England-Experte Max Lücke beschäftigt sich heute aus gegebenem Anlass mit dem Chaos beim Rugby-Nachbarn Wales
Auch wenn diese Rubrik hauptsächlich das englische Rugby-Geschehen unter die Lupe nimmt, möchte ich heute aus gegebenem Anlass einmal einen Blick über die Grenze werfen und etwas genauer die derzeitigen Probleme des Nachbarlandes analysieren: Wales.
Das ganz große Dilemma der Dragons derzeit ist ein tiefer Graben zwischen dem nationalen Verband, der Welsh Rugby Union (WRU) und die in vier Regionen unterteilten Vereine (Ospreys, Dragons, Scarletts und Blues). Wie so oft im professionellen Sport hat solch eine Zersplitterung nicht nur sportliche, sondern auch politische Gründe. Durch den Streit der jeweiligen Parteien hat sich im Laufe der vergangenen Monate eine kuriose Situation entwickelt.
Während auf der einen Seite das Land mit seiner Auswahlmannschaft eines der weltbesten Rugby-Teams stellt, das unter anderem die letzten zwei Jahre die Six Nations gewinnen konnte und mit dem größten Aufgebot an Spielern sowie Cheftrainer Warren Gatland maßgeblichen Anteil am Erfolg der Lions-Tour im vergangenen Sommer hatte, können andererseits die vier Profi-Clubs in ihren jeweiligen Wettbewerben kaum bis gar keine Erfolge verbuchen.
Zum Vergleich: In Irland hat sich die Aufteilung in einzelne Regionen als sehr erfolgreiches Modell erwiesen. So steht nach dem letzten Wochenende fest, dass sich gleich drei Auswahlmannschaften (Munster, Leinster und Ulster) für das Heineken-Cup-Viertelfinale qualifiziert haben, jenem Wettbewerb, den bislang noch gar kein walisischer Club seit der Unterteilung in die jeweiligen Regionalauswahlen im Jahre 2003 gewinnen – oder wenigstens das Finale erreichen –konnte.
Hinzu kommt, dass zurzeit eine massenhafte Auswanderung populärer Starspieler in das benachbarte England oder nach Frankreich stattfindet, darunter feste Größen der Nationalmannschaft wie z.B. George North (Northampton Saints) oder Jamie Roberts (Racing Metro). Dieser Trend könnte sich weiterhin fortsetzten, sollten sich die Verantwortlichen nicht bald auf ein zukunftsorientiertes Konzept der nationalen und internationalen Wettbewerbe einigen können, die den Spielern zum einen eine geignete Bühne für hochklassiges Rugby bietet und zum anderen ein konkurrenzfähiges Gehalt einbringt.
Vorausgesetzt, es sollte der Fall eintreten, dass im nächsten Jahr kein Heineken-Cup stattfindet und weitere Spieler sich einen neuen Verein suchen, hätte das weitreichende Folgen für das gesamte walisische Rugby. Schon jetzt leiden die Clubs massiv unter fahrlässigen Fehlern im Management und ihrer Vermarktung, was zum einen zu einer hohen Verschuldung geführt hat und zum anderen einer stetig sinkenden Begeisterung für das Club-Rugby, was man deutlich an mangelnden Zuschauerzahlen erkennen kann. Der Aufstieg der beiden walisischen Fußballclubs, Swansea City und Cardiff City, in die höchste englische Liga stellt eine zusätzliche Konkurrenz um den zahlenden Zuschauer im walisischen Sport da.
Es scheint, dass die WRU im Vergleich zu den Regionalauswahlen sportlich und im Management in der Vergangegenheit vieles besser gemacht hat. Der Verband konnte zuletzt eine Umsatzsteigerung von fast 20 Millionen Pfund (24 Millionen Euro) verbuchen und erfolgreich zum Teil enorme Schulden zurückbezahlen, die durch das Millenium Stadion verursacht worden.
Und auch auf die Nachwuchsarbeit konnte man sich bislang stets verlassen. Eine regelrechte „goldene Generation“ hat sich in den letzten Jahren ins Rampenlicht gespielt. Spieler wie Leigh Halfpenney, Dan Lydiate oder Kapitän Sam Warburton sind allesamt Produkte einer erfolgreichen, landesweiten Ausbildungsstrategie.
Allerdings bleibt es fraglich, ob es dem Land gelingt, noch einmal eine solche Generation heranzuzüchten in Anbetracht der derzeitigen strukturellen Probleme. Ein Lösungsansatz der WRU sieht vor, die walisischen Spieler unter Vertrag zu nehmen und somit zentral zu verwalten.
Das sich die Clubs dagegen wehren ist verständlich, allerdings können sie nicht leugnen, in der Vergangenheit schwerwiegende Fehler im Management der Spieler gemacht zu haben. Dass dieser Konflikt nun gar juristische Folgen haben könnte, zeigt, wie tief die Risse zwischen den beiden Parteien bereits sind.
In zehn Tagen werden die roten Drachen die Mission Titelverteidigung in Angriff nehmen. Sollte diese erfolgreich gelingen, wäre es ein historischer Erfolg, da es bisher noch keiner Nation gelungen ist, dreimal hintereinander die Six Nations zu gewinnen. Der Erfolg wäre sicherlich in der derzeitigen Lage Balsam für die geschundene walisische Seele. Und würde einmal mehr zeigen, wie weit die Performance der WRU-XV jener der Provinzteams derzeit überlegen ist.
Best Wishes
Max
Max Lueck, 29, hat seine Rugbykarriere als Spieler in Brühl angefangen und zog 2007 nach England, um dort Coaching zu studieren. Mittlerweile hat er mit vielen Rugby-Vereinen und Athleten als Trainer und Manager gearbeitet. Derzeit baut er mit Leidenschaft und Ehrgeiz das Projekt 7 Bamboos Rugby auf und bloggt regelmäßig für diverse Plattformen und Online Magazine. Weitere Information unter www.7bamboosrugby.com.
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