Frankreich vor den Six Nations: Zurück zu alter Stärke?
Geschrieben von TotalRugby Team
Mittwoch, 1. Februar 2017
Die französische 15er-Nationalmannschaft
Seit dem französischen Grand Slam im Jahr 2010 hinkt die Grande Nation Jahr für Jahr den eigenen Erwartungen hinterher. Für das Land mit der reichsten Liga der Welt und mehr lizensierten Vereinsspielern als Irland, Italien, Schottland und Wales zusammen ist dies schlicht nicht akzeptabel. Seit dem Tiefpunkt im Jahr 2013, als Frankreich das Sechs-Nationen-Turnier erstmals als Letzter abschloss, folgten mit zwei vierten Plätzen, sowie Rang fünf im Vorjahr weitere enttäuschende Resultate. Dass Frankreich dennoch mit mehr Optimismus in die diesjährigen Six Nations geht liegt überraschenderweise an zwei Niederlagen.
Denn sowohl bei der 23:25 Niederlage gegen die Wallabies, als auch beim späteren 19:25 gegen die All Blacks konnte Frankreich auf Augenhöhe mit den beiden WM-Finalisten mitspielen. Außerdem will Frankreichs Coach Guy Novès den Fokus zunehmend auf das in den letzten Jahren vernachlässigte Offload-Spiel legen. Nach Jahren mit absolut eindimensionalem und konservativem Spielstil scheint so sogar ein Comeback des in früheren Jahren viel beschworenen „French Flair“ möglich.
Doch der französischer Optimismus nach zwei Siegen zum Auftakt im letzten Jahr gegen Italien und Irland, verflog ebenso schnell mit den drei darauffolgenden Niederlagen. Die Tatsache, dass Frankreich das Turnier mit der wohl momentan schwersten Auswärtsreise nach London antritt, ist wohl nicht nur ein Nachteil. Denn England könnte trotz seiner Serie von 14 Siegen in Folge gerade zum Auftakt aufgrund einiger Verletzungen im Sturm verwundbar sein.
Alle Spiele des Six Nations gibt es live beim Online-Streamingdienst DAZN. Wir haben für Euch eine Rugby-Programmübersicht für den Februar erstellt.
Frankreichs Kader
Jegliche Diskussionen über den Frankreich-Kader beginnen und enden auf der anderen Seite des Rheins mit der Verbinder-Position. Nachdem Ex-Montpelier Urgestein und jetziger Toulon-Zehner François Trinh-Duc in Frankreichs Gazetten über Jahre hinweg die favorisierte Lösung als Verbinder war, nur um vom Nationaltrainer Saint-André ignoriert zu werden, schien seine Zeit unter dem neuen Coach Guy Novès gekommen zu sein. Doch Trinh-Duc holte, wie so oft in seiner Karriere, das Verletzungspech ein. Gegen Samoa brach sich Trinh-Duc die rechte Hand und wird wohl erst in der zweiten Hälfte in das Turnier-Geschehen eingreifen können. So bleiben Nationaltrainer Novès mit Jean Marc Doussain und Camille Lopez zwei weniger erprobte Optionen. Lopez wird wohl, wie im November auch, das Rennen machen. Doch seine zwischenzeitlichen Schwächen vom Tee, sowie seine Formschwankungen könnten sich für Frankreich zum Problem entwickeln.
Eine weitere Baustelle auf der Dreiviertelreihe, die scheinbar geschlossen schien, ergab sich in der vorletzten Woche. Mit den beiden Innendreivierteln des ASM Clermont - Wesley Fofana und Remi Lamerat - schien Frankreich im Herbst endlich sein Traumduo im Mittelfeld gefunden zu haben. Die beiden Teamkameraden von den „Jaunards" verkörpern sowohl körperlich die Anforderungen an einen modernen Innen, können aber ebenso spielerisch brillieren. Doch mit dem Achillessehnenriss von Fofana, dem wohl konstantesten Spieler auf der französischen Reihe in den letzten Jahren ist die Kombination Lamerat-Fofana vorerst Geschichte.
Als Ersatz scheint Guy Novès seinen Zögling Gaël Fickou im Sinn zu haben. Der erst 22-jährige war bereits vor vier Jahren erstmals im Kader der Franzosen bei den Six Nations, hat aber für Klub und Nationalteam seither ein wenig stagniert in seiner Entwicklung. Sein siegbringender Versuch gegen England vor drei Jahren kurz vom Ende des Spiels wird ihm und den Frankreichs beim Auftakt gegen die Engländer aber sicher im Hinterkopf geistern. Der in letzter Zeit wie ein absoluter Bulldozer spielende Mathieu Bastareaud dagegen ist zwar in den Frankreich-Kader nachgerutscht, scheint aber in den Plänen von Novès keine große Rolle zu spielen.
Im Sturm wird viel von der Leistung der Routiners Picamoles auf der Acht, sowie von Kapitän Guirado auf der Hakler-Position abhängen. Picamoles ist nach seinem Wechsel nach Northampton der einzige Legionär im Kader und hatte ebenso wie die Saints allgemein keine leichten letzten Wochen hinter sich. Kevin Gourdon vom Überraschungs-Tabellenführer La Rochelle dagegen befindet sich in großer Form und galt als eine der Entdeckungen des Novembers für Frankreich. Endlich ein richtiger Siebener für die „Quinze de France“ so das Urteil des Rugby-Fachblatts Midi Olympique.
TotalRugby-Spieler im Fokus: Baptiste Serin
Nach seinem spektakulären Rückhand-Pass, der den Picamoles-Versuch gegen die All Blacks im November auflegte, war Baptiste Serin in aller Munde. Der 22-jährige Gedrängehalb beweist aber bereits seit mindestens zwei Jahren für seinen Klub Bordeaux, dass er ein absolut trickreicher Spieler ist. Zugleich gelingt es Serin aber ebenso seine Stürmer in ihrem Phasenspiel zu leiten, ganz im Stile eines „petit général“, den man in Frankreich traditionell in der Rolle des Neuners sieht.
Dazu bietet sich der schmächtige Bordeaux-Neuner unglaublich oft im Unterstüztungsspiel an und hält damit schnell gespielte Konterattacken am Leben. Seine Nervenstärke vom Tee, gegen die All Blacks versenkte er beide seiner Kickversuche spät im Spiel, wird zudem wichtig sein, da der Frankreich-Verbinder Camille Lopez als eher unterdurchschnittlicher Kicker gilt.
In einer Online-Abstimmung unter den Lesern Frankreichs größter Sportzeitung L’Équipe war Serie klar die erste Wahl auf der Gedrängehalb Position. Allerdings wird er sich wohl vorerst meist nur von der Bank beweisen dürfen, da der sechs Jahre ältere Maxime Machenaud vom Meister Racing aller Wahrscheinlichkeit nach den Vorzug erhalten dürfte. Doch mit seinem dynamischen Spiel ist Serin perfekt geeignet ermüdende Defensivriegel aufzubrechen und könnte so auch als Bankspieler von entscheidender Bedeutung für Frankreichs Chancen sein.
Für seinen Klub Bordeaux ist Serin im Alter von 22 bereits ein absoluter Leistungsträger
TotalRugby-Prognose: Gleich der Auftakt in Twickenham wird für Frankreichs Ambitionen zum Realitäts-Check. Beide Teams haben mit zahlreichen Verletzungen zu kämpfen, aber sollte Frankreich es gelingen die seit der WM-Blamage der Engländer anhaltende Siegesserie zu brechen ist für Frankreich vieles drin. In die beiden abschließenden Partien daheim gegen Wales und auswärts Italien wird Frankreich als Favorit gehen. Deshalb gilt es vorher bereits so viel wie möglich mitzunehmen, dazu zählen ab diesem Jahr auch offensive wie defensive Bonuspunkte.
Frankreichs Kapitän Guirado jedenfalls sieht seine Mannschaft „Fortschritte machen.“ Wir waren eng an zwei der Top Teams der Welt dran (Australien und Neuseeland, Anmerkung der Redaktion), jetzt gilt es auch zu gewinnen.“ Wenn er es schafft dieses Siegergen bei seinen Mannen zu implantieren könnte Frankreich sogar gegen England und Irland siegreich vom Platz ziehen. Doch über den gesamten Turnierverlauf sehen wir diese beiden Teams noch deutlich vor Frankreich, nicht zuletzt wegen deren Konstanz. Mit einem dritten Platz wird sich Frankreich dennoch insgesamt verbessern.