Englands Schwachstelle: Mit zahlreichen Offloads gelang es Frankreich immer wieder wertvolle Meter zu machen. Foto (c) FFR Instagram
instNach dem Überraschungssieg der Schotten in Edinburgh und dem hauchdünnen Last-Minute-Sieg der Engländer daheim gegen die Franzosen geht das Championat der europäischen Crème de la Crème in die zweite Runde. Englands Besuch in Cardiff beim Erzrivalen erhitzt die Gemüter auf der Insel, doch ebenso spannend zu sehen sein wird, ob Schottland erstmals seit fast zwei Dekaden zu einem ernsthaften Titelkandidaten aufsteigt. Dazu wäre aber ein Sieg in Paris von Nöten, was für die Schotten nie ein leichtes Unterfangen war.
Italien - Irland, Stadio Olimpico Rom, Samstag 15:25, live auf DAZN
Vor dem Duell der beiden Verlierer des Auftaktwochenendes am Samstag im Römer Stadio Olympico ist die Ausgangslage klar: Turnierfavorit Irland ist zum Siegen verdammt um weiter ein Wörtchen um den Turniersieg mitreden zu können, während Italien vergleichsweise befreit aufspielen kann, trauen den Azurri doch nur die Wenigsten die faustdicke Überraschung gegen die Iren zu.
Der Favorit von der grünen Insel geht bis auf zwei Änderungen - Prop Cian Healy rückt von der Bank in die erste Reihe und ersetzt Jack McGrath, während Donnacha Ryan für Ian Henderson in die zweite Reihe aufrückt - unverändert in die Partie. Im Nachgang an die überraschende Niederlage in Edinburgh war vor allem der verschlafene Start gegen die Schotten intern wie extern kritisiert worden, immerhin kassierte man alle drei Versuche der Schotten in den ersten 25 Minuten des Spiels. Positiv festzuhalten bleibt, dass man auch mit Ersatz-Verbinder Paddy Jackson, der weiterhin den verletzten Johnny Sexton ersetzt, den frühen deutlichen Rückstand zwischenzeitlich zu egalisieren wusste.
Irlands neuseeländischer Trainer Schmidt appellierte an seine Spieler „dieses Mal besser in die Partie zu kommen“, zwar haben man durch eine 15-minütige Verspätung nur ein verkürztes Warmup machen können, müsse aber als Profi-Mannschaft mit solchen Unvorhersehbarkeiten zurecht kommen.
Bei den gastgebenden Italienern wird der gegen Wales solide Bram Steyn durch Simone Favaro ersetzt. Azurri-Coach Conor O’Shea versuchte seine Männer nach dem Einbruch in Hälfte zwei in der Vorwoche aufzubauen. Der ehemalige Leinster-Schluss betonte die gute Leistung seiner Mannschaft im ersten Spielabschnitt. Zur Pause hatte man noch 7:3 geführt - was eher für die Waliser schmeichelhaft war, da Italien gegen Ende der Hälfte zum erneuten Male die Linie der Drachen belagerte - war dann aber in Hälfte zwei nach einer gelben Karte förmlich eingebrochen und hatte noch drei Versuche kassiert.
Eduardo Gori und Carlo Canna dürfen sich weiter auf der Spielmacher-Achse 9-10 beweisen und in der zweiten Reihe kehrt Zebre-Sturmtank Dries van Schalkwyk zurück in die Formation. Van Schalkwyk war im November, als in Italien gegen sein Geburtsland Südafrika sensationell gewinnen konnte, einer der absoluten Leistungsträger und dürfte gegen Irlands erfahrenen Sturm ganz wichtig für die Azurri werden. Ein weiterer äußerst erfahrener Veteran rückt von der Bank in die Startaufstellung: Toulouse Hakler Leonardo Ghiraldini tauscht mit Ornel Gega die Plätze.
Insgesamt ist man sich bei den Italienern über die Schwere der Aufgabe bewusst. Das wird eine „Mammutaufgabe“ so der irische Coach der Italiener, der aber gegenüber der Irish Times zugleich betont: „Man mag jetzt über mich lachen, oder anderer Meinung sein, aber in zwei oder drei Jahren werden wir eine richtig gute Mannschaft sein.“
TotalRugby-Prognose: Die Italiener unter dem seit dieser Saison an der Seitenlinie stehenden irischen Trainer Conor O’Shea sind trotz dessen Optimismus gewissermaßen eine Wundertüte. Auf eine überragende Halbzeit wie zum Auftakt gegen Wales in der Vorwoche, kann ebenso ein Einbruch folgen. Nach dem Sensations-Sieg gegen die Boks, ließ man sich im November in der folgenden Woche von einer schwachen Mannschaft aus Tonga düpieren. Das Potenzial ist bei den Azurri zweifelsohne vorhanden, doch fehlt neben der Konstanz vor allem die Siegermentalität. Nur drei Akteure aus der italienischen Startformation am Samstag spielen regelmäßig für einen europäischen Top-Klub, der Rest des Kaders setzt sich aus den beiden Dauerletzten der Pro 12 Treviso und Zebre zusammen. Dass da das Selbstbewusstsein auf dem Feld ein zartes Pflänzchen zu sein scheint, dürften auch die Iren mitbekommen haben. Diese sind geradezu zum Siegen verdammt, sofern man - dem eigenen Anspruch entsprechend - noch ein Wort um den Titel mitreden möchte. Die zahlreichen sangesfreudigen irischen Schlachtenbummler werden das Olimpico mit ihren Anfeurungsrufen zur quasi-Heimstätte machen. Ob Schmidts Männer auf dem Feld auch liefern können, entscheidet sich vor allem in der Defensive. Denn Irland ist immer für ein paar eigene Versuche gut, hatte aber bereits im November zu viele Punkte des Gegners zugelassen. Gegen die oftmals harmlose Azurri-Offensive darf dies nicht passieren. Dann wird Irland sich mit einem Bonuspunkt-Sieg im Titelrennen zurückmelden.
Wales - England, Millennium Stadium Cardiff, Samstag 17:50, live auf DAZN
Das Cardiff-Trauma sitzt noch heute bei vielen Engländern tief: Als letztmals eine derart ambitionierte englische Mannschaft nach Cardiff angereist war, um damals 2013 den Grand Slam in der Höhle des Löwen einzuheimsen, wurde man mit einer deftigen 3:30 Pleite nach Hause geschickt. Statt des Grand Slams durften die Engländer den Walisern beim Stemmen der Trophäe zusehen und hatten höchstens Spott und Häme en masse mit nach London genommen.
Insgesamt hat England gegen den vermeintlich kleinen Nachbarn in Cardiff eine „schreckliche Bilanz“, so England-Trainer Eddie Jones. Den 21 England-Siegen in der walisischen Hauptstadt stehen 36 Niederlagen gegenüber.
Personell muss sich England vor allem Sorgen in der dritten Reihe machen. Mit Jack Clifford auf der Sieben, Maro Itoje auf der Sechs und Nathan Hughes als Achter ist die kumulierte Erfahrung von lediglich 20 Länderspielen beim Anpfiff auf dem Platz. Verglichen mit den 130 Länderspielen, die Wales Dritte-Reihe-Stürmer Warburton, Tipuric und Moriaty auf dem Buckel haben.
Die Dreiviertelreihe des Weltmeisters von 2003 bleibt bis auf eine Änderung die Gleiche, wie gegen Frankreich: Außen Johnny May muss seinen Platz für Jack Nowell räumen, der beim Auftakt auf der Bank startete. Rugby League Überläufer Ben Te'o wird für England wieder für Impulse von der Bank sorgen können. Er war es, der als einziger Engländer entscheidend die Defensiv-Linie der Franzosen durchbrechen und zum einzigen englischen Versuch hatte ablegen können.
Englands Wunderwaffe Ben Te'o
Bei den Walisern geht die Diskussion um die Verbinder-Position weiter. Wir von TotalRugby.de machen keinen Hehl draus: Der junge Sam Davies ist ein überragendes Talent und bietet auf der Zehn deutlich mehr als der grundsolide Dan Biggar. Letzterer wurde in Rom nach einem harten Hit in die Rippen ausgewechselt und mit der Einwechslung seines jungen Ospreys-Teamkollegen wurde die Dreiviertelreihe der Waliser förmlich reanimiert. An allen drei Wales-Versuchen war Davies persönlich beteiligt und bereits im letzten Herbst hatte der Namensvetter von Wales legendärem Verbinder Jonathan Davies absolute Nervenstärke bewiesen und gegen Japan in letzter Sekunde das entscheidende Dropgoal versenkt. Als Sohn eines ehemaligen Wales Spielers und Trainers ist Davies mit einem überragenden Spielverständnis gesegnet.
Trotz alle dem und der Tatsache, dass in Wales mittlerweile von prominenten Experten landauf und landab gefordert wird, Davies eine Chance zu geben, wird er sich gegen England erneut hinter Dan Biggar anstellen müssen, der bei der WM 2015 gegen England mit seinem makellosen Kickspiel für Wales überraschenden Sieg gesorgt hatte. Ein kollektives Aufatmen in Wales gab es nachdem gestern klar wurde, George North kann trotz eines in der Vorwoche erlittenen Pferdekuss am Samstag auflaufen. Die einzigen beiden Wechsel wurden von Interims-Trainer Rob Howley in der ersten Reihe vorgenommen, wo Rob Evans und Thomas Francis, die beide gegen Italien von der Bank kommend Wales Sorgen im Gedränge beendet hatten, in die Startaufstellung befördert werden. Nach langer Abstinenz wird zudem Taulupe Faletau auf die Bank zurückkehren und dürfte gegen Ende des Spiels den startenden Achter Ross Moriaty ersetzen.
Ein erstes kleines Duell abseits des Platzes konnte England Coach Eddie Jones für sich beanspruchen. Wales hatte darum gebeten das Dach des Millennium Stadiums geschlossen halten zu können, auch um ein schnelles Spiel bei trockenen Bedingungen zu ermöglichen. Dass dabei die sowieso schon beeindruckende Akustik der 74.000 Zuschauer fassenden Arena noch einmal verstärkt wird, hätte bei den Gastgebern sicherlich niemand gestört. Diesen Vorteil wollte Jones seinem Gegner nicht einräumen und betonte „sich nicht auf die Spielchen der Waliser einzulassen.“ Zugleich betonte der für seine Verbal-Offensiven bekannte Australier: „Ich war schon Mal im Millennium Stadium, es ist auch nur ein weiteres Stadion.“
Aber als walisische „Spielchen“ führte Jones noch weitere scheinbar unsportliche Aktionen der Gastgeber an. So müsse man Vorkehrungen treffen, sonst würden die Spieler die ganze Nacht über das Telefon wach gehalten. Der Teambus könne durchaus Mal blockiert werden, so dass man zu spät ankäme. „So etwas erlebt man nur in Südafrika und Wales“ laut Aussage des 57-jährigen Australiers.
TotalRugby-Prognose: England reist, anders als 2013, als gefestigte Mannschaft in die walisische Hauptstadt. Coach Eddie Jones hat mit fast dem gleichen Personal, wie sein Vorgänger Lancaster, ein absolutes Spitzenteam geformt, das in der Lage ist auch auswärts groß aufzuspielen. Dennoch hat das Frankreich-Spiel gezeigt, dass England verwundbar ist, speziell wenn es dem Gegner gelingt, ein erfolgreiches Offload-Spiel aufzuziehen. Wales wiederum ist unter der Ägide von Interimstrainer Howley, der den sich momentan auf seinen Lions-Verpflichtung konzentrierenden Warren Gatland vertritt, zu einer recht unkonstanten Mannschaft geworden. Gegen Italien wollte Wales erst alles daran setzen früh Versuche zu legen, nur um sich dann doch auf die Kick-Stiefel von Leigh Halfpenny zu verlassen und dann am Ende in Überzahl alles auf Angriff zu setzen. Auch taktisch weiß man bei den Walisern momentan nicht so richtig woran man ist. Zwar wird allerorts ein expansiveres Spiel gefordert, womit der Wunsch nach Sam Davies als Verbinder einhergeht, doch so recht scheint Howley dem Weltjugendspieler des Jahres 2013 noch nicht zu trauen. So oder so, auch wenn Wales in den letzten Monaten äußerst volatil daherkam, das Grundgerüst der jetzigen Mannschaft war bei der WM in Twickenham in der Lage England zu schlagen. In Sachen Motivation muss man morgen niemanden mit walisischen Blut in den Adern zwei Mal bitten. Wir lehnen uns heute sehr weit aus dem Fenster und prognostizieren einen hauchdünnen Sieg der Waliser! Der Ausgang der Six Nations ist damit wieder völlig offen.
Highlights von Englands erstem Spiel
Frankreich - Schottland, Stade de France Paris, Sonntag 16:00, live auf DAZN
weitere Infos folgen!
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