Tim Menzel (l.) und Jaco Otto feiern den entscheidenden Versuch vor enthusiastischem Kölner Publikum (c) Jürgen Keßler
Nationaltrainer Kobus Potgieter sprach in der Pressekonferenz nach dem 17:17 Unentschieden gegen die Spanier von einem Ereignis, auf das man in ein paar Jahren bei einem Pils nostalgisch und stolz zurückschauen könne. Tatsächlich ist der DRV XV mit dem Unentschieden gegen die favorisierten Spanier vor 6150 begeisterten Kölner Zuschauern ein großer Erfolg gelungen. Grund genug für TotalRugby auf das Länderspiel zurückzublicken und das Geschehen im Sportpark Höhenberg einzuordnen.
1. Gemeinsame Trainings- und Spielzeit maximieren
Um in den kommenden Jahren weiterhin Erfolge in der Division 1A des European Nations Cup feiern und sich als Mannschaft weiterentwickeln zu können, muss die Nationalmannschaft mehr Zeit im Training und gegen hochwertige Gegner auf dem Spielfeld verbringen.
Die Brasilien-Tour gegen Ende des letzten Jahres und die Qualifikationsspiele zum Challenge Cup haben der Mannschaft eine Vorbereitung auf hohem Niveau ermöglicht, die sich ultimativ gegen Portugal und Spanien ausgezahlt hat.
Die Auslands-Profis in das gewachsene Heidelberger Gefüge zu integrieren, allen voran den extrem talentierten jungen Verbinder Christopher Hilsenbeck, wird die nächste große Herausforderung sein. Aber schon in Köln gelang es dem Zehner der US Colomiers, anders als in Hannover, nach seiner Einwechslung in der zweiten Spielhälfte das Tempo in den Spielzügen der Reihe anzuziehen und ab und an auch einen cleveren taktischen Kick einzubauen.
Einfache Fehler, wie die mehrfach fallengelassenen spanischen Ankicks, hätten vom sonst überragenden deutschen Sturm eigentlich besser gehandhabt werden müssen.
2. Mediale Aufmerksamkeit generieren
Einer der zahlreichen Reporter auf der Pressetribüne fasste das Geschehen im Kölner Sportpark Höhenberg so zusammen: „ihr macht hier richtig gute Werbung für euren Sport“. Und zweifelsohne, das Geschehen auf dem Platz, die gute Organisation, die friedliche aber enthusiastische Atmosphäre im Stadion und der Klassenerhalt der DRV XV werden ihren Weg in viele Zeitungen und auf die TV-Bildschirme zahlloser Haushalte via Sport1 und Sportdeuschland TV schaffen.
Dennoch sollte sich der geneigte Rugby-Fan keine Illusionen machen. Das fast zeitgleich stattfindende Fußball-Spiel auf der anderen Rheinseite zwischen dem FC Köln und Bayern München hat ein vielfaches an medialer Aufmerksamkeit generiert, so vorhersehbar das Ergebnis auch sein mochte.
Noch viel enttäuschender ist, dass sich sowohl Boulevard- als auch seriöse Medien reihenweise auf die Geschichte eines australischen League Spielers stürzten, der sich während eines Spiels in Frankreich am Penis verletzte. Die Berichterstattung dieses Vorfalls nahm mindestens ebenso viel Platz ein, wie die positive Geschichte über den Länderspiel-Erfolg vom Wochenende.
Um die Werte des Rugby und nicht seine Brutalität in den Vordergrund zu stellen, bedarf es der Hilfe eines jeden Rugby-Klubs hierzulande. Nur mit fortwährender lokaler Berichterstattung wird der Sport langfristig in Deutschland richtig Fuß fassen. Dass generell ein Interesse an einem ehrlichen fairen Kontaktsport besteht, haben die Erfolge in Sachen Einschaltquoten bei der WM und dieZuschauerzahlen im ENC 1A bereits bewiesen.
3. Nun gilt: alle Konzentration auf unsere Siebener-Jungs
Abseits der „großen“ Bühne am Samstag in Köln, fand im benachbarten Hürth ein wenig beachtetes Siebener-Turnier mit zahlreichen Nationalmannschaften und der Perspektivmannschaft des DRV statt.
Eben jene Siebener Mannschaft, gespickt mit zahlreichen Topspielern wie Anjo Buckman und Carlos Soteras-Merz, konnte sich dringend benötigte Spielpraxis vor den anstehenden Saison-Highlights holen. Denn mit der Qualifikation zur World Series in Hong Kong in gerade einmal vier Wochen und der Olympia-Quali in Monaco im Juni könnte der zweiten Nationalmannschaft des DRV das gelingen, was der DRV XV mittelfristig verwehrt bleiben wird, Wettbewerbe auf Weltklasse-Niveau. Die Six Nations werden aller Voraussicht nach ein geschlossener elitärer Klub bleiben. Aber deutsche Spieler wie Sam Rainger, Fabian Heimpel oder Phil Szczesny im Duell gegen die All Blacks 7s mit Sonny Bill Williams und Liam Messam zu sehen, könnte noch in diesem Jahr zur Realität werden.
Deshalb gilt es jetzt alles zu tun, um diesen Traum Realität werden zu lassen. Angesichts der Attraktivität des 7er Formats mit schnellen Spielen vor beeindruckenden Kulissen, könnte eine Qualifikation für Olympia oder die World Series wahre Wunder in Sachen medialer Aufmerksamkeit vollbringen. Das wiederum würde dem deutschen Rugby insgesamt zu Gute kommen.
4. Zuschauerzuspruch
Ausverkaufte Stadien in Köln sowie in Hannover mit jeweils überragender Atmosphäre. Die beiden erfolgreichen Länderspiele in diesem Spätwinter haben bewiesen, auch in Deutschland gibt es Potential für wahre Rugby-Feste. Der Heidelberger Fritz-Grunebaum Sportpark mag zwar bisher das Wohnzimmer des deutschen Rugby gewesen sein. Doch mit den zunehmenden Erfolgen der DRV XV ist diese ihrem eigenen Wohnzimmer entwachsen.
Mit einem Spiel im Frankfurter Volksbank Stadion beispielsweise, ließen sich bis zu 12.500 Fans unterbringen. Bei moderaten Eintrittspreisen und guter medialer Vorarbeit wäre das sicherlich zu machen und würde weiterhin dazu beitragen, dass das deutsche Rugby öfter den Weg in die Sportseiten der großen Zeitungen und in das Fernsehen schafft. Deshalb kann man nur hoffen, dass die Entscheidungsträger beim DRV und die lokalen Ausrichter in der nächsten Saison auf die Erfolge aufbauen, und bei der Stadionwahl noch ambitionierter sein werden.
5. Perspektive WM-Teilnahme?
Mit dem Klassenerhalt in der Division 1A ist das alles überragenden Saisonziel der Nationalmannschaft erreicht worden. Doch was kommt danach?
Erst einmal wird es weiter gegen den Abstieg gehen und Aufsteiger Belgien wird dabei aller Voraussicht nach der ärgste Widersacher sein. Doch mit der fortwährenden Unterstützung und der zunehmenden Professionalisierung durch die Wild Rugby Akademie müssen sich die Verantwortlichen auch fragen lassen, ist eine WM-Teilnahme mittelfristig machbar?
So sehr die regelmäßigen Spiele gegen die Topteams aus Georgien und Russland auch der Entwicklung der Mannschaft zuträglich sein mögen. Den ganz großen Sprung würde man sicherlich nur mit einer WM-Teilnahme vollziehen können. Dieser erscheint erst recht möglich, wenn sich World Rugby CEO Brett Gosper mit seinem Vorschlag durchsetzen sollte, die Rugby WM auf 24 Teams aufzustocken.
Die Lücke zu Rumänien wird sich, auch aufgrund der Profi-Liga des Verbandes, aber nur schwer schließen lassen. Den Topspielern der Bundesliga fehlt es einfach an regelmäßiger Spielpraxis in engen hochwertigen Spielen. Auch deshalb wäre es vielleicht eine Überlegung wert, die Spieler der WRA über mehrere Klubs zu verteilen. So wäre eine spannendere Bundesliga, bei der die Meisterschaft nicht schon vorher entschieden ist, erreicht.
Die Nationalspieler könnten aber dennoch regelmäßig gemeinsam am Heidelberger Stützpunkt zusammen trainieren, unabhängig vom eigenen Vereinstraining. Eben jenen Vereinen wäre ebenso gedient, einerseits mit der Erfahrung und dem Know-How der WRA und andererseits mit einem besseren Produkt, dass sie jeweils lokal besser vermarkten könnten.
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