7er-Rugby ist ein Sport für die Primetime: Schnell, actiongeladen und fair - nur scheinbar für deutsche Fernsehmacher nicht
Ab diesem Samstag geht es in Rio um das erste Rugby-Gold seit den olympischen Spielen 1924 in Paris. Die Aufmerksamkeit der 250 Millionen Rugby-Fans rund um den Globus wird sich auf das Deodoro Stadion in Brasiliens zweitgrößter Stadt richten. Die im Jahr 2009 getroffene und vom IOC-Präsidenten und ehemaligen belgischen Rugby-Nationalspieler Jaques Rogge verkündete Entscheidung des IOC, das Siebener-Rugby in das olympische Programm aufzunehmen, wird das Wachstum unseres Sports und das weltweite Interesse an ihm nur weiter befeuern. Eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie der britischen HSBC Bank prognostiziert gar, dass bei den übernächsten Spielen das Siebener-Finale die Entscheidung im 100m der Herren als meistbeachtetes Olympia-Event abgelöst haben wird. Ob auch in Deutschland von dieser Entwicklung sonderlich viel zu hören und sehen sein wird, bleibt zumindest fraglich.
Dem vermeintlichen "Randsport" Rugby, der seit immerhin 140 Jahren in Deutschland aktiv betrieben wird, Sendezeit einzuräumen, steht zumindest nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste der öffentlich rechtlichen Sender. Wenn man den aktuellen Sendeplänen von ARD und ZDF glauben schenken darf, werden von den 34 Spielen des Frauen-Turniers gerade einmal die beiden Medaillenspiele auf einem der sechs verfügbaren Internet-Streams gezeigt. Der Rugby-Premiere der Damen bei Olympia irgendwelche Sendezeit im Hauptprogramm zu widmen, scheint überhaupt nicht vorgesehen zu sein.
Nicht viel besser sieht es im Hinblick auf das im Anschluss stattfindende Turnier der Herren aus. Einige Gruppenspiele, sowie die letzten vier Platzierungsspiele inklusive des Finales, sind nach jetzigem Stand jeweils in einem der Streams zu sehen. Erstaunlicherweise werden aber gerade die Spiele des Topfavoriten Fidschi überhaupt nicht gezeigt. Dabei könnte die potentiell erste Medaille der kleinen Inselnation überhaupt, zu einer der größten Geschichten bei der diesjährigen Olympiade werden. Ein kleines Land, das sich so gut wie ohne finanzielle Ressourcen in seiner nationalen Leidenschaft mit viel Spielwitz gegen mächtige und viel besser ausgestattete Konkurrenten durchsetzt. Zumindest laut den Sportredaktionen von ARD und ZDF scheint diese Story nicht zeigenswert zu sein.
Rugby ein globaler Sport und eine Schule fürs Leben
Dabei ist Rugby ein Sport, der Menschen von Sydney bis Singapur, von London bis Las Vegas und von Buenos Aires bis Bordeaux verbindet: Nicht umsonst ist von jedem Kontinent dieses Planeten zumindest eine Mannschaft im Rugby-Wettbewerb vertreten. Ein Sport, der Spieler und Fans jeglicher Couleur, Statur, Alters und Geschlechts miteinander verbindet. Der Initiator der modernen olympischen Bewegung Pierre de Coubertin, der selbst Rugby-Schiedsrichter war, sah im Rugbysport die Möglichkeit "moralische Stärke und sozialen Zusammenhalt zu entwickeln". In unserem Nachbarland Frankreich, dem wir sonst in so vielfältiger Weise verbunden sind, gilt Rugby als derjenige Sport, der am besten wichtige Werte im Leben vermitteln kann: Respekt vor Gegner, Schiedsrichter und Mitspielern; sich selbst nicht über die Mannschaft zu stellen und nicht zuletzt die Fairness als oberstes Gebot des Miteinander auf und neben dem Feld. Ganz anders, als beim hierzulande alles dominierenden Fußball, der sich in den letzten beiden Jahrzehnten immer weiter von diesen Werten entfernt hat.
Gerade die Tatsache, dass der Frauen-Wettbewerb fast völlig außer Acht gelassen wird, ist eine riesige Enttäuschung. Rugby insgesamt ist ein Sport, der rund um den Globus wächst. Doch speziell bei den Damen gab es in den letzten Jahren unglaubliche Steigerungsraten zu beobachten. Die Anzahl der registrierten Spielerinnen allein 2015 ist laut Zahlen des Weltverbands rund um den Globus um ganze 17% angestiegen. Mittlerweile ist jeder neunte Vereinsspieler eine Spielerin, noch 2009 war das nur bei jedem 15. atkiven Vereinsmitglied der Fall.
Rugby-Berichterstattung in Deutschland: Klischeebehaftet und effekthascherisch
Stattdessen dominieren die Stereotypen in der seltenen Berichterstattung über Rugby hierzulande. Unrühmlicher Vorreiter ist immer wieder die Bild-Zeitung, die sich einzig dann für den Kampf um das ovale Ei zu interessieren scheint, wenn er blutige Bilder oder nackte Haut produziert. Irgendeine Sport-bezogene Berichterstattung zur Rugby-WM im vergangenen Herbst - immerhin das drittgrößte Sportevent auf dem Planeten - Fehlanzeige! Ebenso wird es vermutlich während des Rugby-Turniers in Rio ablaufen, die Titelseite der Bild gab gestern bereits einen Vorgeschmack darauf. Fünf entblößte englische Nationalspielerinnen waren da zu sehen. Diese hatten mit der britischen Ausgabe der "Women's health" ausführlich über ihr Körperbewusstsein und ihren Sport gesprochen und sich dafür hüllenlos ablichten lassen. Für die Bild ließ sich das gut mit der Überschrift "So nackig kann Rugby sein" und einigen wenigen Zeilen abarbeiten, um einen Vorwand zu haben, das Bild abzudrucken, natürlich ohne auf die eigentliche Botschaft der Aktion einzugehen.
Auf Facebook ging das Boulevardblatt dann sogar noch einen Schritt weiter und fügte dem Foto rote Herzchen hinzu, platziert genau über den Intimregionen der Spielerinnen. Implizierend, dass diese sonst explizit zu sehen gewesen wären, was aufgrund der Pose und der Kameraposition nicht der Fall war. Auf Heather Fishers Kopf zeigte zudem ein dicker roter Pfeil und dazu die Überschrift, "Nicht das was sie vermuten". Fisher leidet bekanntermaßen seit Jahren unter Alopecia, einer Form des Haarausfalls und entspricht mit ihrem muskulösen Körperbau und der krankheitsbedingten Glatze scheinbar nicht dem, was sich Bild-Redakteure unter einer richtigen Frau vorstellen (Beispiele liefern diese auf der Webseite zu Genüge: Silvie van der Vaart, Sofia Thomalla usw.). Ein Hohn gegenüber der eigentlichen Intention der fünf Frauen.
Noch sind die Sendepläne bei ARD und ZDF nicht vollends ausgestaltet
Eine TotalRugby-Nachfrage hat ergeben: Noch sind bei ARD und ZDF nicht alle Entscheidungen bezüglich der genauen Gestaltung der Berichterstattung gefallen. Aber ganze 36 Fußballspiele und damit mehr als 72 Stunden Nettosendezeit in Rio sind jetzt schon für die sechs verfügbaren Streamplätze in den kommenden 16 Tagen vorgesehen. Des Weiteren kann man angesichts der hierzulande herrschenden medialen Fußball-Obsession davon ausgehen, dass darüber hinaus auch viel Sendezeit im Hauptprogramm für die beiden Fußball-Wettbewerbe verwendet werden wird. Dabei handelt es sich bei den Männern beispielsweise nur um ein besseres U21 Turnier, so dass sich selbst Olympia-Teilnehmer und Borussia Dortmund Spieler Sven Bender genötigt sah, seinen Respekt für das Turnier und dessen Relevanz zu betonen. Wohlwissend, dass bei Weitem nicht alle Fußballer seine Meinung teilen.
Wir sind der Meinung, dass die öffentlich rechtlichen Sender zumindest bei Olymlpia den Fokus ihrer Berichterstattung etwas weiter streuen sollten. Nachdem bereits der gesamte Juni im Zeichen von König Fußball stand, würden wir uns zumindest bei Olympia ein wenig Abwechslung wünschen. Wenn dies in mehr Rugby-Berichterstattung resultiert, die darüber hinaus von den in Deutschland verbreiteten Klischees abweicht, würden wir das als TotalRugby-Redaktion umso mehr begrüßen.
Deshalb lautet unser Plädoyer an ARD und ZDF: Mutet den deutschen Fernsehzuschauern ruhig mal was anderes, als immer nur König Fußball zu! Vielleicht auch mal ein paar starke Frauen, die dem Rugby-Ball hinterherjagen. Die Eurosport-Quoten während der WM haben es gezeigt: Es besteht durchaus Interesse an anderen Sportarten, auch für das in vielen deutschen Augen so fremde Rugby.
Aber auch für Rugby-Fans hierzulande gilt: Nehmt die wenigen Angebote von ARD und ZDF wahr. Auch wenn man als eingefleischter Fan eher geneigt sein mag, sich einen englischen Stream mit gewohnten Kommentator zu suchen. Nur anhand der Klickzahlen werden die Redaktionen von ARD und ZDF das gesteigerte Interesse am Rugby wahrnehmen. Auch bei der WM im letzten Herbst war gegen Ende des Turniers ein gesteigertes Interesse samt entsprechenden ausführlichen Berichten von ARD und ZDF wahrzunehmen. Vielleicht auch auf der Erkenntnis beruhend, dass diese Rugby-Geschichte doch eine recht große Nummer ist.
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