Sean Armstrong (Mitte) und Co. feiern den verdienten, aber zwischenzeitlich knappen Sieg. Foto (c) Keßler
Der Sieg gegen die belgische Mannschaft war unglaublich wichtig für Deutschland, tabellarisch, aber vor allem auch moralisch. Erstmals trat die deutsche Mannschaft seit dem Aufstieg als Favorit in der Rugby Europe Championship und erfüllte die Erwartungen mit zwei drei Wacklern.
1. Der deutsche Sieg war eminent wichtig, eine WM-Quali war einst ein obskurer Traum, doch er rückt tatsächlich näher
Zwei Siege in zwei WM-Quali-Spielen, der Auftakt in den zweijährigen Qualifikationsprozess für den Rugby World Cup in Japan 2019 hätte bis dato einzig mit einem Bonuspunkt am heutigen Tag besser laufen können. Und tatsächlich hatte die deutsche Mannschaft zwischenzeitlich - aufgrund der Führung mit drei Versuchen - den Offensiv-Bonus virtuell in der Tasche. Doch Belgien kam, auch aufgrund mangelnder deutscher Konzentration und Geduld noch einmal ins Spiel. Mit nunmehr acht Punkten steht Deutschland in Sachen WM-Quali zwei Punkte und einen Platz hinter dem Spitzenreiter Rumänien und vor Spanien und Russland, mit jeweils vier Punkten. Tatsächlich könnte Deutschland, am Ende der Hälfte des WM-Quali-Prozesses im März, auf einem der beiden WM-Quali-Plätze stehen. Allerdings bedeutet nur der erste das direkte Ticket nach Japan, als zweitbeste Mannschaft der Rugby Europe Championship bietet sich die Möglichkeit entweder per Playoff-Sieg gegen eine Südsee-Mannschaft, wahrscheinlich Tonga, oder in der späteren Hoffnungsrunde den Trip nach Japan zu buchen.
2. Raynor Parkinson hat das Spiel von der Zehn aus hervorragend dirigiert, doch Christopher Hilsenbeck hätte dem Trainerteam mehr Tiefe und taktische Optionen geben können
Verbinder Raynor Parkinson war für uns Man of the Match. Neben seiner tadellosen Kick-Leistung ohne einen einzigen Fehler - weder im offenen Spiel noch bei den Straftritten - trieb er das Spiel immer wieder mit seinen Pässen an. Als Belgien dann offensiver verteidigte setzte er mehrere clevere Chip-Kicks über die Verteidigung und eine perfekt platzierte Kerze, die nach einem Abklatscher von Steffen Liebig zum Versuch von Murphy verwertet wurde. Dennoch fehlte der deutschen Mannschaft Christopher Hilsenbeck. Ob nun als Bank-Spieler oder eventuell als Schluss hätte der Frankreich-Legionär dem deutschen Trainer-Team wertvolle Klasse und Optionen bieten können. Stattdessen trat das ehemalige Nachwuchs-Talent der Löwen bereits gestern mit seinem Verein Colomiers an. So gut zweite französische Liga vom Niveau her auch sein mag. Auch für Chris wäre der Traum von Japan sicherlich die Erfüllung seiner Rugby-Karriere. Den Zuschauern und Fans bleibt nur zu hoffen, dass Teammanager Robert Mohr im Einvernehmen mit den französischen Klubs für eine Abstellung der Jungs sorgen kann. Das gleiche gilt natürlich auch für Castres-Prop Tussac, der heute mit seinem Verein einen wichtigen Heimsieg gegen Clermont einfahren konnte und - sofern er morgen die Freigabe erhält - mit ganz breiter Brust in Köln auflaufen wird.
Ein Fragezeichen steht hinter dem Einsatz von Clemens von Grumbkow in der kommenden Woche, der einen harten Schlag per Knie in den Rücken bekam, aber glücklicherweise keinen Bruch erlitt. Carlos Soteras-Merz dagegen ist wieder im Training und könnte für mehr Alternativen im Mittelfeld sorgen.
3. Unter Druck wackelte die deutsche Mannschaft, fiel aber nicht!
Mitte der zweiten Hälfte drohte die Partie aus den Händen zu gleiten. Deutschland ließ sich zu sehr von den Nickeligkeiten der Belgier anstecken. Mehr und mehr schlichen sich Fehler ins deutsche Spiel und das Hadern mit dem Schiedsrichter - sehr oft auch mit Recht, denn nicht nur das deutsche Team fand die Leistung des spanischen Gespanns unterirdisch - tat sein Übriges.
Belgien erzielte in dieser Phase gleich drei Versuche und in Unterzahl hätte es am Ende noch eng werden können, hätte der belgische Verbinder den letzten Versuch erhöht. Die ungewohnte Favoritenrolle dürfte in Zukunft öfter auf die deutsche Mannschaft zukommen, ob das einem genehm ist oder nicht. Die nötige Coolness unter Druck zu bewahren lässt sich schlecht antrainieren, aber mit der zunehmenden Erfahrung der Schlüsselspieler auf diesem Niveau wird diese zwangsläufig zunehmen. Dass man die WM-erfahrenen rumänische Mannschaft geschlagen hat, beweist allerdings auch, dass Erfahrung wichtig, aber nicht alles ist.
Verlassen konnte sich die deutsche Mannschaft über das ganze Spiel hinweg und vor allem in ihrer schlechten Phase Mitte der zweiten Hälfte auf ihre Gasse. Beide Hakler warfen gut ein und Els, Ferreira und Marks dominierten die Lüfte. Das Gedränge hingegen war eine Lotterie, oftmals mit dem besseren Ende für die Belgier. In dieser Phase hätte Deutschland sich durchaus häufiger auf einen konservativen Spielansatz verlassen können.
4. Deutschland entwickelt sich auch spielerisch weiter
Der zweite deutsche Versuch, erzielt von Kapitän Sean Armstrong, war ein Team-Try wie aus dem Lehrbuch. Über fast die gesamte Länge des Spielfelds kombinierte sich Deutschland durch und scheute auch vor dem einen oder anderen Offload nicht zurück. Abschließen konnte den Try Kapitän Sean Armstrong, der heute wieder einmal als Antreiber des deutschen Spiels voran ging.
Insgesamt ist das Spiel der deutschen Mannschaft facettenreicher geworden und Versuche und Punkte zu erzielen, ist mittlerweile kein Manko mehr. Zwei Mal um die 40 Punkte auf dem Konto zu haben spricht für sich. Dennoch hätte Deutschland speziell in Hälfte eins den Deckel drauf machen können, verpasste aber jedoch viele aussichtsreiche Positionen.
Die taktische Variation war gut, neben schnellen Spielzügen auf die Außen sah man ebenso kurze Ankicks die selbst gefangen wurden und auf den Punkt gespielte Box-Kicks und Kerzen. Das Spiel der deutschen Mannschaft wird zusehends ansehnlicher, was auch dem übertragenden Sender Sport 1 künftig mehr Zuschauer einbringen sollte.
5. Genau 4126 Zuschauer im Offenbacher Stadion waren ordentlich und die Stimmung war hervorragend, doch diese Mannschaft hat noch deutlich mehr Unterstützung verdient
Kaum jemand, der heute das Spiel der deutschen Mannschaft verfolgt hat, dürfte sein Kommen bereuen. Die Stimmung im Stadion, das Wetter, die zahlreichen Versuche auf dem Feld und natürlich der deutsche Sieg, dem Zuschauer wurde einiges geboten. Die nahezu Verdopplung der Zuschauerzahl im Vergleich zu dem letzten Spiel der DRV XV war ermutigend. Doch wenn die deutsche Mannschaft erneut in Offenbach spielen sollte, muss man weiter an der Motivation in der deutschen Rugby-Community arbeiten. Die Vereine aus der Rhein-Main-Region waren zahlreich vertreten, aber viele prominente Vereine aus der näheren Umgebung waren es nicht. Erst wenn die gesamte deutsche Rugby-Community an einem Strang zieht, wird Rugby in Deutschland so richtig abheben können.
In der kommenden Woche muss das Stadion in Köln voll werden! Die Sitzplätze sind bereits ausverkauft, nun gilt es die wenigen verbliebenen Stehplatz-Tickets zu veräußern. Kommt in die Domstadt und lasst uns diese Mannschaft zum Sieg gegen Spanien schreien! Bringt eure Freunde mit, viele Sportfans in Deutschland sind ebenso Rugby-Fans, wissen es nur noch nicht.
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