Gegen Ende der Partie lief die deutsche Fünfzehn zu oft hinterher. Doch es gibt aus Sochi aus Positives mitzunehmen! Foto (c) Keßler
Am Ende war es eine deutliche 25:52-Niederlage in Russland. Doch das Ergebnis spiegelt den Spielverlauf nur bedingt wieder. Deutschland war lange im Spiel und hatte gerade Mal eine Viertelstunde vor dem Ende noch vermeintlich Oberwasser.
1. Diese Niederlage ist dadurch so extrem schmerzhaft, da für die deutsche XV hier und heute ein Sieg möglich gewesen wäre
Ein Blick auf die Stadionuhr verriet, es waren noch knapp fünfzehn Minuten zu spielen. Russland spielte nach einem absichtlichen Vorball von Kicker Kushnarev erneut in Unterzahl. Die deutsche Mannschaft war gerade durch einen Versuch von Pierre Mathurin, nach wunderschönem Cross-Kick von Verbinder Hilsenbeck, bis auf sechs Punkte herangekommen. In dem Moment sprach viel für den ersten Auswärtssieg der deutschen Mannschaft, das viel beschworene Momentum war eindeutig auf deutscher Seite.
Doch dann erfolgte ein großer Bruch im deutschen Spiel. Das Selbstbewusstsein, mit dem die deutsche Fünfzehn in den Minuten zuvor mit zwei erfolgreichen Straftritten von Christopher Hilsenbeck und einem verwandelten Versuch zurück in die Partie kam, war wie verflogen. Noch in Unterzahl gelang der russischen Mannschaft ein Versuch nach einem Durchbruch auf der kurzen Seite. Als dann mit Sebastian Ferreira und Jaco Otto die beiden besten deutschen Stürmer nach einem Zusammenstoß miteinander ausfielen, war das deutsche Schicksal besiegelt. Es folgten drei weitere russische Versuche. Der russische Coach Alexander Pervukhin selbst wunderte sich nach dem Spiel wohin das deutsche Selbstbewusstsein verflogen sei. Der Veteran an der Seitenlinie der russischen Bären betonte aber ebenso, wie effektiv seine Mannschaft in der zweiten Halbzeit aufgetreten sei. Während die deutsche Mannschaft mehr und mehr Fehler machte und einfache Tackles verpasste, zeigten sich die Russen gnadenlos. Fast jeder Durchbruch führt über Kurz oder Lang zum Versuch.
Die Niederlage der deutschen Mannschaft hat allerdings viele Väter. Auch wenn man eine Viertel Stunde vor Schluss noch gut in der Partie war, hätte zu diesem Zeitpunkt durchaus noch besser aussehen können. Der DRV-Auswahl war es gelungen den Auftakt in beide Halbzeiten gehörig zu verschlafen. In der ersten Hälfte war es nach zwei Minuten ein Durchbruch von Flanker Viktor Gresev, auf den Gedrängehalb Konstantin Uzunov per Chip and Chase den ersten Versuch legte. In Hälfte zwei waren wieder keine zwei Minuten vergangen als Russland das erste Mal zuschlug. Nachdem sich die russische Mannschaft in der deutschen 22 bei einem Straftritt scheinbar für die Gasse entschied und dann doch schnell anspielte, war die halbe deutsche Mannschaft mental abwesend. Siebener-Spezialist Gerasimov konnte nahezu ungehindert einlaufen.
Darüber hinaus hatte man im deutschen Team vor dem Spiel betont - ohne die Russen bei den Standards unter Druck zu setzen wird man hier keine Chance haben. Tatsächlich hatte die DRV XV eine Chance heute zu gewinnen und das ohne bei den Standards zu überzeugen. Das Gedränge war ausgeglichen, doch die deutsche Gasse landete viel zu oft in den Händen des Gegners. Mit einer sichereren Gasse wäre hier und heute deutlich mehr drin gewesen. Oftmals verlor die deutsche Mannschaft den Ballbesitz in vielversprechender Position ohne eigenen Punktgewinn.
2. Die doppelte Spielmacher-Achse Hilsenbeck-Parkinson hat hervorragend funktioniert
In den letzten Länderspielen war die Wahl von Nationaltrainer Kobus Potgieter immer entweder auf Christopher Hilsenbeck, oder Raynor Parkinson auf der Verbinderposition gefallen. Der jeweils andere musste mit dem Platz auf der Bank vorlieb nehmen. Die unorthodoxe Aufstellung heute, mit gleich zwei gelernten Verbindern auf der Zehn und der Zwölf, war wohl in erster Linie aus der Not geboren. Mit Clemens von Grumbkow, Carlos Soteras-Merz und eventuell Jamie Murphy sah sich Kobus Potgieter mit einer akuten Personal-Knappheit auf der Dreiviertelreihe konfrontiert.
Die vermeintliche Notlösung funktionierte dann trotz minimaler Vorbereitungszeit von drei Trainingseinheiten auf dem Feld hervorragend. Das Plus an Kreativität und Kick-Optionen musste zuerst nicht mit weniger Defensiv-Stärke bezahlt werden. Raynor Parkinson wusste in seinem ersten Pflichtspiel auf der Zwölf zu überzeugen und legte nicht nur den ersten Versuch, sondern machte mit dem Ball in der Hand auch immer wieder wertvolle Meter. Christopher Hilsenbeck bot sich nach einem verpassten Kick von Parkinson als Alternative an und versenkte von da an alle Kicks. Sein Cross-Kick quer über das ganze Spielfeld zum zweiten Versuch von Pierre Mathurin hätte nicht präziser sein können.
Natürlich wird die Verfügbarkeit von Christopher Hilsenbeck auch bei den kommenden Spielen ein schwieriges Thema sein. Aber für das Trainerteam bedeutet der Spielverlauf, dass dies ein gelungenes Experiment war. Allerdings entschied sich eben jenes Trainerteam die Achse Hilsenbeck-Parkinson aufzulösen und mit Jamie Murphy in der Halbzeit einen gelernten Innen zu bringen. In der Nationalmannschaft ist man damit taktisch um eine Option reicher.
3. Zur Halbzeit der WM-Quali steht die deutsche Mannschaft nicht gut da, aber die Chancen sind nicht aussichtlos
Rumänien ist mit war der deutschen Mannschaft schon in der Vorwoche enteilt und mit dem heutigen Sieg über Georgien haben die Rumänen ihre Vormachtstellung in Sachen WM-Quali untermauert. Das Ziel für die deutsche Mannschaft kann nunmehr nur heißen, den zweiten Quali-Platz zu erreichen, der zum Playoff/Repechage berechtigt zu erreichen. Gegen die beiden ärgsten Konkurrenten Spanien und Russland hat man nun nacheinander verloren. Doch weder die Spanier mit ihren fünf Punkten Vorsprung, noch Russland mit seinem Punkt Vorsprung auf die DRV XV sind uneinholbar enteilt. Doch der Sieg gegen Russland daheim wird im kommenden Jahr fast schon zur Pflichtsache. Zu Hause sollte gegen die Bären ein Sieg auch alles andere als unmöglich sein. Spanien auswärts zu schlagen wird wiederum eine unglaublich harte Aufgabe. Doch spätestens gegen Rumänien in Offenbach hat die DRV XV bewiesen mit der Underdog-Rolle kein Problem zu haben.
Auch wenn die WM-Quali am Ende nicht klappen sollte bleibt festzuhalten. Auch nach dieser am Ende klaren Niederlage ist dies die beste Saison einer deutschen Rugby-Nationalmannschaft. Die WM 2019 bleibt ein realistisches Ziel. Doch sollte die Entwicklung des deutschen Rugby so weitergehen dürfte die WM 2023 nicht nur ein Traum, sondern ein äußerst realistisches Ziel sein.
4. Russland hat sehr solide Mannschaft, doch das Potenzial von Rugby im Riesenreich bleibt bescheiden
Vor vier Wochen spielte die DRV XV keine 400 km Luftlinie von Sochi entfernt gegen Georgien. Doch in Sachen öffentlichem Interesse lagen Welten zwischen den beiden Spielen im Kaukasus. Während in Georgien alle wichtigen Medien des Landes vertreten waren und der größte Fernsehsender des Landes übertrug, hielt sich das Interesse in Russland in sehr engen Grenzen.
Zwar muss die russische Mannschaft, die vor allem aus Spielern aus der Rugby-Hochburg des Landes im sibirischen Krasnoyarsk besteht, im Zwangsexil in Sochi antreten. Doch landesweite Medien interessieren sich so gut wie gar nicht für die Rugby Europe Championship und in Sochi war abgesehen von ein paar Plakaten nicht viel von Rugby-Euphorie zu spüren.
Sechs Flugstunden oder drei Tage Autofahrt von Krasnoyarsk aus nehmen nicht viele Rugby-Fans in Anspruch. So lange die Rugby Europe Championship im späten Winter abgehalten wird, muss die Mannschaft weiter mit dem Exil Vorlieb nehmen. Denn in Russland ist Sochi im Endeffekt der einzige garantiert-eisfreie Ort den Winter über. In Kransnoyarsk wird das Thermometer im Übrigen heute Nacht auf -18 Grad sinken. Selbst mit einer Rasenheizung wäre damit an ein Spiel nicht zu denken.
Sollte sich Russland also tatsächlich für die nächste WM qualifizieren ist nicht mit einem Rugby-Boom im Riesenreich zu rechnen. Es wäre für das World Rugby eine vergebene Chance. Aber die russische Sportförderung und Talentsichtung liefert nun Mal zuversichtlich Talente, mit denen die Russen im Siebener auf der World Series spielen und im Fünfzehner uns noch voraus sind.
5. In den kommenden zwölf Monaten wird das Team-Management der DRV XV weiter an der Kadertiefe arbeiten müssen
Um im kommenden Jahr eine Chance auf eine Qualifikation für die kommende WM zu haben, wird es für die DRV XV weiter darum gehen müssen, die Tiefe im Kader zu verbessern. Deshalb ist das angedachte Freundschafts-Heimspiel im Sommer, sowie die potenzielle Tour der DRV XV nach Kenia genau das richtige Mittel. Thore Schmidt gab heute sein Pflichtspiel-Debüt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Mehr Spiele abseits der Rugby Europe Championship zu spielen sind genau das richtige Mittel um mehr Spieler auf das Niveau der Start-Fünfzehn zu bringen. online slots spielen
Mit gleichwertigen Einwechslungen, wie beispielsweise gegen Rumänien lassen sich Spiele drehen. Natürlich bietet die Bundesliga noch keinen adequaten Talent-Pool aber die Entwicklung des deutschen Rugby steht eher am Anfang als am Ende. So sehr man das heutige Ergebnis auch lamentieren mag, nach dem Klassenerhalt im Vorjahr steht die DRV XV immer noch besser da als je zuvor.
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