Den 2.500 Fans in Heidelberg wurde einiges geboten, vor allem eine reife Leistung der DRV XV. Foto (c) Kessler
Das Länderspiel der deutschen Rugby-Nationalmannschaft in Heidelberg hat uns einige Erkenntnisse geliefert, auf und neben dem Feld. Als abschließende Betrachtung des Geschehens am gestrigen Samstag in Heidelberg unsere fünf Thesen zum Länderspiel im Fritz-Grunebaum-Sportpark.
1. Es war eine taktisch reife Leistung der DRV XV: Die Defensive stand sicher und auch nach vorne ging trotz der Bedingungen einiges. Die tagelangen Regenfälle hatten den Rasen des Fritz-Grunebaum-Sportparks in ein wahrhaftigen Acker verwandelt. Man versank förmlich im Boden und trotzdem wurde den 2.500 Zuschauern im Rugby-Wohnzimmer einiges geboten. Die Gedränge waren meist stabil und auch sonst es ging in ordentlichem Tempo hin und her.
Natürlich fiel es den schnellen und wendigen Dreiviertelspielern wie Marcel Coetzee oder Marvin Dieckmann nicht leicht mit schnellen Bewegungen an den brasilianischen Verteidigern vorbeizukommen und Meter zu machen. Doch speziell in Hälfte zwei brachte sich die deutsche Mannschaft mit cleverem taktischen Kickspiel immer wieder in gefährliche Positionen und konnte daraus auch zwei Mal mit Versuchen Kapital schlagen.
Einen Fehlstart wie in der Vorwoche wussten die deutschen Jungs zu verhindern, im Gegenteil: Deutschland war in den ersten zwanzig Minuten das absolut dominante Team. Erst gegen Ende der ersten Hälfte kamen die Brasilianer besser ins Spiel. Auch in Hälfte zwei war Deutschland schlussendlich die bessere Mannschaft und in der entscheidenden Druckphase vor dem zweiten Versuch nahmen die stark kämpfenden Stürmer der DRV XV den Fuß nicht mehr vom Gas. Nachdem Timo Vollenkemper von der Achter-Position aus den Ball wohl einen Tick zu früh aus dem nach vorne marschierenden Gedränge nahm, war es der aus kurzer Distanz kaum zu stoppende Jaco Otto, der im dritten Anlauf den Weg über die Linie fand.
Die Fähigkeit der deutschen Mannschaft das Spiel den Bedingungen nach anpassen zu können, spricht von einer gewissen taktischen Reife und Nationaltrainer Kobus Potgieter zeigte sich auch dementsprechend zufrieden mit seiner Mannschaft.
2. Die Kampfbereitschaft und Moral waren großartig, doch manchmal haperte es an der Kaltschnäuzigkeit
Dass es ausgerechnet Kapitän und Zweite-Reihe-Stürmer Michael Poppmeier war, der nach einem Durchbruch und 60-Meter-Lauf vom pfeilschnellen Schluss Harris Aounallah die entscheidende Unterstützung anbot und sich selbst mit dem Versuch belohnte, sprach Bände über den grenzenlosen Willen der deutschen Mannschaft. Niemand gab sich auf und auch wenn Brasilien Mal ein Durchbruch gelang, herrschte keine Panik, jeder nahm schnell seine Rolle in der Verteidigung ein und war wieder hinter dem Ball.
In der zehnminütigen Unterzahl nach der gelben Karte von Adrian Theisinger gaben die deutschen Jungs alles und stopften alle sich ergebenden Lücken und konnten sogar selbst noch per Straftritt punkten. Ähnlich wie die Scharmützel mit den Uruguayern in der Vorwoche, bedarf es manchmal eines kleinen Weckrufs, um den Fokus wiederzuerlangen. Wenn nun die Chancenverwertung noch besser wird, ist in der kommenden Woche noch mehr drin. Zu oft wurde aus aussichtsreicher Feldposition nichts gemacht.
In der Gasse und im offenen Spiel makellos: DRV XV Kapitän Michael Poppmeier
3. Die vielen Straftritte gegen das deutsche Team haben einen höheren Sieg der deutschen Fünfzehn verhindert
Einige Spieler waren im Nachgang an die Partie nicht gänzlich mit der Schiedsrichterleistung einverstanden und tatsächlich hatte man das Gefühl, dass die deutsche Mannschaft in den Offenen viel eher bestraft wurde als der brasilianische Gast. Doch als Spieler auf diesem Niveau muss man sich der Linie der Schiedsrichter anpassen, denn man ist wohl oder übel dem Mann mit der Pfeife ausgeliefert.
Viel zu oft kassierte die deutsche Mannschaft Straftritt in guten Feldpositionen und teils bei eigenem Ballbesitz. So resultierten zahllose Ausflüge in die gegnerische 22 ohne eigenen Punktgewinn. Zumindest hatte der brasilianische Verbinder Duque ein Nachsehen mit den deutschen Jungs, immerhin schaffte er es bei eigenem Straftritt drei Mal nicht, den Ball ins Aus zu bugsieren.
Am kommenden Samstag wird die deutsche Mannschaft in den Rucks disziplinierter zu Werke gehen müssen. Denn viel zu lange hielt man durch diese Ballverluste die Gäste unnötig im Spiel.
4. Erneut gilt, niemand sollte Brasilien unterschätzen, sonst droht eine Pleite in Leipzig
Der brasilianische Kapitän Nicolas Smith gab ich auf dem Empfang nach dem Spiel selbstsicher: „Auf einem richtigen Platz hätte es viel besser für uns ausgesehen.“ Tatsächlich hätten wohl gerade die überraschenderweise in der Mannschaftsaufstellung stehenden Sancery-Brüder mit Siebener-Olympia-Erfahrung bei festem Untergrund wohl noch gefährlicher aufspielen können.
Für ein besseres Spiel bei solchen Bedingungen fehlte es den Brasilianern schlicht an einer besser funktionierenden Gasse und einem Sturm der Phase um Phase nach vorne marschiert. So blieb es bei einem einzigen Ausflug in die deutsche 22, der nicht im Versuch endete. Doch gerade weil noch nicht abzusehen ist, wie sich die Bedingungen entwickeln und wie gut Brasilien sein Reihespiel bei trockenem Untergrund aufziehen kann, gilt es sich vor diesen Brasilianern in Acht zu nehmen.
Aber auch Deutschland hat in seinen Reihen brandgefährliche Dreiviertelspieler, auch wenn mit Marvin Dieckmann nach dessen Innenbandriss einer von ihnen für den Rest des Jahres pausieren muss. Diesen Jungs den Ball dynamisch im Raum zu geben, könnte das Duell auch auf der Dreiviertelreihe spannender werden lassen.
5. Ein Spiel im Rugby-Wohnzimmer ist wie ein Klassentreffen, doch die deutsche Mannschaft entwächst zunehmend ihrer angestammten Heimat
Wenn man sich am Samstag im weiten Rund des Fritz-Grunebaum-Sportparks bewegt hat, kam man sich vor wie bei einem Klassentreffen. Allerorts bekannte Gesichter und die übliche Fachsimpelei über den Rugbysport in der Bundesrepublik. Man fühlt sich als jemand, der in der Rugby-Community fest verwurzelt ist, geborgen und irgendwie daheim.
Doch dass diese traditionsreiche Sportstätte, in der schon viele Rugby-Schlachten geschlagen wurden, nicht mehr zeitgemäß ist, mag man kaum leugnen. Selbst mit der neuen Tribüne ist die Kapazität des Stadions zu gering. Die Infrastruktur rund um den am gestrigen Tag katastrophalen Rasen taugen den modernen Ansprüchen nicht mehr. Die Wege um den Platz herum verwandelten sich in eine Matsch-Landschaft und wer zur Halbzeit das Bedürfnis hatte, eine Bratwurst zu essen, der musste mit 20 Minuten Wartezeit rechnen.
Auf der Gegenseite mit der neuen Tribüne gab es keinerlei gastronomische Angebote und für die steigende Zahl an Journalisten waren keine klassischen Presseplätz oder WLAN verfügbar. Zwar mag man das als Kleinigkeit abtuen, doch für einen Live-Stream wäre eine solche Verbindung essentiell. Außerdem ist Rugby-Deutschland von der schreibenden Zunft abhängig, denn ohne breite Berichterstattung in den Zeitungen und Online-Medien wird Rugby in Deutschland in seiner Nische verharren.
Die Verantwortlichen bei DRV und WRA sind gewillt, die Spiele der deutschen Mannschaft im größeren Rahmen aufzuziehen und damit auch mehr Leute anzusprechen, als den harten Kern der Rugby-Szene. Doch auch dieser muss den Weg mit dieser Mannschaft weitergehen und in der kommenden Woche gilt es für Rugby Fans aus Hannover, Nürnberg, Berlin, Dresden, oder Thüringen: Macht euch auf den Weg nach Leipzig! Das Klassentreffen wird dieses Mal ein wenig größer und ihr werdet gebraucht, um den neugierigen Neulingen unseren tollen Sport zu erklären. Tickets findet für das letzte Länderspiel des Jahres in Leipzig gibt es ab €10 bei AdTicket
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