jahr 2005 anhören. Rein sportlich gesehen ist Neuseeland seither im Welt-Rugby nur noch dominanter geworden, was die Schwere der Aufgabe der tourenden Lions verdeutlicht.

 

Das vorzeitige Ende von Kapitän O'Driscolls Lions Tour im Jahr 2005 durch ein unsportliches Cleanout von Umaga und Mealamu


Die ersten Spiele der diesjährigen Tour bestätigten dies nur noch weiter. Gegen die Super Rugby Teams des Landes, zum Teil beraubt um ihre All Blacks Spieler, gab es in den bisher vier Spielen nur eine gemischte Bilanz. Gerade gegen die eigentlich schlechteste Super Rugby Mannschaft des Landes, die Auckland Blues, wurden die seltenen Gäste im Eden Park in allerletzter Sekunde mit einem spektakulären Versuch versenkt. Ein Sonny Bill Williams Offload der Extraklasse auf Verbinder Ihaia West kostete die Lions deren Führung, sprichwörtlich in allerletzter Minute.

Insgesamt ist die Festung Eden Park eines der größten Probleme der Gäste. Zwei der drei Länderspiele werden im größten Stadion des kleinen Landes am anderen Ende der Welt ausgetragen. Während Neuseeland insgesamt schon eine beeindruckende Bilanz daheim vorzuweisen hat (46 Siege, keine Niederlage seit 2009), ist die Heimbilanz in der „Festung Eden Park“ geradezu furchteinflößend. Seit dem Jahr 1994, als Frankreich mit dem „Versuch vom anderen Ende der Welt“ in Auckland mit 23:20 gewinnen konnte, haben die All Blacks im Eden Park nicht mehr verloren und dabei ganze 37 Siege aneinandergereiht.

 

Der letzte Sieg einer Gastmannschaft im Eden Park liegt mittlerweile 23 Jahre zurück und es bedurfte damals eines besonderen Versuchs der Franzosen


Wie können die Lions diese Dominanz brechen? Viele Experten sind sich einig - Mit den traditionellen Stärken des Nordhemisphären-Rugbys: Gedränge, Gasse, Pakete und vor allem mit einer kompromisslosen Defensiv-Leistung. Die All Blacks in ihrem Tempo-Spiel schlagen zu wollen dagegen sei Selbstmord, so beispielsweise der ehemalige walisische Nationalspieler und Guardian-Kolumnist Paul Rees.


Mental-Spielchen zwischen dem neuseeländischen Trainer der Lions Warren Gatland und seinem Weltmeister-Coach gegenüber haben so langsam richtig Fahrt aufgenommen. Während der Gäste-Trainer die unfairen Taktiken der Neuseeländer - vor allem das „pre-engagement“ genannte zu frühe binden und Einlehnen im Gedränge, noch bevor der Schiedsrichter „set“ sagt, sowie das ständige Blockieren abseits des Balles bemängelte und dies den Schiedsrichtern ohne Zweifel auch klar machen dürfte, schoss sich sein Gegner auf ihn persönlich ein. Neuseeland-Coach-Hansen sah sich genötigt sein Gegenüber zu fragen: „Er erzählt immer wieder er habe noch ein Ass im Ärmel, Mal sehen ob da noch mehr als Arm in seinem Ärmel ist.“ Es wäre schon sehr verwunderlich wenn Gatland, der zwischen den Lions-Touren Wales betreut, von seiner bewährten „Warren-Ball“ Taktik abweiche so der Heim-Trainer weiter. Diese beschreibt die auf harte Läufer, die ohne viel Schnickschnack in die Linie krachen ausgelegte Taktik, die den Gegner ohne jede Finesse überwältigen soll. Doch für diese Taktik fehlt Gatland ein entscheidender Baustein: Billy Vunipola, Englands 130 kg schwere Nummer Acht, musste bereits letzten Monat verletzungsbedingt absagen.


Beim Personal muss wird Lions-Coach Gatland aller Voraussicht nach in Spiel eins ebenso auf England-Verbinder/Innen Owen Farrell verzichten müssen. Der formstarke Kreativspieler, der wegen seiner starken Defensive und vor allem seiner hervorragenden Kick-Qualitäten als gesetzt galt, würde den Lions merklich fehlen. Mit Johnny Sexton steht zwar ein weiterer Weltklasse-Verbinder in den Reihen der Lions, doch eine Kombination von Sexton auf der zehn und Farrell auf der zwölf könnte das Kreativ-Defizit der Lions wettmachen. Denn in den bisherigen Spielen fiel es den Lions gegen die NZ Barbarians und die geschwächt antretenden Super Rugby Teams nicht sonderlich leicht Versuche zu erzielen. Gegen die Weltklasse-Defensive der All Blacks dürfte das noch schwieriger werden.


Das könnte ultimativ zu einem riesigen Problem werden - denn das letzte Mal als die All Blacks von einem Gegner geschlagen wurden, der weniger als 25 Punkte erzielt hat, war 2011 in Port Elizabeth gegen die Springboks. Die letzte Niederlage daheim passierte ebenso gegen die Boks im Jahr 2009, als der damals amtierende Weltmeister in Hamilton mit 32:29 siegreich vom Platz zog. Die All Blacks also nur durch ein paar Straftritte vom bombensicheren Kicker, aber im offenen Spiel recht biederen Schluss Leigh Halfpenny zu schlagen, wird keine realistische Option sein. Es müssen Versuche her, so viel steht fest. Wenn sich für die Lions ein spielerisches Übergewicht ergeben sollte, dann wohl im Sturm. Das weiß man auch in Neuseeland. Zweite-Reihe-Stürmer der All Blacks Sam Whitelock fühlt sich vor dem ersten richtigen Lions-Spiel dennoch „wie beim ersten Mal in Disneyland“.


Dabei hat der Hüne bereits mit seinen Crusaders die Bekanntschaft mit den Lions machen dürften. Diese hätten das Spiel seiner Crusaders „stranguliert“ mit ihrer schnell aufrückenden Defensive und dem taktischen Kick-Spiel. Dagegen gelte es geduldig zu bleiben und deutlich weniger Straftritte zu kassieren. Was Whitelock jedoch nicht erwähnte, im schwarzen Shirt mit dem silbernen Farn, wird er mit Verbinder Beauden Barrett eine Wunderwaffe gegen solche Taktiken an seiner Seite haben. Schnell aufrückende Dreiviertelreihen sezierte der Verbinder der All Blacks in den letzten Jahren für Neuseeland und die Hurricanes regelmäßig mit seinem überragenden Kickspiel. Ob nun ein Bodenroller Richtung Eckfahne, ein kurzer Chip-Kick über die Defensiv-Linie, oder ein punktgenauer Cross-Kick auf die Außen - Barretts Arsenal dürfte den Lions und deren „Rush-Defence“ noch viele Sorgen bereiten.

 

All Blacks Nr. 10 Barrett ist mit seinen Kicks die beste Waffe gegen eine Rush-Defence


Lions-Prop Dan Cole ließ sich ein wenig mehr in die Karten schauen als sein Coach. „Natürlich werden wir unsere Stärken ausspielen müssen“,  „zu versuchen wie Neuseeland zu spielen geht nicht, das kann nur Neuseeland.“ Die Vorteile der Gäste im Sturm sind durch zwei eventuelle Ausfälle bei den Gastgebern sogar vielleicht noch verstärkt. Mit Hakler Dane Coles sowie Kapitän und Nummer acht Kieran Read fehlen eventuell zwei ganz wichtige Anker im engen Sturmspiel, aber erst recht im offenen Sturmspiel. Denn beide sind unglaublich stark in den offenen, haben aber die Geschwindigkeit eines Innen und sind die beiden größten Offensiv-Waffen im All Blacks Sturm.


Wer wird also im ersten der drei Länderspiele am Samstag um 9:35 deutscher Zeit siegreich hervorgehen? In Neuseeland wird ein ganzes Land dieses Spiel im Eden Park verfolgen und auch in England, Schottland, Wales und Irland werden die Pubs und Wohnzimmer mit gebannt schauenden Lions-Fans gefüllt sein. Die Favoritenbürde liegt beim Weltmeister, aber vielleicht geht ja auch der Stern des jüngsten Spielers der Lions, England-Lock Maro Itoje, endgültig auf. Es wird spannend zu verfolgen sein.

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