Cătălin Fercu war oft von den gegnerischen Verteidigungen kaum zu stoppen, hier zieht er an kanadischem Skipper DTH van der Merwe vorbei. © frr.ro Von so vielen guten Nachrichten rund um die deutsche Nationalmannschaft begeistert, und von so vielen spanenden Top-Spielen (in Fernsehen oder auf DAZN live zu sehen) verwöhnt, mag der normale deutsche Rugby-Fan verständlicherweise vergessen, dass diesem November viel mehr los war, als man dachte. Ich erlaube mir von den Spielen der so genannten Tier Two Nationen zu berichten. Als „Tier Two“ keine offizielle Definition genießt, muss ich zunächst
erklären, dass ich damit diejenigen Nationen meine, die in Top 18 der Weltrangliste stehen und nicht an geschlossenen Gesellschaften Six Nations bzw. The Rugby Championship teilnehmen. Deutschland möchte (sollte) mittelfristig zu dieser Gruppe gehören und es ist nie zu früh, die Konkurrenz unter Beobachtung zu stellen. In dem ersten Teil wird von den vier Pazifik-Inselnationen Japan, Fiji, Tonga und Samoa berichtet, danach folgt die Nordatlantische „Konferenz“: Georgien, Rumänien, USA und Kanada. Georgien (12. Platz) Auf Papier scheint die Welt von „Lelos“ noch in Ordnung zu sein: direkte Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2019 (dank des dritten Gruppenplatzes beim RWC 2015), historisches Höchstsieg gegen Rumänien (38-9) auf dem Weg zum wiederholten Titel in Rugby Europe Championship, erfolgreicher Sommer-Tour (3-0) gegen die drei Pazifik-Nationen, fällige Belohnung durch World Rugby in Form von Tier One Tests (2013 Argentinien, 2014 Irland, 2016 Schottland), eine Legion der in Top14 spielenden erste-Reihe-Stürmer und anspruchsvollem November-Programm (Japan, Samoa und eben Schottland). Doch die Kenner wissen schon, dass die letzten Ergebnisse zum Teil auch anderen Umständen zu verdanken sind (im Juni mussten alle Pazifik Mannschaften, zwei davon mit neuen Trainern, ohne die in Frankreich spielenden Profi auskommen und die Folge sah man deutlich in der Spielqualität; auch Rumänien experimentierte auf einigen Positionen und das war in Tbilisi teuer zu bezahlen). Zudem ist es auch etwa verwunderlich, dass Milton Haig das Fehlen des Qualifikationsdrucks nicht ausnutzt, um weitere Varianten zu probieren. Stattdessen setzt er weiter auf den bekannten Stammspieler, die sicherlich noch in der Lage sind, bei einem weiteren RWC zu spielen, aber fraglich ob auf demselben Niveau. Zugegeben, haben die „Lelos“ ein sehr gut eingespieltes Sturm, und der Kampfgeist ist legendär, aber vielleicht ist die Abhängigkeit davon eine Schwäche. Gegen unerfahrenen Japaner reichte es schlicht nicht aus, nicht mal mit einem Versuch, der keins war. Die Hintermannschaft der „Brave Blossoms“ war entscheidend überlegend und drehte das Spiel (von 13-22 zu 28-22) um. Der Sieg gegen Samoa (20-16) war gut für die Moral, aber er ging zum Großteil aufs Konto den schwachen spielenden Gästen. Die größte Enttäuschung war sicherlich das Spiel gegen Schottland. Nicht das Ergebnis selbst (16-43) störte, sondern der desolate Auftritt in der ersten Hälfte, wo absolut nichts ging (bis zu der sehr frühen 5-0 Führung). Es offenbarte sich deutlich, dass der berühmte „Ten Men Rugby“ nicht mehr Zeitgemäß ist. Und das kam „rechtzeitig“ zu der wiedergeöffneten Diskussion über die Erweiterung von Six Nations Championship. 12.11, Tbilisi: Georgien - Japan 22-28 (12-8) Versuche: Lobzhanidze, Kolelishvili, Bitsadze; Erhöhungen: 2x Kvirikashvili; Straftritt: Kvirikashvili. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=yUsCiO2fSSI 19.11, Tbilisi: Georgien - Samoa 20-16 (17-10) Versuche: Bitsadze, Strafveruch; Erhöhungen: 2x Kvirikashvili; Straftritte: 2x Kvirikashvili. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=Ck66GltFSxw 26.11, Kilmarnock: Schotland - Georgien 43-16 (31-11) Versuch: Lobzhanidze; Straftritte: 2x Kvirikashvili. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=VUNelE1IoJU
Series-Fazit: 1-2. Viele Experte haben in Vorfeld mit einem 2-1 gerechnet, und nicht wenige haben – mehr oder weniger öffentlich - ein 3-0 geträumt. Leider müssen die „Lelos“ bei einem glücklichen Sieg bleiben und den 11. Weltranglisteplatz an Japan übergeben. Und sollten den Tongaer dafür dankbar sein, dass sie mit dem Überraschungssieg in Padua den Vorbeiziehen der Italiener verhinderten. Nichtdestotrotz hat Georgien viel Potential, nicht zuletzt wegen der Beliebtheit des Sports in dem kleinen Kaukasusland und wegen der staatlichen und privaten (von dem ex-Ministerpräsidenten Iwanischwili, ein €4 Mld. schweren Unternehmer) Unterstützung der Rugby-Spitzensportler. Der muss nur voll ausgeschöpft werden, und es ist nicht spät für eine Kurskorrektur. Rumänien (16. Platz) Man fragt sich als rumänischer Fan, was FRR möglicherweise irgendwann tat, um so lange von World Rugby „bestraft“ zu werden. Seit 2006 hat Rumänien kein Tier One Test mehr bekommen, damals spielten die „Eichen“ gegen Frankreich in Bukarest, und ein gewisser Cătălin Fercu debütierte mit gleich einem Versuch. Nun hat der Rekord-Try-Scorer Rumäniens (31 Versuche) beachtliche 93 Nominierungen gesammelt, jedoch mehrheitlich (65) gegen Nationen außerhalb Top 18 der Weltrangliste oder gegen Auswahlmannschaften (wie „Italia Emergenti“ oder „Argentina Jaguars“) bei dem IRB Nations Cup. Rumänien blieb 2016 die einzige Tier Two Mannschaft, die alle ihre Novembertests gegen schlechter platzierten Gegner bestreiten musste. Nur an Ergebnisse liegt es sicherlich nicht, die Kanadier (18. im Ranking und sieglos bei dem letzten RWC) dürften 2016 ihre Kräfte gleich zweimal gegen hochkarätiger Gegner messen (Italien und Irland). Und alle andere Tier Two Nationen haben mehrfach in den letzten Jahren gute Spielpaarungen gegen etablierten Nationen bekommen. Der walisische Coach Lynn Howells nutzte 2016 aus, um verschiedene Alternativen zu probieren, mit dem Ziel, die veraltete Spielweise der Eichen zu modernisieren. Dass der renommierte Schotte Rob Moffay als Hintermannschaft-Trainer kooptiert wurde, passt in diesem Bild und unterstreicht zudem, wo die Schwächen sich befinden. Insgesamt 20 Spieler dürften dieses Jahres den gelben Jersey zum ersten Mal anziehen, fünf davon gleich in November. Dass solche Experimente auch schiefgehen können, haben die REC-Spiele gegen Georgien (eine 9-38 Klatsche) und Spanien (ein 21-18 Arbeitssieg) bewiesen, jedoch zeigte sich Howells unbeeindruckt und bastelte weiter. Die ersten Hoffnungszeichen sind schon da. Gegen USA (23-10) und Kanada (21-16) starteten die Eichen eigentlich als „Underdogs“ in Augen vielen Experten, weil sie bislang in Hintermannschaft unterlegend waren und dieses Herbsts nicht den besten Sturm anbieten konnten. Jedoch wurden diese Spiele ausgerechnet mit einem engagierten Spiel der Dreiviertelreihe gewonnen. Nur das Match gegen Uruguay (36-10) lief etwa schwieriger als in Vorfeld erwartet, besonders, wenn man die Niederlagen der Los Teros gegen Deutschland und Spanien berücksichtigte. Man konnte den Eindruck nicht wegschütteln, dass die „Eichen“ dabei sehr unkonzentriert agierten, vielleicht von der Tatsache gelangweilt, dass sie erneut vor demselben Gegner wie in Juni bei Nations Cup antreten müssen. Viele Chancen blieben wegen unnötigen Handling-Fehlern kurz vorm Malfeld liegen und auch in offenen Spiel vermisste man die Präzision und Effektivität der Defensivarbeit aus dem ersten beiden Spielen. 12.11, Bukarest: Rumänien - USA 23-10 (20-0) Versuche: van Heerden, Fercu, Lucaci; Erhöhung: Vlaicu; Straftritte: 2x Vlaicu. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=bbRpkX7f0vo 19.11, Bukarest: Rumänien - Kanada: 21-16 (18-6) Versuche: Dumitru, Vlaicu; Erhöhung: Vlaicu; Straftritte: 3x Vlaicu. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=BkSDweThuP8 26.11, Bukarest: Rumänien – Uruguay: 36-10 (22-3) Versuche: 2x Shennan, van Heerden, Surugiu, Fercu; Erhöhungen: 4x Vlaicu; Straftritt: Vlaicu. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=hYcW0M_c6zc Serien-Fazit: 3-0. Ein Ergebnis, mit dem wenige Experte gerechnet haben, aber irgendwie nicht überraschend ist. Der 16. Platz wurde in der Weltrangliste befestigt - der Polster zu den nächstplatzierten US-Amerikanern ist nun auf 5 Punkten gewachsen. Am erfreulichsten war jedoch aus Sicht der rumänischen Fans das neue Spiel der „Eichen“, offener und ansehnlicher als zuvor. Nebenbei beendet Rumänien das Jahr mit einer historischen Höchstquote von 91% Siege (10 aus 11) – nur der schmerzhafte Tbilisi-Schmach bliebt als Erinnerung, dass immer noch viel Arbeit davorsteht. Die Rumänen dürften sich ernsthafte Hoffnungen machen, bei dem kommenden Rugby Europe Championship die begehrte RWC Fahrkarte als bestplatzierte Mannschaft (zumindest hinter Georgien) einzulösen, um sich weitere Strapazen in Repechage zu sparen. USA (17. Platz) Auch die US-Amerikaner befinden sich in einer Umbruchsphase, sowohl mit einem neuen Trainer (John Mitchell) als auch mit vielen Debütanten (nicht weniger als sechs Spieler wurden diesem Novembers auf der Liste der „Eagles“). Mit der nagelneueren Profiliga (PRO Rugby) erhofft sich der US-Verband mittelfristig eine gewisse Stabilität in Kader, um weniger von der Laune der europäischen Top-Clubs abhängig zu sein. Jedoch spielten die Mitchell-Schützlinge, nach (nur) zwei Juni-Tests, (nur) zwei weitere „Internationals“, aber dazu dürfen sich die glanzvollen Maori All-Blacks in Bridgeview empfangen (wo erwartungsgemäß am Ende eine hohe 7-54 Niederlage zu Buche stand). Gegen die Lieblingsgegner Rumänien waren die US-Amerikaner besonders in der ersten Hälfte völlig unterlegen (am Ende stand 10-23) und mussten somit den 2014 gewonnene Pershing-Cup an die Gastgeber übergeben. Ausgerechnet gegen Angstgegner Tonga lieferten die „Eagles“ ein gutes Spiel (17-20) und waren nicht weit davon entfernt, den Sieg, der dem vorherigen Trainer Tolkin für immer verwehrt blieb, einzufahren. 5.11, Bridgeview: USA – Maori All Blacks 7-54 (0-28) Versuch: Clever; Erhöhung: Holder. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=WQSSWnKujOw 12.11, Bukarest: Rumänien - USA 23-10 (20-0) Versuch, Erhöhung und Straftritt: Holder. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=bbRpkX7f0vo 19.11, San Sebastian (ES): Tonga - USA 20-17 (17-10). Versuche: Iosefo, Taufete'e; Erhöhung: Holder; Straftritt: Holder. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=twpnKUA3jrk Serien-Fazit: 0-3. Am Ende doch etwas enttäuschend, man hat sich mindestens ein Sieg erhofft, und eigentlich auch zwei waren wohl machbar. Jedoch standen nicht die Ergebnisse in Vordergrund, sondern die Bewertung der neuen Gesichter. Die Qualifikation fürs RWC ist für die Nordamerikaner etwa leichter und es gibt noch genug Zeit, alles in Ordnung zu bringen. Kanada (18. Platz) Wenn man die Ergebnisse der Kanadier aus den letzten drei Jahren sich anschaut, fragt sich wie die „Maple Leafs“ morgens noch aufstehen können. Gegen Top 18 Opposition stehen nun 23 Niederlagen gegenüber einem Georgien-Sieges. Jedoch einen zweiten Blick offenbart die Tatsache, dass die Kanadier fast immer gegen höherplatzierten Gegner gespielt haben. Lediglich Rumänien stand 2013 in der Weltrangliste hinter. Sechs Aufeinandertreffen mit Tier One Nationen und regelmäßige Kräftemessen mit den starken Insel-Nationen in Pacific Nations Cup haben einen völlig anderen Ausgang als z. B. für Rumänien, das gegen schwächeren Gegner Sieg nach Sieg sammeln konnte. Viele Niederlagen waren sehr knapp, oft kamen sie unglücklich in den letzten Minuten (man sollte vermutlich den Namen „Vlaicu“ in einem kanadischen Rugby-Pub leise, oder am besten gar nicht, aussprechen). Verletzungspech und untiefer Kader trugen dazu bei, dass mangelnde Erfahrung eine wichtige Rolle spielte. Der neue Trainer Mark Anscombe versuchte diesem November die wiederholten verletzungsbedingten Ausfälle (Ardron, Hassler, Sinclair) sowie einige altersbedingten Rücktritte zu kompensieren. Zehn von den 16 nominierten Stürmer gingen ohne nennenswerter Erfahrung ins Kreuzfeuer der höher angesehen irischen und rumänischen „Tight Fives“. Trotzdem versteckten sich die Nordamerikaner in dem ersten Spiel gegen All-Blacks-Bezwinger Irland (21-52) nicht. Kurz vor der Pause stand 14-14, und nur der mittlerweile traditionelle Einbruch nach 60 Minuten ließ das Ergebnis schlecht aussehen. Gegen Rumänien (16-21) gab es in Bukarest wieder eine knappe Niederlage, die fünfte in Folge gegen der „Eichen“, jedoch lieferte ausgerechnet der Sturm ein sehr gutes Spiel – nur die fehlende Präzision und Kreativität der normalerweise starken Hintermannschaft erlaubten die Gastgebern, den Sieg sicher nach Hause zu fahren. Und vor 22.000 Zuschauern in Grenoble zogen die „Maple Leafs“ am Ende, nach einem grandiosen Kampf, doch den Kürzeren, aber symptomatisch war die Tatsache, dass die normalerweise Spielfreudigen Samoaner nur ein Versuch ablegen konnten. Letztendlich war es wieder ein Kicker (diesmal der Samoaner Leuila), der die Kanadier am Rande der Verzweiflung brachte. 12.11, Dublin: Ireland – Kanada 52-21 (21-14) Versuche: van der Merwe, Paris, Evans; Erhöhungen: 3x McRorie. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=Wi7QyTUqsDA 19.11, Bukarest: Rumänien - Kanada: 21-16 (18-6) Versuch: Mack; Erhöhung: Braid; Straftritte: 3x McRorie. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=BkSDweThuP8 25.11, Grenoble (FR): Samoa - Kanada 25-23 (16-6) Versuche: Olmstead, 2x van der Merwe; Erhöhung: Braid; Straftritte: 2x Braid. Highlights: https://www.youtube.com/watch?v=OmC-iCYaPa4 Serien-Fazit: 0-3. Wieder enttäuschend, jedoch zeigte die Mannschaft deutlich, dass in ihr viel mehr drinsteckt, als die Ergebnisse sehen lassen. Nach jahrelanger Misere lässt der Sturm Raum für Hoffnungen, und mit etwa besserer Stabilität im Kader werden auch die Siege kommen. Zurzeit ist Rugby Canada stark von den europäischen Clubs (und deren Freigaben) anhängig, und leider hat der Verband zu früh und zu eilig eine Zusammenarbeit mit der US-Profiliga ausgeschlossen. Es wird über Pro12 oder sogar Super-Rugby Franchisen spekuliert, aber beide sollten teuren Unternehmungen werden, und die Erfahrung der Italiener ist nicht gerade hoffungsvoll.
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