TotalRugby-Kolumnist Max Lueck blickt für uns auf die November-Tests
Elf Partien sind vergangen, seit dem England gegen Australien den Auftakt zur einer vier Wochen langen Serie von Topspielen absolvierte. Vier Wochen, in denen sich die besten Teams der südlichen Hemisphäre mit Ihren Kontrahenten aus dem Norden messten. Die vergangenen Wochen gaben Antworten auf richtungsweisende Fragen wie zum Beispiel, wo welche Mannschaft im weltweiten Wettbewerb steht. Knapp zwei Jahre vor der Rugby WM dürfte diese Frage an Bedeutung wieder zunehmen. Einen Monat lang wurden wir belehrt, beeindruckt und beglückt von berauschendem Rugby. Woche für Woche volle Pubs und Stadien, die Rugbywelt hat gespannt auf Europa geschaut.
Nun ist die Party vorbei, das Rugby Jahr 2013 nähert sich einem jähen Ende. Während in diesen Breitengraden schon wieder grauer Liga- und Cup-Alltag eingekehrt ist, beginnt für die Spieler der südlichen Hemisphäre nun der wohlverdiente Urlaub. Höchste Zeit also für eine Zusammenfassung der Ereignisse.
Unterm Strich
Zusammenfassend muss man zunächst einmal sehr nüchtern feststellen, dass die südliche Hemisphäre der nördlichen überlegen ist - und zwar deutlich. Zumindestens was die Mannschaften aus Neuseeland, Australien und Südafrika, abgekürzt auch SANZAR-Teams genannt, angeht. Hier ein paar beeindruckende Zahlen: Von insgesamt 11 Spielen zwischen den Six-Nation-Teams und den Topteams der südlichen Hemisphäre gelang mit Englands Erfolg über Australien lediglich ein Sieg für die Europäer. Das war übrigens auch das einzige Spiel, in dem eine europäische Mannschaft mehr Versuche gelegt hat als der Gegner aus der Südhemisphäre.
Stichwort Versuchsausbeute: auch hier ziemlich deutliche Statistiken zugunsten der SANZAR-Teams, die insgesamt 32 Versuche in den letzten vier Wochen legten, während die Six Nation Teams in den 11 Partien nur 13 Mal die Mallinie überqueren konnten. 5 der 13 Versuche wurden übrigens alleine in den letzten beiden Partien zwischen Irland und Neuseeland sowie Wales gegen Australien gelegt.
Eine weitere Statistik, die für die Überlgenheit der Rugby Championship Mannschaften spricht, ist die Anzahl der kassierten Strafkicks. Hier lagen unglücklicherweise diesmal die Europäer vorne, die ganze 33 Mal mit Penaltys bestraft wurden, während die Gegner nur 23 Mal verwarnt wurden. Nimmt man nur diese beiden Statistiken zusammen, stellt man schnell fest, was es Bedarf um Spiele zu gewinnen: viele Versuche und wenige Penaltys. Klingt einfach.
Unter der Lupe
Allerdings wäre es ein wenig vermessen, den Erfolg beziehungsweise die Misserfolge alleine an diesen beiden Statistiken festzuhalten. Deswegen, um etwas konkreter zu werden, hier eine kurze Zusammenfassung der Leistungen aller Six Nations Mannschaften in den vergangenen Wochen.
England
Weltranglistenplatzierung: 4
Ergbnisse:
vs Australien 20:13
vs Argentinien 31:12
vs Neuseeland 22:30
Mit einem Sieg gegen Australien und einem recht ordentlichem Spiel gegen Neuseeland, inklusiver zwischzeitlicher Führung bis kurz vor Schluss, kam England in diesem Herbst noch am besten von allen Six-Nation-Teams davon, was sich auch an der Weltranglistenplatzierung wiederspiegelt. Dort liegen die Engländer jetzt vor allen anderen Six-Nation-Teams. Zusätzlich muss man in Betracht beziehen, dass den Engländern auch einige Schlüsselspieler derzeit fehlen, vor allem in der Hintermannschaft. Insbesondere auf der Center-Position wurde Stammspieler Manu Tuilagi schmerzlich vermisst. Joel Tomkins, der Tuilagi ersetzte, konnte die Erwartungen nur selten erfüllen. Man könnte zusammenfassend sagen, dass England unter Trainer Stuart Lancaster konstant ordentliche Leistungen bringt, immerhin hat man seit Dezember 2012 nur zwei Pflichtspiele verloren (gegen Wales und Neuseeland). Dennoch ist die Spielweise selten herausragend oder gar begeisternd und eben auch nicht gut genug, um die beste Mannschaft der Welt zu schlagen. Ein Testspiel gegen die Springboks in dieser Serie wäre hochinteressant gewesen, um festzustellen wo man wirklich steht.
Wales
Weltranglistenplatz 6
Ergebnisse:
vs Südafrika 15:24
vs Argentinien 40:6
vs Tonga 17:7
vs Australien 26:30
In welcher Verfassung Südafrika zurzeit ist, haben die Mannschaften aus Wales, Frankreich und Schottland zu spüren bekommen. Für die Waliser, war es nach dem letzten Spiel der Serie gegen Australien die 18. Niederlage in Folge gegen die drei Topteams aus der Südhemisphäre. Ein bitterer Negativrekord, vor allem für den neuseeländischen Coach Warren Gatland, der partout kein Rezept zu finden scheint, um mit Wales gegen die weltbesten Mannschaften zu gewinnen. Dabei sollte Gatland wissen wie es geht, wenn man sich an den Erfolg der Lions im Sommer zurück erinnert, die er erfolgreich gegen Australien zum ersten Sieg seit 1996 coachte. Durch den Erfolg der Lions Tour und dem zweiten aufeinanderfolgenden Six-Nations-Titel war es denoch ein gutes Jahr für Wales, denoch der Anspruch bei den Dragons sollte höher liegen.
Frankreich
Weltranglistenplatz 5
Ergebnisse:
vs Neuseeland 19:26
vs Tonga 38:18
vs Südafrika 10:19
Noch schlechter als Wales allerdings geht es zur Zeit Frankreich. Die „Les Bleus“ haben ein Horrorjahr hinter sich, was sich in einer mageren Gewinnausbeute von zwei aus elf Spielen (Schottland und Tonga konnte man besiegen) wiederspiegelt. Es bleiben viele offene Fragen, die (und denen) sich Coach Philippe Saint-André stellen muss. Insbesondere in Hinblick auf das kommende Six-Nations-Turnier im Februar. Aber wir alle wissen, wie unberechenbar Frankreich sein kann, insbesondere mit Spielern wie Wesley Fofana in den eigenen Reihen, der derzeit als einer der besten Center der Welt gehandelt wird.
Schottland
Weltranglistenplatz 9
Ergebnisse:
vs Japan 42:17
vs Südafrika 0:28
vs Australien 15:21
Einen Center wie Fofana wünscht sich derzeit sicherlich auch Schottland, das ebenfalls in diesem Herbst feststellen musste, daß man den Sensationserfolg im Sommer letzten Jahres gegen Australien nicht so leicht wiederholen kann. Trotz der teilweise sehr starken Auftritte von den beiden schottischen Top-Clubs aus Glasgow und Edinburgh in ihren jeweiligen Ligen und Pokalwettbewerben sowie ordentlichen Leistungen bei den Six Nations, inklusive zweier Siege (gegen Italien und Irland), scheint man in der Nationalmannschaft einfach keine Konstanz zu erreichen. Dass man gegen Südafrika nicht einmal Punkten konnte, lag wahrscheinlich auch an den verletzungsbedingten Ausfällen von Topspielern wie Tim Visser.
Italien
Weltranglistenplatz 13
Ergebnisse:
vs Australien 20:50
vs Fiji 37:31
vs Argentinien 14:19
Und auch Italien durfte zumindestens gegen eine der drei Spitzenmannschaften ran, zeigte sich aber ebenfalls gegen Australien deutlich unterlegen. 50 Punkte seitens der Wallabies spricht für relativ grobe Verteidigungsprobleme in den Reihen der Azzuri. Gegen Argentinien, wenn auch deutlich knapper, musste man sich ebenfalls am Ende geschlagen geben. Argentinien im Übrigen hat nach zehn Niederlagen hintereinander ein ebenfalls enttäuschendes Jahr wenigstens mit einem Sieg beenden können. Für Italien sprang immerhin ein Sieg gegen Fiji heraus.
Irland
Weltranglistenplatz 7
Ergebnisse:
vs Samoa 40:9
vs Australien 15:32
vs Neuseeland 22:24
Bleibt zuletzt noch über Irland und seinen heroischen Auftritt gegen die All Blacks zu sprechen. Für viele das beste Spiel der Serie. Hinterher umschrieben die Medien die Niederlage als “herzzerreißend” und “dramatisch”. Dem kann man durchaus zustimmen. Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass Irland bereits nach 17 Minuten drei Versuche verbuchen konnte. Dass die All Blacks das Spiel mit einem Versuch in der allerletzten Minute drehten und somit eine Saison lang ungeschlagen bleiben, zeigt einmal mehr die Stärke dieser Mannschaft. Optimistisch gesehen, kann man aus dem Spiel die Erkenntnis ziehen, dass die Qualität zwar vorhanden ist, aber die Konstanz fehlt. Und noch etwas haben die Iren gezeigt: Um gegen diese All Blacks zu bestehen, muss man vor allem permanent den Ball am Leben halten und das bei einem wahnsinnig schnellen Tempo auf allen Positionen. Es klingt einfach: um Neuseeland schlagen zu können, muss man spielen wie Neuseeland.
Und was bleibt?
Am Ende der Party bleibt die positive Erkenntnis, dass die beste Mannschaft der Welt auch das attraktivste Rugby der Welt spielt. Der Maßstab ist gesetzt und er ist sehr hoch. Es steht die spannende Frage im Raum, welches Team es als erstes schafft, an diesen Maßstab heran zu kommen.
In fast genau drei Monaten ist Ankick zwischen Wales und Italien zu den Six Nations 2014. Dort wird sich zeigen, welches der sechs europäischen Top Teams sich am besten von diesem kühlen ernüchternden Herbst rehabilitiert hat. Die sechs Trainer der Six-Nations-Mannschaften, von denen übrigens drei aus der Südhemisphäre stammen (Wales: Warren Gatland, Irland: Joe Schmidt, und Schottland: Scott Johnson), werden einiges zu tun haben, um ihre in Katerstimmung verfallenen Jungs wieder aufzubauen.
Und wie der eine oder andere Rugbyfan seinem Kater mit dem nächsten Pint begegnet, ist es sicher das beste Mittel, schnell wieder zu spielen. Freuen wir uns auf Februar.
Max Lueck, 29, hat seine Rugbykarriere als Spieler in Brühl angefangen und zog 2007 nach England, um dort Coaching zu studieren. Mittlerweile hat er mit vielen Rugby-Vereinen und Athleten als Trainer und Manager gearbeitet. Derzeit baut er mit Leidenschaft und Ehrgeiz das Projekt 7 Bamboos Rugby auf und bloggt regelmäßig für diverse Plattformen und Online Magazine. Weitere Information unterwww.7bamboosrugby.com.