Irlands Rugby-Nationalmannschaft lag lange hinter den eigenen Erwartungen zurück, ehe die Mannschaft am letzten Spieltag gegen England siegreich war
Mit England gab es dieses Jahr keinen Überraschungssieger bei den Six Nations. Die Mannschaft von Trainer Eddie Jones galt vor dem Turnier bei den meisten Experten als der heißeste Favorit auf den Titel. Diesen haben sich Jones Männer dann auch gesichert. Doch im Laufe des Turniers ist ebenso klar geworden: Die Engländer sind alles andere als unschlagbar, Dahinter tummeln sich zudem gleich vier nahezu ebenbürtige Verfolger, bei denen jeder jeden schlagen kann. Das Sechs-Nationen-Turnier verspricht daher in den nächsten Jahren verdammt spannend zu werden. Doch in den kommenden Monaten wird besonders ein Thema die Rugby-Medienlandschaft bestimmen: Die British and Irish Lions Tour nach Neuseeland. Spätestens dann wird sich zeigen, wie es um den Aufschwung von Europas Rugby-Elite bestellt ist. Gegen die All Blacks werden Europas beste Spieler die ultimative Feuerprobe bestehen müssen.
TotalRugby-Zeugnis
England
Die Mannschaft von Eddie Jones ist ihrer Favoriten-Rolle bei den diesjährigen Six Nations gerecht geworden. Die Titelverteidigung ist für das Mutterland unseres Sportes die erste seit 2001. Doch anstatt sich signifikant weiterzuentwickeln und die eigene Dominanz auszubauen, ist die Lücke zwischen England und den Verfolgern eher geschrumpft. Nicht nur die abschließende Niederlage gegen Irland, bei der die englische Mannschaft keine Mittel gegen die hervorragende Defensive der Iren gefunden hatte, auch die knappen und zum Teil glücklichen Siege gegen Wales und Frankreich waren nicht sonderlich überzeugend. Einzig der souveräne Sieg gegen die ambitionierten Schotten untermauerte Englands Anspruch die mit Abstand beste Mannschaft Europas zu sein.
Unter diesen Umständen den Weltrekord der All Blacks - 18 Länderspiele in Folge zu gewinnen - zu brechen, hätte einen faden Beigeschmack gehabt. Zum einen wäre dieser Rekord zustande gekommen, ohne die beste Mannschaft der Welt geschlagen zu haben. Und weiterhin strahlte die englische Mannschaft nie eine derartige Dominanz aus, wie es die All Blacks in den letzten Jahren getan haben.
Dennoch ist England unter den Top-Teams der Nord-Hemisphäre zumindest die konstanteste Mannschaft. Mit der soliden Plattform durch den selbst auf Weltklasse-Niveau dominanten Sturm gelingt es den Engländern potenziell jeder Mannschaft über 80 Minuten wehzutun. Eddie Jones hatte sich bei seinem Amtsantritt vor einem guten Jahr angeschickt, die im Welt-Rugby verbreitete Angst vor Englands Stürmern wiederherzustellen und zumindest das ist ihm gewonnen.
Die Dreiviertelreihe dagegen hat unglaubliches Potenzial - siehe der Angriffs-Wirbel gegen Schottland - kann aber ebenso einfach neutralisiert werden. Irland gelang genau dies am Samstag mit einer Rush-Defence, also einem schnell aufrückendem Mittelfeld, das die Ballstaffette nach Außen abschneidet. Um eine solche Verteidigungs-Strategie zum umgehen, setzt Eddie Jones mit Owen Farrell auf der Zwölf auf einen zweiten gelernten Verbinder. Dieser kann bei Bedarf den Ball hinter die erste Reihe von Dummy-Läufern oder direkt weit geben, doch Irland übte derartigen Druck aus, dass Englands Angriffe nie wirklich ins Rollen kamen.
Genau dies hat Trainer Jones auch erkannt und betonte im Nachgang an die Niederlage in Irland, dass man noch lange nicht am Ende der eigenen Entwicklung angekommen sei. Seine Arbeit sei auf das Jahr 2019 und damit auf die kommende WM ausgerichtet. Angesichts Jones bisheriger Erfolge als Trainer ist England in den kommenden Jahren noch einiges zuzutrauen. Und die Neu-Ansetzung eines Länderspiels gegen die All Blacks im kommenden November zeigt, England will wieder auf den Thron der besten Mannschaft im Welt-Rugby.
Dylan Hartley, England-Kapitän war ebenso mit der Leistung seiner Mannschaft nicht zufrieden: „Es zeigt, dass wir als Mannschaft noch nicht dort sind ,wo wir hinwollen.“
Irland
Der Six-Nations-Sieger von 2013 und 2014 galt vor dem Turnier als der größte Herausforderer Englands und kurioserweise konnte die Mannschaft vom neuseeländischen Trainer Joe Schmidt erst am letzten Spieltag - mit einem Sieg über die bereits als Turniersieger feststehenden Engländer - diese Rolle bestätigen. Irland hat eine wunderbar eingespielte Mannschaft, in Johnny Sexton und Conor Murray das wohl beste Duo aus Verbinder und Gedrängehalb Europas und zudem die wohl stärkste dritte Sturmreihe des Championats. Als sich Nummer acht Jamie Heaslip vor dem England-Spiel im Warm Up verletzte konnte Joe Schmidt mit Peter O’Mahoney einen extrem erfahrenen Akteur in die Startaufstellung bringen, der zum Man of the Match avancieren sollte. Solche Aufstellungssorgen, wie Schmidt sie in Irlands dritter Reihe hat, wünscht sich so ziemlich jeder Trainer.
Doch der Ausfall von Strippenzieher Sexton zu Beginn des Turniers war für die Iren ein kaum wettzumachender Rückschlag. Mit der Auftaktniederlage gegen die Schotten befand sich Irland von Beginn an unter gehörigem Druck den Abstand gegenüber England nicht zu groß werden zu lassen. Gerade auswärts ließ Irland dabei zu viele Federn.
Gegen Wales schien Irland seltsam unkonzentriert und machte im entscheidenden Moment zu viele Fehler. Als Irland-Außen Keith Earls am Samstag gegen England nur Meter vor der Linie einen scheinbar sicheren Versuch wegwarf, stellte man sich als geneigter Beobachter erneut die Frage. Wird die irische Mannschaft diese erneut Unkonzentriertheit am Ende teuer zu stehen kommen? Doch Irland gab mit einer dominanten Leistung und nahezu perfekter Verteidigung selbst die Antwort. Irland wird damit auch in den kommenden Jahren zu den automatischen Titelkandidaten gehören. Besonders erfreulich für Irland: Mit Kieran Marmion und Luke McGrath haben die Iren gleich zwei talentierte Nachwuchs-Neuner, die bei einem Ausfall von Conor Murray bereit stehen. Doch ein Ausfall vom mittlerweile 31-jährigen Sexton dagegen, ist für Irland weiterhin schwer zu kompensieren. Mit Paddy Jackson und Ian Madigan ist der Qualitäts-Abfall bereits ein gehöriger.
Frankreich
Ebenso wie Irland und Schottland am Ende mit 14 Punkten auf dem Konto und damit Dritter der diesjährigen Six Nations. Im Vergleich zu den üblen Leistungen in Jahren seit dem letzten Sieg 2010 sicherlich ein Fortschritt, doch Frankreich unter Guy Novès steht noch vor einem langen Weg, um wieder an den alten Glanz anknüpfen zu können. Mit dem Sieg über Wales konnten die Franzosen immerhin ein Abrutschen in den dritten Lostopf bei der kommenden WM verhindern, doch die Frage ist um welchen Preis. Bis zur 100. Minute musste Frankreich um den Sieg kämpfen und tat dies nicht immer mit koscheren Mitteln. Wales-Winger George North hatte nach einem unübersichtlichen Ruck deutliche Bissspuren vorzuweisen. Doch die TV-Bilder lieferten keinen glasklaren Beweis, so dass der vermeintliche Biss eines Franzosen ohne Konsequenzen blieb.
Noch dubioser war die Wiedereinwechslung von Prop Rabah Slimani in der Nachspielzeit der Partie. Sein Ersatz Atonio war bei weitem nicht so dominant in den Gedrängen und zu Beginn der Nachspielzeit, just vor einem Gedränge, stürmte der französische Teamarzt auf das Feld und meldete sich bei Schiedsrichter Wayne Barnes, um Atonio einer Gehirnerschütterungs-Untersuchung zu unterziehen. Dieser konnte sich dem Urteil des Doktors nur schwer widersetzen und ließ den Wechsel zu. In der Folge konnte Frankreich, nun mit dem besseren Prop Slimani, einen Straftritt im Gedränge nach dem anderen herausholen und sich so schlussendlich den so wichtigen Sieg gegen Wales sichern.
Spielerisch war für Frankreich über das Turnier hinweg kein wirklicher Aufschwung zu erkennen. Der „XV de France“ gelangen gerade einmal acht Versuche, nur einer mehr als im Vorjahr und einzig von den abgeschlagenen Italienern unterboten. Dennoch stand Frankreich ausgerechnet gegen England in London kurz vor der Sensation und musste sich am Ende nur hauchdünn geschlagen geben. Positiv zu erwähnen bleibt, dass sich mit Baptiste Serin ein junger kreativer und vor allem unerschrockener Spieler auf der Neun festgespielt hat. Ob Camille Lopez Frankreichs Zukunft auf der Zehn ist, bleibt dagegen zumindest fraglich.
Schottland
Am Ende ist es nur ein vierter Platz, den Schottland nach einem formidablen Championat mit nach Hause nimmt. Siege gegen Irland, Wales und Italien bedeuten das beste Heimresultat seit 26 Jahren. Schottlands Aufwärtstrend unter dem scheidenden Trainer Vern Cotter ist unverkennbar. Doch die große Enttäuschung erfolgte am vorvergangenen Wochenende als Schottland auswärts beim Erzrivalen England antreten musste. Seit dem letzten Sieg im Jahr 1983 war eine schottische Mannschaft mit derart viel Selbstbewusstsein zum Rugby HQ, wie Twickenham in England auch gerne genannt wird, gefahren. Doch anstatt den bis dahin nicht sonderlich überzeugenden Engländern einen harten Kampf zu liefern, ließen sich die Bravehearts düpieren und kassierten die höchste Niederlage gegen England jemals.
Gegen die bis dahin hoffnungslos unterlegenen Italiener gelang Schottland zum Abschluss des Turniers noch der Bonuspunkt-Sieg, der eventuell gar zu Platz zwei hätten reichen können. War man in den letzten Jahren in einem Dauer-Duell um den letzten Platz mit den Italienern, ist man bei Schottland immerhin dahingehend jetzt einen Schritt weiter. Die Hintermannschaft um Verbinder Finn Russel und Stuart Hogg ist das Kronjuwel und sobald Schottlands bester Prop W.P. Nel wieder das Gedränge stabilisiert, wird man den Schotten auch höhere Weihen zutrauen können. Doch das größte Problem der Schotten bleibt deren mangelnde Tiefe. Mit nur zwei Profi-Teams im Land, sowie einer Handvoll Legionäre kann jeder Ausfall teuer zu stehen kommen. Kapitän und Gedrängehalb Leidlaw wurde durch Ali Price ordentlich vertreten, doch der Qualitäts-Abfall von Verbinder Finn Russel zu seinem Ersatz Duncan Weir beim England-Debakel war ein riesiges Problem für die Schotten.
Im kommenden Sommer wird Glasgows jetziger Trainer Gregor Townsend das Zepter bei den Schotten übernehmen. Der ehemalige Schottland-Innen hat innerhalb von nur 5 Jahren seine Warriors als Trainer vom Kellerkind zum europäischen Spitzenklub entwickelt. Bei Schottlands Verband war man derart von Townsends Talent überzeugt, dass man den erfolgreichen Trainer Vern Cotter herauskomplimentierte um Platz für Townsend zu machen. Es wird spannend zu sehen sein, was Townsend aus der soliden Basis seines Vorgängers Cotter im Stande ist aufzubauen.
Wales
Für die Waliser standen diesjährigen Six Nations von Anfang an unter besonderen Vorzeichen. Cheftrainer Warren Gatland - der in diesem Sommer die British&Irish Lions nach Neuseeland führen wird - übergab seinem Assistenten Rob Howley temporär das Zepter als walisischer Headcoach. Dessen Bilanz: zwei Siege und drei Niederlagen. Das klingt nach einem schlechten Jahr für die Waliser, doch so einfach ist dies nicht. Der Sieg gegen Irland, sowie die sehr gute Leistung gegen England haben gezeigt - Wales kann mit den Top-Nationen mithalten.
Doch genauso sind die Drachen auf der Suche nach der eigenen Spielidentität. Die oftmals als „Warrenball“ (nach dem in diesem Jahr aussetzenden Gatland) verspottete Spielweise aus gnadenloser Defensive, vielen Kicks und dem Hoffen auf Fehler des Gegners scheint zumindest vorbei. Jamie Roberts, der in Wales Presse als zu eindimensional kritisierte Innen der letzten Jahre, hat seinen in Stein gemeißelten Stammplatz verloren. Doch Howley wollte darüber hinaus nicht noch einen Schritt weiter gehen und den grundsoliden Verbinder Dan Biggar, durch den risikoreicheren aber ebenso unkonventionelleren Sam Davies ersetzen.
Wales kann auf einen Stamm von sehr erfahrenen Weltklasse-Spielern bauen, doch will man sich zu einem Kandidaten für einen WM-Gewinn entwickeln, wird das allein nicht reichen. Gerade gegen die Südhemisphären Teams muss Wales auch konstant Versuche erzielen können und sich nicht nur auf den verlässlichen Kicker Leigh Halfpenny verlassen. Dafür wäre die Etablierung von Sam Davies ein erster Schritt. Die Länderspiele im Juni, ohne Wales Lions-Kontingent, wäre dabei ein erster Schritt.
Italien
Null Punkte in der Tabelle, lediglich sechs erzielte Versuche und eine Differenz von -151 Punkten. Nein, Conor O’Shea konnte mit seinen Azzurri das Momentum aus dem Herbst - immerhin hatte man erstmals die Springboks schlagen können - nicht mit in die Six Nations nehmen können. Symptomatisch war am vergangenen Wochenende die Leistung von Außendreiviertel Angelo Esposito, der gleich zwei scheinbar 100-prozentige Versuche vor oder gar über der Linie wegwarf. Gute Ansätze, aber schlechte Ausführung sind dabei nicht einmal Italiens größtes Problem.
Seitdem die Azzurri Teil der Six Nations sind, fehlt der Mannschaft ein richtiger Zehner um auf diesem Niveau mithalten zu können. Carlo Canna, der Verbinder bei den letzten Partien, ist nicht unbedingt des Rätsels Lösung. Canna hatte gegen die Schotten eine miserable Bilanz vom Tee, was bei den Italienern fast schon Tradition hat. Nur 63% aller Versuche der Azzurri landeten seit 2000 bei den Six Nations zwischen den Stangen. Wie es den Italienern so gelingen soll den sich gut entwickelnden Rivalen bei den Six Nations anzunähern, bleibt fraglich. Der irische Azzurri-Trainer O’Shea zumindest ist überzeugt, dass man bis zur WM 2019 ein Kandidat für das WM-Viertelfinale werden würde. Bis dahin wird noch viel Wasser den Tiber hinunterfließen, doch auf eine derart positive Entwicklung der Azzurri zu wetten, würden wir nicht empfehlen. Viel eher wird man bei den Italienern darauf achten müssen nicht von den Georgiern ersetzt zu werden, was für das italienische Rugby ein Super-Gau wäre
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