Dieser Brief richtet sich an
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die verantwortlichen Stellen des Deutschen Rugby-Verbands e.V. (DRV)
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die Verantwortlichen der Wild Rugby Academy (WRA)
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die Rugby-Abteilung des Heidelberger Ruderklubs 1872 e.V. (HRK)
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die Redakteure von www.totalrugby.de
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alle Freunde und Fans des Rugbysports in Deutschland und an alle Spieler, für die Rugby mehr ist, als nur eine Freizeitbeschäftigung
zunächst möchte ich feststellen, dass dieser Brief ausschließlich meine persönliche Meinung widerspiegelt und losgelöst von meinen Ämtern beim TSV Handschuhsheim Rugby verfasst wurde. Dem TSV Handschuhsheim, sowie allen anderen Rugbyvereinen in Deutschland, steht es frei, sich meiner Kritik anzuschließen und gemeinsam an einer Lösung, des in der Folge beschriebenen Problems zu arbeiten.
Ich bin Rugbyfan.
Ich habe über 12 Jahre lang selbst Rugby in Deutschland gespielt, habe Jugendmannschaften trainiert und sitze im Vorstand eines der größten und traditionsreichsten deutschen Rugby-Vereine. Für mich persönlich gibt es keinen schöneren Sport und nichts würde ich lieber sehen, als dass Rugby in Deutschland wächst und noch mehr Menschen die Möglichkeit erhielten, Rugby zu sehen, zu spielen und zu leben.
Neben einer entsprechenden Jugendförderung, die derzeit leider in vielen Teilen des Landes noch immer nicht existent ist, sehe ich vor allem die Deutsche Rugby Bundesliga als das beste, wenn nicht sogar das einzige Mittel, Menschen für unseren Sport zu begeistern. Solange die Deutschen Nationalmannschaften sich nicht für eine Weltmeisterschaft oder die Olympischen Spiele qualifizieren und somit unser Sport einem breiten Fernsehpublikum präsentiert wird, gibt es für Interessierte keine andere Chance, Rugby auf hohem Niveau zu erleben, als über die Deutsche Rugby Bundesliga.
Daher denke ich, dass es an der Zeit ist, das anzusprechen, was seit Jahren gleichermaßen kritisiert und dennoch schweigend akzeptiert wird:
Die Dominanz des HRK in der Deutschen Rugby Bundesliga hat die höchste Spielklasse unseres Sports zu einem grotesken Witz verkommen lassen. Diese Saison hat das Team aus Heidelberg, durch die Unterstützung ihres Gönners Herrn Dr. Hans-Peter Wild, in Form der Wild Rugby Academy (WRA), seinen sechsten Deutschen Meistertitel in Folge eingefahren - ungeschlagen wohlgemerkt und mit einem Gesamtpunkteverhältnis von 1305:130 Punkten in 18 Spielen (Anm. von 130 Gegenpunkten gingen 57 auf das Konto TV Pforzheim). Dadurch kommt der HRK auf sagenhafte 72.5 Punkte/Spiel, was lediglich 16 Punkte weniger sind, als der Spitzenreiter der Deutschen Basketball Bundesliga (88.57).
Betrachtet man die Einsatzzeiten der HRK Spieler über den Saisonverlauf, wird außerdem schnell klar, dass unter denen, die regelmäßig für den Meister aufliefen, lediglich Arthur Zeiler, Kehoma Brenner und Steffen Liebig bereits für den Verein spielten, bevor dieser durch seinen Mäzen zu einer unschlagbaren Supermacht aufgeblasen wurde. Gelegentlich durften auch weitere Eigengewächse, wie etwa Patrick Schliwa, Thorsten Wiedemann, oder Malte Bieringer neben den internationalen und deutschen Voll- und Halbprofis glänzen. Auch im diesjährigen Finale waren nur diese drei „original“ HRKler (Zeiler, Brenner, Liebig) in der Startaufstellung. Die Frage, wo der HRK stünde, ohne Spieler wie Els, Jordaan, Otto, Armstrong, Buckmann, Widiker, Mathurin, Hittel, Parkinson, usw. hat sich jeder Rugbyfan in Deutschland schon mindestens einmal in den letzten Jahren gestellt.
Ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass ich großen Respekt vor der sportlichen Leistung dieser Mannschaft habe. Der HRK ist nicht auf unfaire Weise zum Serienmeister geworden, sondern spielt lediglich viel besser Rugby als jede andere Mannschaft in Deutschland. Und so sollte es im Sport doch sein, dass das beste Team am Ende gewinnt.
Doch genau hier liegt auch das Problem:
Der HRK ist seit Jahren faktisch unbesiegbar und „verstärkt“ sich jede Saison aufs Neue mit weiteren Talenten aus dem In- und Ausland, was einen ausgeglichenen Wettbewerb in der Bundesliga unmöglich macht. Daher stellt sich die Frage, ob ein Wettbewerb, der eigentlich keiner mehr ist, überhaupt noch Sinn macht? Warum sollte man einem Sport nachgehen, der es von vorneherein ausschließt, dass man am Ende der Saison erfolgreich ist, völlig egal, wie hart man trainiert und wie gut man spielt? Wer will einer Liga folgen, in der der Sieger bereits vor dem ersten Saisonspiel fest steht? Warum sollten Jugendliche sich für Rugby begeistern, wenn sie wissen, dass sie niemals den höchsten nationalen Titel ihres Sports holen können, solange sie nicht für den HRK spielen? Wie soll Rugby in Deutschland wachsen, wenn der Sport seinen eigentlichen Anreiz verloren hat?
Ich habe diese Saison einige großartige Rugbyspiele sehen dürfen, wie z.B. das Rückspiel TSV-RGH oder das Viertelfinale RK03-RGH. Diese Spiele zeigten das große Potential der Spieler und ließen erkennen, wie spannend und unterhaltsam Rugby in Deutschland sein könnte.
Viele dieser Spieler trainieren neben dem Studium, der Schule oder dem Job unter häufig fast professionellen Bedingungen und Anforderungen. Sie verbringen einen Großteil ihrer Freizeit auf dem Rugbyplatz und im Fitnessstudio, um individuell und als Team besser zu werden. Aber wie lange werden diese Spieler noch ihr Leben nach dem Sport richten, wenn die ultimative Motivation ausbleibt? Derbys oder der inoffizielle Titel „Amateurmeister“ täuschen nicht darüber hinweg, dass ihnen der sportliche Anreiz, nämlich zu den Besten zu gehören, verwehrt bleibt. Das einzige realistische Ziel für eine Handvoll Talente bleiben die 7er und 15er Nationalmannschaften. Und auch diese sind dominiert von den Talenten des HRK, trainiert durch die Trainer des Ruderklubs, Kobus Potgieter und Pieter Jordaan.
Und auch bei der Nationalmannschaft zeigt die Dominanz des Klubs seine hässliche Fratze. Zwar spricht vor allem der Erfolg der Deutschland XV in den letzten Jahren zunächst für das „System HRK“. Spieler wie Arthur Zeiler und Steffen Liebig haben sich hervorragend entwickelt und messen sich heute mit Rumänien und Georgien. Jedoch bröckelt die Fassade, wenn man sich die Spiele zu Beginn des Jahres anschaut. Die Deutschland XV hat alle Spiele der Hinrunde mehr oder weniger deutlich verloren und wer die Spiele gesehen hat, fragt sich unweigerlich, warum sich das deutsche Team so schwer damit tut, mit dem Druck eines gleichwertigen Gegners umzugehen? Fehlte es der Ländermannschaft manchmal an Erfahrung, wenn es darum ging, trotz Rückstand, konzentriert weiter zu kämpfen und das Spiel vielleicht doch noch zu drehen? Diese Eindrücke treffen mit Sicherheit nicht auf alle Nationalspieler zu und vielleicht trügt hier auch nur die Enttäuschung über die Niederlagen. Dennoch bleibt die Nationalmannschaft hinter den Erwartungen zurück und muss sich die Fragen gefallen lassen, wo man ansetzen muss, wenn man sich künftig auf diesem Level festsetzen möchte.
Meiner Meinung nach, schadet das System HRK auch hier dem deutschen Rugby mehr, als dass es ihm nützt.
Ich schreibe diesen Brief nicht um den HRK öffentlich anzuprangern, dafür dass sie erfolgreich sind. Es ist auch nicht der Neid oder der Frust eines Vereinsmitglieds, dessen Team seit Jahren gegen den HRK nicht mehr gewinnen konnte. Tatsächlich ist es doch so, dass die Fans und Spieler der übrigen Vereine (wohl mit Ausnahme des TV Pforzheim, deren Spieler per Definition ihrer Zugehörigkeit zum Verein dazu verpflichtet sind, gegen den HRK auf Sieg zu spielen) die Begegnungen gegen den HRK nicht mehr ernst nehmen. Fans sehen keinen Sinn mehr darin, Eintritt zu bezahlen, wenn sie das Ergebnis schon vorher kennen und Trainer müssen sich der Frage stellen, ob es nicht unverantwortlich ist, die Gesundheit ihrer Spieler (vor allem der jüngeren) zu riskieren, wenn man sie gegen den technisch, aber insbesondere körperlich überlegenen HRK auf das Feld schickt.
Ich möchte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, indem ich in die finanziellen Strukturen des HRK eintauche. Wer tatsächlich Profi ist und wer „nur“ einen Job bei den Wild Werken oder woanders im Einflussbereich des Klubs erhalten hat (oder wer lediglich aus rein sportlichen Gründen für den Serienmeister spielt), kann ich nicht sagen. Fakt ist aber, dass es einen finanziellen Anreiz gibt für die vielen „zugekauften“ Spieler. Fakt ist ebenfalls, dass einige dieser Spieler u.a. dadurch „finanziert“ werden, dass sie als Trainer bei der Wild Rugby Academy angestellt sind. Die WRA ist seit 2014 auch Premiumsponsor der Deutschen Nationalmannschaft und hat einen großen Beitrag dafür geleistet, dass diese ihren Spielbetrieb auf ihrem derzeitigen Niveau aufrecht erhalten konnte. Schließlich stellt sich die WRA im ersten Satz auf dem Profil ihrer Homepage mit den Worten vor, dass es das Ziel sei „den Rugbysport in Deutschland zu fördern“.
Ich möchte mit diesem Brief die Frage in den Raum stellen, ob die WRA tatsächlich den Rugbysport in Deutschland oder aber vor allem aber den Herrenbereich des HRK fördert?Wenn eine Gesamtförderung das Ziel ist, dann muss ein Wettbewerb geschaffen werden, um den aktuellen und künftigen Nationalspielern ein Umfeld zu schaffen, indem sie jede Woche aufs Neue an ihr Limit gehen müssen, um mit ihren Clubs zu gewinnen. Dann müssen Niederlagen ebenso zum Leben eines Spielers gehören, wie Erfolge. Dann müssen Talente überall in Deutschland die Möglichkeit haben, von der Erfahrung und dem Können zu profitieren, das „eingekaufte“ und später eingedeutschte Spieler, wie Sean Armstrong oder Pieter Jordaan mitbringen. Wenn es der WRA wirklich ernst ist mit der Förderung des gesamtdeutschen Rugbys, dann müssen die Verantwortlichen dafür sorgen, dass zumindest diese Spieler, die über die WRA finanziert oder teilfinanziert werden, sich auf mehrere Teams an den Rugby Leistungszentren verteilen und dort den Sport fördern. Die Nationaltrainer müssen nicht zwingend den HRK trainieren und einmal die Woche den potentiellen Nationalspielern der Umgebung die Möglichkeit gewähren, auf dem HRK Platz an einem „erweiterten Mannschaftstraining“ des Klubs teilzunehmen.
Dieses Jahr wird auf dem Deutschen Rugbytag „mal wieder“ eine Änderung der Ligastruktur diskutiert und hoffentlich auch verabschiedet werden. Dadurch versucht der DRV krampfhaft einen halbwegs ausgeglichenen Wettbewerb in Deutschlands höchsten beiden Ligen zu schaffen, während man kleineren Vereinen die Möglichkeit erhalten will, sich langsam an das Niveau eines SC Neuenheim, eines RK Heusenstamm oder von Hannover 78 heranzuarbeiten. Doch das größte Problem, nämlich dass der Deutsche Meister auch bereits für die kommenden Jahre feststeht, das bleibt bestehen.
Ich kann Ihnen hier kein Patentrezept vorstellen, mit dem sich dieses Problem beseitigen ließe und ich stimme auch all denen zu, die in der Jugendarbeit die Zukunft des deutschen Rugbys sehen. Dennoch kann auch die beste Jugendförderung, wie die Ergebnisse der RGH, des SC80 Frankfurt und des TSV Handschuhsheim zeigen, die Lücke zwischen den jeweiligen Herrenteams und dem HRK nicht schließen. Im Gegenteil, es erschwert häufig den Prozess, Spieler aus der eigenen Jugend in den Herrenbereich zu integrieren.
Ich wende mich an Sie, weil ich frustriert bin, denn ich sehe in Deutschland für meinen Sport keine Zukunft mehr und ich hoffe, dass dieser Brief eine Debatte anregt, die zum Ziel hat, der Rugby Bundesliga wieder einen Sinn zu geben. Der HRK verhindert seit sechs Jahren einen ausgeglichenen Wettbewerb. Ohne Wettbewerb, kein sportlicher Anreiz. Ohne sportlichen Anreiz, keine Zukunft.
Mit besten Grüßen, Ferdinand Sacksofsky
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