Der Australier Sean Armstrong ist als Kapitän einer der absoluten Schlüsselspieler der DRV-Auswahl - © Jürgen Keßler
Wo geht sie hin die Reise unserer 15er-Nationalmannschaft? Das Spiel gegen Namibia sollte eine erste Standortbestimmung werden. Und das Fazit dieses Härtetests fiel auf den ersten Blick nicht unbedingt positiv aus: „Zu schnell, zu stark, zu gut organisiert“, präsentierten sich die Südwest-Afrikaner gegen eine Deutsche Mannschaft die ihrerseits „zu unfit, zu wenig eingespielt und auf entscheidenden Positionen nicht tief genug besetzt“ auftrat.
Für einige Defizite kann mit Sicherheit die Kurzfristigkeit verantwortlich gemacht werden in welcher dieser Mamut-Trip organisiert werden musste. Eine Aufgabe welche ohne die Tatkräftige Unterstützung der Wild Rugby Akademie gar nicht zu bewältigen gewesen wäre.
WRA unter Potgieter als Erfolgsgarant
Überhaupt hat sich die Wild Rugby Akademie in den letzten Monaten als entscheidender Faktor des sportlichen Aufstiegs der DRV-Mannschaften einen Namen gemacht. Unter der sorgfältigen Obhut von Headcoach Kobus Potgieter wurden zunächst beim Heidelberger RK und danach vermehrt in offenen DRV-Trainingsgruppen leistungsbereite Rugby-Sportler für die internationalen Aufgaben in der 7er- und 15er-Nationalmannschaft fit gemacht.
Die jeden Montagabend stattfindenden Trainingseinheiten der 15er-Trainingsgruppe in Heidelberg, war ohne Zweifel der Aufstiegsgarant Nummer 1. Unzählige Male wurden Gasse, Ankick und Gedränge gemeinsam trainiert und gerade diese Elemente erwiesen sich in den Aufstiegsentscheidenden Partien gegen Polen, die Ukraine, beim Hinspiel gegen Moldawien, gegen Schweden und Tschechien als siegbringend.
Dazu kam eine Hintermannschaft die gleichermaßen von den WRA-Importspielern Pieter Jordaan, Sean Armstrong und Raynor Parkinson wie von den in der 7er-Trainingsgruppe technisch und körperlich stark verbesserten Akteuren um Steffen Liebig oder Anjo Buckman profitierte. Fast alle Nationalspieler trainieren und spielen zudem auch im Verein beim Deutschen Meister Heidelberg RK. In den Klub-Trainings wurden die jungen Erste-Reihe-Stürmer Arthur Zeiler und Samy Füchsel zu Spielern von internationaler Statur geformt und Benjamin Danso nach zahlreichen Verletzungen wieder zu einem der besten Rugby-Stürmer der Republik aufgebaut.
Bundesliga-Verfolgerfeld fehlt es an Motivation und Qualität
Doch genau hier liegt auch eines der Hauptprobleme. Was passiert mit den Talenten außerhalb des HRK- bzw. WRA-Dunstkreises? Die ehemaligen Meisterschafts-Aspiranten SC Frankfurt 1880, SC Neuenheim, RG Heidelberg und TSV Handschuhsheim haben längst die Flinte ins Korn geworfen. Die Quali- und Quantität in den Vereinstrainings bei diesen ehemaligen Spitzenclubs ist teilweise beängstigend. Den jungen Spielern fehlt die sportliche Perspektive, steht der Deutsche Meister doch schon vor dem ersten Saisonspiel fest. Einzig der TV Pforzheim kann phasenweise mithalten.
Noch schwieriger ist es für die Spieler außerhalb der Rugby-Hochburgen im Südwesten. Zum einen wurden in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Berlin über viele viele Jahre sportliche und strukturelle Entwicklungen schlichtweg verschlafen und zum anderen bestand für die jungen Talente im Norden, Westen und Osten bisher nicht die Möglichkeit in qualitativ hochwertigen Trainingsgruppen ihr Spielniveau zu heben. Daran ändert auch kein Bundesliga-Spielsystem der Welt etwas. Vielmehr würde ein regelmäßiges Kräftemessen mit den Südwest-Schwergewichten vermutlich eher zu vorzeitigem Verschleiß, als zu nachhaltiger Motivation führen.
Wer übernimmt Verantwortung?
Die zweite Phase des vor einigen Spielzeiten eingeführten Spielsystems könnte eine Antwort sein. Es herrscht jedoch auch im Jahr drei der Ligareform große Uneinigkeit über die Verantwortlichkeit für die Umsetzung dieses von der Mehrheit als sinnvoll empfundenen Schritts (hin zu Regional- oder Landesverbandsauswahlen). Einigkeit herrscht indes weitestgehend darüber, dass der eigene Verein oder Landesverband dafür mitnichten verantwortlich sein könne und dass man überhaupt erst einsteigen würde, wenn die anderen auch etwas tun würden und außerdem sei es doch nicht zu finanzieren und sowieso eine Sache des nationalen Dachverbands.
Diese Denke ist durchaus verständlich, schließlich ist sich jeder zunächst selbst der Nächste: Es geht ums nächste Derby des eigenen Vereins, den nächsten Spieltag oder den privilegierten Zaun- oder Straßennachbarn.. Doch wenn Rugby in Deutschland jemals den Durchbruch schaffen will, dann kann es nur über die Nationalmannschaften gehen. Egal wie häufig der Heidelberger RK noch Deutscher Meister wird, damit machen wir nicht einen einzigen Platz in der Rugby-Weltrangliste gut und auch die Anzahl der Spieler die Kobus Potgieter in seinem Verein und in seinen Trainingsgruppen versammeln kann, um sie dort aus- und weiterzubilden ist endlich.
Fakt ist aber: Hobbytrainer, also Coaches die neben ihrer Aufgaben auf und um den Rugbyplatz eben auch noch einer geregelten Arbeit nachgehen müssen, wie sie bei den meisten Bundesligisten an der Seitenlinie stehen, können ihre Trainingseinheiten nur in den seltensten Fällen so auf- und vorbereiten, dass eine langfristige Leistungsentwicklung der potenziellen Nationalspieler gewährleistet werden kann und selbst wenn Sie das in Einzelfällen können, müssen Sie in ihren Trainings häufig einer völlig heterogenen Gruppe von Rugby-Anfänger bis hin zu potenziellen oder gar aktiven Nationalspieler gerecht werden.
Meist geht es in der Vereinsarbeit um den nächsten Erfolg, das nächste oder das letzte Spiel. Aber eine langfristige sportliche Strategie ist Fehlanzeige. Die jedes Jahr aus den U-Auswahlen entlassenen Talente zieht es direkt nach dem Schulabschluss für ein Jahr ins Ausland, zum Studium in eine andere Stadt oder es fehlt eben die sportliche Perspektive.
Initativen in Hannover und Berlin machen Mut
Vor diesem Hintergrund sind die Initiativen in Hannover und Berlin zum Start regionaler Trainingsgruppen mehr als honorabel. Bilden sie doch a) einen ersten Schritt zu den angestrebten Regionalauswahlen und b) eine Chance wie sich motivierte und talentierte Spieler vereinsübergreifend zusammentun können, um gefördert zu werden und sich gegenseitig zu besseren Leistungen anzuspornen. Doch nur wenn solche Initiativen in ein sportliches Gesamtkonzept eingebunden werden, werden sie langfristig erfolgsversprechend sein. Was sind die sportlichen Ziele dieser Trainingsgruppen? Welche Leistungswerte sollen erreicht werden? Wie, wann und wo sind Wettkämpfe geplant? Wie viele potenzielle Nationalspieler sollen in welchem Zeitraum hervorgebracht werden? Wie erfolgt die Vezahnung mit den Vereinen, den Landesverbänden und insbesondere den Nationalmannschaften?
Die Aufgabenstellung für die kommenden zwei Jahre sind klar: Die 7er-Nationalmannschaft muss möglichst weit kommen in der Qualifikation zu den Olympischen Spielen, die 15er-Nationalmannschaft soll den Klassenerhalt schaffen und vor allem muss ein größerer Pool an Spielern geschaffen werden, die unseren wunderbaren Sport als Leistungssport begreifen.
Mit 2-3 Trainingseinheiten pro Woche wird kein Spieler in der Lage sein es im 15er-Rugby mit Georgien aufzunehmen oder im 7er-Rugby gegen Schottland anzutreten. Ein internationaler Erste- oder Zweite-Reihe-Stürmer reift nicht in einer Saison, sondern muss über viele Jahre im Kraftraum Sonderschichten schieben, um seinen Körper auf die enormen Belastungen in der höchsten europäischen Division vorzubereiten.
Es geht nur gemeinsam
Bewältigt werden können diese Aufgaben nur gemeinsam. Alleine ist die WRA trotz ihres hervorragenden Personals und ordentlicher Finanzmittel dazu mit Sicherheit nicht in der Lage. Dazu bedarf es der Unterstützung des Deutschen Rugby-Verbands und DRV ist in diesem Zusammenhang nicht die gnadenlos überlastete Hauptamtlichkeit und das ehrenamtliche Präsidium, sondern es geht vielmehr um die Vereinspräsidenten, die Vorstände der Landesverbände, die Jugendtrainer und Rugby-Anhänger. Die Entscheidungsträger müssen ein sportliches Konzept entwickeln und die DRV-Mitglieder müssen dieses mit Leben füllen. Dabei genügt es eben nicht schlaue Reden zu schwingen und sich darauf zurückzuziehen, dass man für alles weitere keine Zeit habe, sondern besser einmal weniger in die Tastatur gehauen und einmal mehr selbst mitangepackt.
Wir sind dank der hervorragenden Vorarbeit der Wild Rugby Akademie, des DOSB und der DRV-Entscheidungsträger in einer viel besseren Situation als vor dem letzten Aufstieg. Wenn es jetzt noch gelingt geduldig einen gemeinsamen Weg zu bestreiten, dann werden mittel- und langfristig auch die Erfolge kommen, die wir uns alle wünschen und die dazu beitragen die öffentliche Wahrnehmung unseres Sports zu verbessern.
Wenn eine 58:20-Schlappe in Windhoek dazu beitragen kann eine solche Erkenntnis hervorzubringen, dann war diese harte Länderspielreise ein voller Erfolg.
|