Die irischen Fans wollen einen historischen dritten Sechs-Nationen-Titel in Folge - © May
Das diesjährige Sechs Nationen Turnier scheint offen wie nie. Was sich seit der WM bei den europäischen Top-Teams getan hat: Hier unsere Vorschau:
Die beiden traditionellen Schwergewichte Frankreich und England haben nach einer jeweils enttäuschenden WM ihre Trainer und einen Teil des Spielermaterials gewechselt. Aber auch Titelverteidiger Irland hatte sich insgeheim bei der WM mehr ausgerechnet. Schottlands Erstarken und Wales gut besetzter und eingespielter Kader, einen Favoriten in diesem Jahr auszumachen fällt wirklich schwer. Eine spannende Frage wird darüber hinaus ab diesem Wochenende beantwortet werden. Können die europäischen Top-Mannschaften ihre risikoscheue Spielweise ein wenig zugunsten eines expansiveren Spielstils ändern? Argentiniens atemberaubende Entwicklung innerhalb von nur drei Jahren in der Rugby Championship sollte als Fingerzeig reichen. Um mit den besten Mannschaften der Südhemisphäre mitzuhalten bedarf es mehr als einen guten Kicker und ein Gedränge das Straftritte herausholt.
Irland: Historischer dritter Titel?
Die Nationalmannschaft Irlands könnte bei den diesjährigen Six Nations historisches vollbringen, erstmals den dritten Titel in Folge zu holen. Doch so recht will trotz dieser Möglichkeit keine Euphorie auf der grünen Insel aufkommen. Das liegt zum einen natürlich an der Weltmeisterschaft im letzten Herbst. Diese verkorkst zu nennen wäre aufgrund des Viertelfinaleinzuges vielleicht ein wenig übertrieben. Insgeheim hatten viele Experten dem amtierenden Six Nations Titelträger allerdings den ganz großen Wurf zugetraut. Doch in eben jenem Viertelfinale wurden den Mannen Joe Schmidts deutlich die Grenzen durch die Argentinier aufgezeigt, das Spiel endete 43-20 für die Gauchos. So gesehen war das Abschneiden der Iren sicherlich enttäuschend. War man vorher in Irland noch absolut einverstanden mit dem relativ konservativen und einfachen Spielansatz von Head Coach Joe Schmidt, kamen nach dem Turnier in England erste kritischen Stimmen auf. Immerhin hatte die Hintermannschaft der Pumas um Cordero und Tuculet die irische Verteidigung auseinandergenommen. Fast ausschließlich per „Garryowen“(up and under/bomb) durch Verbinder Sexton den Weg nach vorne zu suchen und dann auf die Luftüberlegenheit von Rob Kearney und Tommy Bowe zu setzen, scheint auf einmal antiquiert und wenig erfolgversprechend. Zum anderen scheiterten erstmals alle drei irischen Spitzenteams Munster, Leinster und Ulster in der Gruppenphase des Champions Cup. Verletzungen von Leistungsträgern wie Flanker Peter O‘Mahony, Cian Healy sowie die Pensionierung der Ikone Paul O‘Connel tragen ihr Übriges zum Pessimismus vieler irischer Beobachter bei. Auf der Verbinderposition führt momentan kein Weg an Johnny Sexton vorbei. Doch dieser hatte in letzter Zeit so viele Gehirnerschütterungen erlitten, dass sich der bekannteste irische Rugby TV Experte George Hook genötigt sah, Sexton das vorzeitige Karriereende zu empfehlen. Paddy Jackson, derzeit bei Ulster brillierender Verbinder, hat dagegen scheinbar nicht das Vertrauen von Schmidt, und wurde wieder zu seinem Verein geschickt. So sehr sich aber auch der Pessimismus rund um das irische Quartier im Carton House auch breit gemacht haben sollte. Der Kader der Iren kann sich immer noch mehr als sehen lassen und die Erfolge der letzten Jahre sind nicht nach einem schlechten Spiel passé. Immerhin konnte man sich in den letzten beiden Jahren auf Augenhöhe mit den Springboks, Wallabies und All Blacks messen. Darüber hinaus rücken weiter junge Talente wie beispielsweise die beiden Innen-Dreiviertel Stuart McCloskey von Ulster und Garry Ringrose aus Leinster nach. Während letzterer trotz persönlicher Empfehlung von Brian O‘Driscoll an Trainer Schmidt (noch) nicht im Kader gegen Wales steht, zeigen die nachrückenden Talente die momentane Stärke des irischen Rugbys. TotalRugby Prognose: Irland wird auch in diesem Jahr um den Titel mitspielen.
Frankreich: Der Start der Ära Novès
Zurück in die Zukunft, das schien das Motto der Nominierung von Guy Novès als „Sélectionneur“ der französischen Nationalmannschaft zu sein. Novès, der vorher 22 Jahre lang die erfolgreichste Ära von Frankreichs wichtigstem Klub Stade Toulousain als Trainer leitete, wurde von vielen Experten als äußerst konservative Wahl eingeschätzt. Immerhin bedarf es gerade bei unserem linksrheinischen Nachbarn an einigen Veränderungen. Mittelmäßige Leistungen bei den Six Nations seit dem Grand Slam 2010, ein Spielstil der mit dem berühmten „French Flair“ kaum mehr was zu tun hat und schließlich die Demütigung durch die Neuseeländer im Viertelfinale der WM in Cardiff. Eine 62:13 Vorführung an genau jener Stelle, wo es der XV de France acht Jahre zuvor gelungen war, die All Blacks überraschend aus dem Turnier zu kegeln. Ex-Trainer Phillipe Saint-André warf nach dem blamablen Aus Teilen seiner Mannschaft vor, nicht sonderlich daran interessiert zu sein, das blaue Maillot Frankreichs zu tragen. Eigentlich ist der Rugbysport in Frankreich in einem kerngesunden Zustand. Die beiden Rugby Oberhäuser Top 14 und ProD2 boomen seit Jahren, mehr Menschen schauen sich die Spiele in den Stadion und am Fernseher an, dementsprechend sprudeln die Fernsehgelder. Angesichts der Tatsache, dass Serienmeister und Spitzenclub Toulon gerade mal einen einzigen Spieler für die Nationalmannschaft abstellen muss, wird das Problem deutlich. Selbst Aufsteiger wie Pau und Fahrstuhlmannschaften wie La Rochelle können sich aufgrund der steigenden TV Einnahmen Starspieler wie Conrad Smith und Victor Vito leisten. Französische Talente bekommen nicht genügend Spielzeit. Obwohl Novès im Gegensatz zu Fabien Galthié oder Raphaël Ibañez als die konservative Wahl unter den Kandidaten für den Frankreich-Trainerjob galt, überraschte er mit einigen mutigen Nominierungen. Sicherlich die größte Überraschung ist dabei die Beförderung des 7s Spezialisten Virimi Vakatawa in die Startformation, ohne dass er momentan bei einem 15er Klub spielen würde oder schon einmal für die 15er Nationalmannschaft aufgelaufen wäre. Der wohl beste 7er Spieler der Franzosen momentan, gegen den auch bereits unsere 7er Jungs im vergangenen Sommer in der GPS Serie spielen durften, wird mit seiner physischen Präsenz und Schnelligkeit den einen oder anderen Verteidiger vor Probleme stellen. Mit Hugo Bonneval und Maxime Médard komplettieren zwei konterstarke Schlusspieler die Außendreiviertelreihe. Die Kombination Sebastién Bézy und Jules Plisson bilden das in Frankreich sogenannte „Scharnier“ aus 9 und 10 in der Auftaktpartie gegen Italien. Während Plisson es bis dato nur sechs mal in den Kader der XV de France geschafft hatte, gibt der 24-jährige Toulouser Bézy gar sein Debüt. Die beiden Innen Fickou und Debütant Jonathan Danty können zweifelsohne auch als mutige Nominierung angesehen werden. In der zweiten Sturmreihe wird Paul Jedrasiak vom ASM Clermont an seinem 23. Geburtstag ebenfalls sein erstes Länderspiel bestreiten, der insgesamt 4. Debütant in der Startaufstellung in der ersten Partie unter Guy Novès. Frankreichs neuer Trainer hat somit zumindest bei der Auswahl seiner Spieler viel Mut bewiesen. Ob sich dieser dann auch in der Spielweise widerspiegeln wird zeigt sich am Sonntag. Der Kader der Franzosen ist auch ohne den zurückgetretenen Kapitän Thierry Dusautoir mit talentierten Spielern gespickt. TotalRugby Prognose: Frankreich ist und bleibt eine Wundertüte. Sollte Novès aus den talentierten Individualisten eine Mannschaft formen können, spielt Frankreich um den Titel mit.
Italien: Favorit auf den letzten Platz
Da wäre immerhin Sergio Parisse, aber wenn man die Schwächen der Mannschaft Italiens gegenüberstellt fallen einem spontan deutlich mehr Argumente ein, warum Italien in diesem Jahr der heißeste Anwärter auf den „Wooden Spoon“ ist. Zwar gewannen die Azzuri im letzten Jahr mit einem Versuch in allerletzter Minute in Edinburgh gegen die Schotten. Aber eben jene Schotten haben seitdem unter dem neuen Trainer Vern Cotter eine erstaunliche Renaissance durchlebt, die erst jäh durch eine fragwürdige Schiedsrichter-Entscheidung in allerletzter Sekunde des WM-Viertelfinales zu einem vorzeitigen Ende kam. Italien wiederum hatte in der WM-Gruppenphase sowohl gegen Rumänien als auch gegen Kanada ein Duell auf Augenhöhe, das man jeweils knapp für sich entscheiden konnte. Denn selbst im 16. Jahr nach der Aufnahme in die Six Nations, und den damit verbundenen Partien gegen die großen Teams des europäischen Rugby sowie den massiv gesteigerten Einnahmen, ist Italien nicht zu einem ebenbürtigen Gegner herangewachsen. Siege gegen Frankreich und Wales in Rom blieben eher die Ausnahme und so verwundert es auch kaum, dass vielerorts gefordert wird Georgien eine Chance zu geben in den erlauchten Kreis der Six Nations auf Kosten der Italiener aufzusteigen. In der Weltrangliste lag der Gegner unserer DRV Jungs im letzten Jahr schon vor den Italienern. Während erfahrene Spieler wie Kapitän Parisse, der wohl einzige Spieler Italiens von Weltklasseformat, Prop Martin Castrogiovanni und Hakler Leonardo Ghiraldini langsam dem Ende ihrer Karriere entgegenschaun, sieht es recht düster in Sachen Nachwuchs aus. Obwohl Zebre in der Pro12 mittlerweile ab und an Siege einfährt, verlor der andere Profiklub des Landes Benneton Treviso in der letzten Woche das 26. Spiel in Folge in der Pro12. Der vielversprechende 22-jährige Innendreiviertel Michele Campagnaro hat es seit seinem Wechsel zum englischen Topklub Exeter erst zwei mal in die Startaufstellung geschafft. Selbst das Heimspiel gegen die Schotten wird in der aktuellen Form und mit dem Spielermaterial, das Trainer Jacques Brunel zur Verfügung steht, eine ganz schwierige Angelegenheit. Für Italien scheint 2016 ein ganz schweres Jahr in den Six Nations zu werden. TotalRugby Prognose: Italien ist momentan der heißeste Anwärter auf den Wooden Spoon.
England: Neuer Trainer, neuer Kapitän – neues Glück?
Nach dem schmachvollen Vorrundenaus bei der Heim-WM im vergangenen Herbst blieb kein Stein mehr auf dem anderen im Rugby-Hauptquartier Twickenham. Mit dem Australier Eddie Jones übernimmt ein schillernder Fachmann der Rugby-Szene das Kommando beim Rosen-Team. Der 56 jähriger Exzentriker war zuletzt Trainer Japans, die er zu drei Siegen und einem sensationellen dritten Platz in der WM-Gruppe führte. Sein Sieg über Südafrika gilt heute als größte Sensation im Weltrugby. Vorher hatte der ehemalige Hakler des Randwick Klubs in Sydney bereits Australien in das WM-Finale 2003 geführt und als Co-Trainer die Springboks zu ihrem WM Triumph 2007. Jones nahm im Team weitreichende Veränderungen vor. So ersetzte er den glücklosen Kapitän Chris Robshaw durch Hakler und Entfant Terrible Dylan Hartley. Hartley ist ohne Zweifel ein guter internationaler Spieler, leider aber auch bekannt für seine Disziplinlosigkeiten und Ausraster. Insgesamt 54 Wochen Sperre zählt sein trauriger Strafenrekord für Vergehen wie Kopfnüsse, Schläge und Schiedsrichterbeleidigung. Jones ist aber von seinem Kapitän überzeugt und der Auffassung Hartley würde gegnerischen Teams wie einst Angst vor dem englischen Sturm einflößen. Ob nicht eher die Gegenspieler Hartleys versuchen werden seine kurze Zündschnur für sich zu nutzen wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Ein weiteres Fragezeichen steht über der Selektion von James Haskell und Chris Robshaw in der dritten Sturmreihe der Engländer. Die einhellige Meinung in den englischen Rugbymedien war, dass ein Spieler à la Steffon Armitage, also ein klassischer Siebener, der Schlüssel zum Erfolg gewesen wäre. Stattdessen verlässt sich Eddie Jones ebenso wie sein Vorgänger auf zwei Blindside Flanker, um nicht den überragenden Armitage von Toulon nominieren zu müssen. Der letzte Titel Englands bei den Six Nations datiert aus dem Jahr 2011. Unter Jones Vorgänger Stuart Lancaster wurde man viermal in Folge Zweiter. Es ist Jones erklärtes Ziel gleich im ersten Jahr den Titel zu holen, und Englands neuer Trainer ist davon überzeugt, dass die Basis für eine erfolgreiche Arbeit gelegt seien. In der Tat steht Jones eine lange nicht mehr dagewesene Auswahl an talentierten Spielern zur Auswahl. TotalRugby Prognose: England ist von I-XV auf allen Positionen gut besetzt, mit dem richtigen Start in Edinburgh ist England der Titel in diesem Jahr zuzutrauen.
Schottland: Im Umbruch auf dem Weg zum Titel?
Zwei Minuten und eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters kosteten Schottland den Einzug ins WM-Halbfinale. In einem ansonsten durchwachsenen Turnier hätten die Bravehearts hier für die große Sensation sorgen können. Die Mannschaft vom neuseeländischen Trainer Vern Cotter hat Talent, ohne Zweifel, aber es fehlt noch an der Konstanz und internationalen Erfahrung. 1999, damals noch mit fünf Nationen, war das letzte Titeljahr der Schotten. 2008 konnte zuletzt der Calcutta-Cup vom Erzrivalen England entführt werden. Ein Sieg zum Auftakt in diesem Duell und die Hoffnung wird wieder erwachen rund um das Murrayfield in Edinburgh. TotalRugby Prognose: Wenn die schottische Mannschaft ihren Aufwärtstrend bestätigen kann, ist ihr ein Sieg auf heimischen Boden gegen England zuzutrauen, für den Titel scheinen die Schotten aber noch nicht reif zu sein.
Wales: Mit Kontinuität zum Titel?
In Wales erinnert man sich noch gerne an Dan Biggars Straftritt in der Schlussphase des WM-Spiels gegen England. Der 28:25 Sieg in Twickenham war das Highlight in der WM-Kampagne der Waliser, welche im Viertelfinale denkbar knapp gegen Südafrika endete. Auch in diesem Jahr zählt der Champion von 2012 und 2013 zu den Favoriten. Trainer Warren Gatland kann auf eine eingespielte, solide Truppe zurück greifen. Im Auftaktspiel kommt erneut die Paarung der beiden klassischen 7er Justin Tipuric und Sam Warburton zum Einsatz, die sich während der WM als hervorragend funktionierend herausgestellt hatte. Der ehemalige Schluss der Chiefs und gebürtige Neuseeländer Gareth Anscombe wird auf der 15 sein Debüt in der Startaufstellung geben. Wales erfahrener Innen Jamie Roberts scheint auch im siebten Jahr in Folge kein Spiel zu verpassen. Mit dem dynamischen Gedrängehalb Rhys Webb und Schluss Leigh Halfpenny fehlen Wales zwei wichtige Stützen. Dennoch kann Trainer Warren Gatland auf eine erfahrene Mannschaft zurückgreifen und muss sich nicht auf Debütanten verlassen, keine andere Mannschaft im Turnier kann eine ähnliche Kontinuität vorweisen. TotalRugby Prognose: Mit England und Frankreich im Umbruch könnte 2016 das Jahr der Waliser werden. Mit drei ausverkauften Heimspielen vor 75.000 fanatischen Walisern könnte es in diesem Jahr erneut was werden mit dem Titel für die Waliser.
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