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Hannover 78: "Titel 2018? Das ist Größenwahn!"
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Geschrieben von TotalRugby Team   
Montag, 21. März 2016

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Ex-Nationaltrainer Torsten Schippe ist Trainer bei seinem Heimatverein Hannover 78 - © Keßler

Wohin führt der Weg von Hannover 78? Wir haben uns mit Trainer Torsten Schippe und Mannschaftskapitän Christopher Kopp über den bisherigen Saisonverlauf, die personelle Situation, die Möglichkeiten, die Ziele und den Rugbysport in Hannover und Deutschland unterhalten.

Die erste Mannschaft (1. Liga) hatte zuletzt 15 Ausfälle zu beklagen, die zweite (2. Liga) trat nicht an: Wie besorgniserregend ist die personelle Situation bei 78? Ist kurzfristige Besserung in Sicht?

Torsten Schippe: Besserung ist in Sicht. Die Grippewelle und der Magen-Darm-Virus scheinen überwunden zu sein. Einige Langzeitverletzte befinden sich noch in der Reha, was wir aber hoffentlich kompensieren können. Zudem haben sich die studienbedingten Ausfälle bei  der zweiten Mannschaft entspannt, so dass wir hier auch optimistisch sind, sofern keine weiteren verletzungsbedingten Ausfälle hinzukommen.

Christopher Koop: Dass die zweite Mannschaft nicht angetreten ist, hing mit den vielen Ausfällen der ersten Mannschaft zusammen. Wenn eine komplette Mannschaft fehlt, wird es sicherlich für jedes Team schwer, diese Lücke zu füllen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir haben mit dem Großteil unserer zweiten Mannschaft gegen den - nun stärksten - hannoverschen Verein gespielt und über weite Strecken trotzdem mitgehalten. Dementsprechend ist die personelle Situation bei 78 auch nicht als besorgniserregend einzustufen. Im Laufe des Jahres werden viele Jugendspieler volljährig und die meisten von ihnen haben jetzt schon Ambitionen, sich für die Herrenmannschaften zu beweisen

Vor gar nicht allzu langer Zeit war noch davon die Rede, dass für den Herrenbereich 75 Spieler zur Verfügung stünden. Wie stellt sich die Situation aktuell dar?

Torsten Schippe: Aktuell stellt sich die Situation etwas anders dar. Studien- oder berufsbedingte Abgänge, auch zeitlich begrenzte, haben uns in der Tat, zugesetzt. Aktuell bin ich jedoch zuversichtlich, ausreichend Spieler zur Verfügung zu haben. Wobei sicherlich nicht nur die personelle Situation ausschlaggebend war. An einem Wochenende, an dem beide Mannschaften - im schlimmsten Fall zeitgleich - spielen, helfen uns die Regularien nicht wirklich. Ist das Erstliga- vor dem Zweitligaspiel, darf kein Spieler der Startformation der ersten Mannschaft für die zweite Spielen, also auch nicht auf der Bank platznehmen. Erste-Reihe-Stürmer sind zum Beispiel in der gesamten Bundesliga Mangelware und bei zwei Mannschaften brauchst du mindestens acht davon. Hierzu ist aus Gründen der Sicherheit eine spezielle Ausbildung notwendig, die wir strengstens beachten.

Christopher Kopp: Es ist immer ein Unterschied, wie viele Spieler auf dem Papier und dann später in der Realität zur Verfügung stehen. Sicherlich hat es mal eine Zeit gegeben, in der wir 75 Spielerpässe hatten, jedoch standen diese 75 Spieler in den vergangenen zehn Jahren zu keiner Zeit gemeinsam auf dem Platz. Wer diese Zahlen propagiert hat, sollte dementsprechend als mannschaftsfremd eingestuft werden. Unsere Situation hat sich nur dahingehend verschlechtert, dass einige Leistungsträger, vor allem aus dem Sturm, aus beruflichen Gründen ins Ausland gehen mussten. Aber auch diese Abgänge werden wir voraussichtlich mit unserer Jugend im Laufe des Jahres ausgleichen können.

Hannover 78 war vergangene Saison Halbfinalist, ist aktuell aber "nur" noch die dritte Kraft im Norden. Wo sehen Sie die Gründe dafür?

Torsten Schippe: Die Gründe sind vielfältig, einer davon sind die bereits genannten Abgänge. Florian Weber, einst Mannschaftkapitän und sicherlich eine feste Größe im Team, musste zum Beispiel Ausbildung und Praktikum absolvieren und ist nach mehr als einer Saison endlich zurück. Topspieler wie Phil Szczesny sowie einige andere Siebenerspieler stehen nicht mehr zur Verfügung. Unsere positive Einstellung zum Siebener und die auch daraus resultierenden Verletzungen – zum Beispiel Nico Müller - verlangen jetzt ihren Tribut. Kommt noch eine Doppelbelastung aus DRV XII und DRV XV wie im Fall Pascal Fischer hinzu, haben wir auch eine Fürsorgepflicht, diese Spieler nicht zu überlasten, ihnen also Zeit zur Regeneration zu geben.

Christopher Kopp: Wie bereits angesprochen fehlen uns zu den wichtigen Spielen, aufgrund von Verletzungen, Arbeit, Einsätzen für die Nationalmannschaft oder anderweitigen Aktivitäten immer wieder viele Spieler, deren Ausfälle nur schlecht zu kompensieren sind. Dies soll in keiner Weise eine Kritik an den Nationalmannschaften sein, da auch 78 als Verein vollkommen hinter der Arbeit der DRV VII und der DRV XV in Kombination mit der Wild Academy steht. Wenn man aber nicht gerade einen so hochwertigen und tiefen Kader wie der HRK hat, dann schlägt der Ausfall eines Nationalspielers bei einem Punktspieltag schwer ins Gewicht. Diese Saison war zwar sehr durchwachsen, aber es hat den Anschein, als seien die Spieler wieder näher zusammengerückt. Es geht momentan viel mehr Engagement von der Mannschaft aus als in der Vergangenheit. Wenn wir diese positive Energie mit in den Rest der Saison und in die neue Saison nehmen können, dann wird 78 hoffentlich bald wieder dort stehen wo wir in den vergangenen Jahren waren.

Im Vereinsmagazin war davon die Rede, dass man 2018 Deutscher Meister werden will - im 7er und 15er. Müssen diese Ziele bzw. der Zeitplan neu definiert werden?

Torsten Schippe: Das sind Visionen! Aber wie sagte schon unser ehemaliger Bundeskanzler Helmut Schmidt: Wer Visionen hat, sollte... Ich war nie ein Fan solcher Visionen oder Statements, eher Realist. Wenn wir bis 2018 mit einem stabilen Kader, der ausschließlich aus nicht eingekauften Spielern besteht, die Halbfinals erreichen und attraktives Angriffsrugby spielen, uns den Respekt unserer Gegner erarbeiten, bin ich sehr zufrieden. Hierzu sind jedoch Weitsicht und konstruktive Jugendarbeit unerlässlich. Nur eine breite Basis schafft eine Plattform für Erfolg.

Christopher Kopp: Die Mannschaft hat diese Aussage von Beginn an als eine Farce gesehen. Selbstverständlich sollte man sich hohe Ziele setzen und möglichst viel erreichen wollen, jedoch grenzt es an Größenwahn, den Titelgewinn für 2018 als Ziel auszugeben und dies ausschließlich mit Eigengewächsen erreichen zu wollen. Der Rugbysport hat sich auch in Deutschland weiterentwickelt und es fließen zum Glück immer mehr Gelder in unserem Sport. Solange ein Verein jedoch nicht das Geld aufbringen kann, nur wenige gut ausgebildete Jugendtrainer zu unterhalten und eine "professionellere" Jugendarbeit zu betreiben, wird das auch mit dem Titelgewinn bei den Herren nichts. Eine Zielkorrektur in diese Richtung sollte vorangetrieben werden, dass wir in Zukunft wieder eine volle Jugendabteilung aufbauen wollen, die ganz oben in Deutschland mitspielen kann. Wenn die Jugend Titel holt, kann diese Siegermentalität irgendwann auch in die Herrenmannschaft übertragen werden.

Wo sehen sie Hannover 78 im Jahr 2018?

Christopher Kopp: Im Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft. Alles Weitere wäre das i-Tüpfelchen.

Wo sehen Sie den deutschen Rugbysport 2018?

Torsten Schippe: Das kann ich nicht genau beantworten, die Entwicklung ist zu rasant. Ich denke, wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt und nach den Olympischen Spielen wird sich einiges klären. Erst danach werden wir wissen, wie nachhaltig die jetzigen Konzepte sind beziehungsweise waren und ob die Konkurrenz oder auch das gemeinsame zwischen 15er und Siebener einen Teil dazu geleistet hat.

Christopher Kopp: Die DRV VII spielt hoffentlich in der World Series und die DRV XV wird in derselben EM-Division 1A hoffentlich den nächsten Schritt machen und in der Lage sein, auch mal Spanien, Rumänien oder Russland zu besiegen.

Wie beurteilen Sie insgesamt die Entwicklung in Sachen Rugby in der einstigen Hochburg Hannover?

Torsten Schippe: Generationswechsel sind in einigen Bereichen vollzogen und man entwickelt sich weiter. Mehr als 8000 Zuschauer beim Spiel der DRV XV in Hannover gegen Portugal sprechen für sich und das Interesse an der DRV-Auswahl. In der BL gibt es wieder interessante und spannende Spiele auf gleichwertigem, gutem Niveau. Die Ausbildung neuer Trainer wird positiv unterstützt und es werden gemeinsame Konzepte in allen Ausbildungsbereichen verfolgt. Allerdings wird es noch ein sehr langer und schwerer Weg, um den Anschluss zu halten. Ob die angewandten Konzepte ihre Nachhaltigkeit unter Beweis stellen, kann ich nicht beurteilen, hoffe es jedoch sehr.

Christopher Kopp: Es hat sich in den vergangenen Jahren ordentlich was getan in Hannover. Die Trainingsgruppen des NRV arbeiten hart und die Teams sind dichter aneinandergerückt, was man besonders am Beispiel des SC Germania List sehen kann. Die Jugendspieltage sind auf einem hohen Niveau und einige der Teams nehmen an internationalen Jugendturnieren teil, bei denen sie meist auch gut abschneiden. Hannover mag zwar für manche keine Hochburg in Sachen Rugby mehr sein, aber wir sind auf dem besten Weg in eine vielversprechende Zukunft. Vielleicht eröffnen sich dem hannoverschen Sport mit dem bevorstehenden Abstieg von Hannover 96 aus der 1. Fußball-Bundesliga ja auch neue Möglichkeiten im Bereich Sponsoring.

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Kommentare (1)add comment

Dirk Sebesse said:

809
Interview Hannover 78
Hallo TR-Team,
ich freue mich, dass meine - konstruktiv gedachte - Kritik Früchte trägt und Ihr dieses Interview gemacht und veröffentlicht habt. Vielen Dank!

Überdies habe ich wieder per Email aus Eurem Team die bewährte Nachfrage zur Vorberichterstattung mit einigen Fragen zur Situation bei 78 vor dem Spiel bei RK 03 erhalten, die ich wie immer umfänglich und schnellstmöglich beantworten werde.

Unsere Zusammenarbeit ist auf dem Weg der Besserung!
März 22, 2016

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