In der 6. Ausgabe seiner Kolumne beschäftigt sich TR-England-Experte Max Lueck mit dem Testspiel zwischen England und den neuseeländischen All Blacks
Nackte Zahlen
Zu Beginn eine kurze Quizfrage. Mannschaft A spielt 80 Minuten Rugby gegen Mannschaft B. Nach dem Spiel lautet die Statistik wie folgt:
Mannschaft A
Mannschaft B
62%
Ballbesitz
38%
4 (3)
Gedränge gewonnen (verloren)
5 (3)
14 (3)
Gassen gewonnen (verloren)
10 (0)
9
Strafkicks
12
106 (9)
Offene Gedränge gewonnen (verloren)
59 (2)
81 (8)
erfolgreiche Tacklings (verpasste)
153 (15)
11
Offloads
10
Die Frage: Welches Team verließ am Ende den Platz als Sieger?
Richtig, Team B.
Von den Zahlen her dürfte man annehmen, dass Mannschaft A in dieser Partie die Nase vorn hatte. Nun ist es aber oft so, dass zwischen nackten Zahlen und der Realität auf dem Platz Welten liegen. So war es auch Samstag.
Team B waren in diesem Fall die All Blacks, die gegen mutig ankämpfende Engländer ihren 13. Sieg in diesem Jahr verbuchen konnten und mit einem weiteren Erfolg gegen Irland am kommenden Wochenende das erste Team in der Geschichte werden können, das ein gesamtes Kalenderjahr ungeschlagen bleibt. Unglaubliche 34 mal gewannen die Neuseeländer seit Ihrem erfolgreichen WM Finale im Jahre 2011 gegen Frankreich. Die einzige Mannschaft, die den seitdem schier übermächtigen Kiwis Paroli bieten konnten, waren tatsächlich die Engländer. Das liegt nun knapp ein Jahr zurück, damals gewann das Team um Stuart Lancaster 38-21, ebenfalls auf heimischen Boden. Es war der gerade einmal der siebte Sieg in insgesamt 36 Aufeinandertreffen für die Engländer.
Video-Highlights
Trotzdem oder gerade deswegen stand eines fest: Die All Blacks wollten die Revanche für die schmerzhafte Niederlage von vor zwölf Monaten. Aber es sollte wahrlich keine einfache Aufgabe werden für die Mannen um Steve Hansen, die an diesem Tag von Jubilar Daniel Carter (100. Spiel) aus dem Tunnel des ehrwürdigen Twickenham Stadion geführt wurden. Und auch die Mannschaft in Weiß hatte ein rundes Jubiläum zu verbuchen. Ausgerechnet der gebürtige Neuseeländer Dylan Hartley machte sein 50. Spiel gegen sein Geburtsland.
Das Spiel, was dann folgte, wurde von den Zeitungen hinterher unter anderem mit Begriffen wie „Schlacht“ umschrieben. Nun ist allgemein bekannt, dass englische Medien auch gerne zur Übertreibung neigen, aber in diesem Fall trifft der Ausdruck wirklich zu. Nicht nur an Chris Robshaws – der an diesem Tag wieder der Spieler mit den meisten Tacklings war – übergroßem blauen Auge war zu erkennen, dass es äußerst grob auf dem Platz zuging.
Doch zunächst sollten vor allem die All Blacks beweisen, warum sie das zurzeit weltbeste Team sind, und mit Kieran Reid wahrscheinlich den besten Spieler auf dem Globus in ihren Reihen haben. Das Echo des Hakas, begleitet durch ein lautstarkes „Swing Low“ aus tausenden stolzen englischen Kehlen, war kaum verstummt, da zeigten die All Blacks durch Ihren Star-Winger Julian Savea nach nur 108 Sekunden und großartiger Vorarbeit von Reid, warum diese Mannschaft so gefürchtet ist.
Als eine viertel Stunde später, der überagende Reid diesmal auf der rechten Seite auftauchte, um seinen insgesamt 15. Versuch für die All Blacks zu legen, schien es ein sehr langer und frustrierender Nachmittag für die englischen Fans zu werden. Reids Versuch stellte im Übrigen auch einen neuen Rekord auf; er ist nun der 8er mit den meisten Versuchen, bisheriger Rekordhalter war Zinzan Brooke.
Aber die Engländer wollten sich so schnell nicht geschlagen geben, rappelten sich wieder auf und fanden ähnlich wie vor zwei Wochen gegen die Wallabies zurück ins Spiel. Allen voran erwischte Verbinder Owen Farrell einen guten Tag, vor allem was sein Kickspiel angeht.
Mit sechs erfolgreichen Kicks vom Tee führte er sein Team immer wieder zurück in die Partie. Als der junge Zweite-Reihe-Spieler Joe Launchbury in der 24. Minute den einzigen Versuch für die Weißen an diesem Nachmittag legen konnte und Kieran Read in der 33. Minute für zehn Minuten auf die Strafbank musste, konnte England sogar in der zweiten Hälfte das Spiel phasenweise dominieren.
Plötzlich wurden die 81739 Zuschauer zeugen eines sehr seltenen Phänomens. Die Kiwis mussten sich ungewöhnlich viel Druck aussetzen und gerieten teilweise sogar etwas in Panik. Das lag vielleicht auch daran, daß Starverbinder Dan Carter an diesem für ihn persönlich so wichtigen Tag bereits nach 26 Minuten verletzt das Feld verlassen musste. Für Carter kam Aaron Cruden, der schon bei der WM 2011 als äußerst wertvoller Ersatz diente und somit bestens vertraut ist mit brenzlichen Situationen.
Zugegebenerweise war das Spiel der Engländer, wie auch in den vergangenen zwei Spielen gegen Australien und Argentinien nicht von sonderlicher Schönheit oder gar Kreativität geprägt, stattdessen probierte man mit konsequenter Härte, die schwarze Verteidigungsmauer zu durchbrechen. Aber die Bemühungen sollten am Ende nicht mit einem Sieg belohnt werden. Auch wenn man zwischendurch die Führung übernehmen konnte, blieb die Sensation aus.
Denn wie es nun mal bei Spitzenteams üblich ist: Wenn man seine eigenen Chancen nicht nutzt, wird man bestraft. Im Falle der All Blacks fällt diese Bestrafung in der Regel ziemlich gnadenlos aus. Zum Beispiel durch Spieler wie Ma`a Nonu. Der bullige Center fand in der 64. Minute eine Lücke, durchbrach sie perfekt und konnte im Anschluss durch einen genialen Offload-Pass auf den freistehenden Savea zuspielen, der mit seinem zweiten Versuch an diesem Tag nicht nur den Sieg eintütete, sondern sich auch noch die „Man of the Match“-Trophäe schnappte. Savea hatte an diesem Tag zweimal die Chance zu punkten. Er nutzte beide.
Wahrscheinlich ist es genau diese Effizienz, die Neuseeland zur weltbesten Rugbymannschaft macht. Sollte es am Samstag in Dublin nicht noch zum Supergau kommen und die Iren irgendeinen Weg finden, dieses Team zu stoppen, werden wohl die Rekordbücher um einen weiteren Eintrag reicher.
In Zukunft, vor allem in Anbetracht der kommenden Weltmeisterschaft, wird wohl eine der spannendsten Fragen sein, wer diese All Blacks wann und wie stoppen soll. Die Engländer hatten ihre Chance. Die Betonung liegt auf „hatten“. Im nächsten Sommer wird England nach Neuseeland reisen, um gleich dreimal gegen die Kiwis anzutreten. Wir werden sehen, ob es eine erfolgreiche Reise wird und die Engländer nicht nur die Statistiken für sich entscheiden, sondern auch wieder einen Spielsieg erkämpfen.
Best Wishes, Max
Max Lueck, 29, hat seine Rugbykarriere als Spieler in Brühl angefangen und zog 2007 nach England, um dort Coaching zu studieren. Mittlerweile hat er mit vielen Rugby-Vereinen und Athleten als Trainer und Manager gearbeitet. Derzeit baut er mit Leidenschaft und Ehrgeiz das Projekt 7 Bamboos Rugby auf und bloggt regelmäßig für diverse Plattformen und Online Magazine. Weitere Information unterwww.7bamboosrugby.com.
"Modern Warfare"
Das Spiel war bis jetzt mit Abstand das beste im November. Die Kollegen von Skysports haben dieser Tage den Unterschied zwischen Europa und den All Blacks mal militärisch, martialisch erklärt. ;-) "Während die europäischen Teams wie eine Armee mit starren Formationen und festen Spielzügen zum Erfolg kommen wollen, sind die All Blacks wie eine Guerilla-Einheit die geduldig auf ihre Chance lauert und dann eiskalt zuschlägt." Diese Rhetorik mag gewöhnungsbedürftig sein, beschreibt den Unterschied in der Spielanlage aber sehr gut.
Guter Vergleich, aber...
Sehr netter und sehr englischer Vergleich. Aber meiner Meinung nach ist noch ein ganz anderer Faktor für die Übermacht der "Süd"-Teams entscheidend. Die Saison in NZ, AUS und SA ist einfach viel geschickter strukturiert. Im Grunde genommen spielen die besten der besten Spieler immer nur kleine "Mini-Saisons". Also erst Super-Rugby, dann Championship, dann Internationals. Dadurch ergibt sich, das die Süd-Teams viel mehr Zeit zur Vorbereitung und zum einspielen bekommen, während die Europäer ständig zwischen Club und Nationalmannschaft wechselen müsse. Ein Problem das man meiner Meinung nach in Europa leicht beheben könnte. Jedenfalls leichter als die traditionelle Armee Formation, was wie ich finde einfach auch ganz viel mit der Mentalität hier zu tun hat.
Absolut richtig
Es gibt viele Gründe warum die Südhemisphaeren-Teams besser sind als die Six Nations. -Das Spielniveau im Super Rugby ist höher als in den europäischen Ligen. Die Spieler werden jede Woche zur Handlungschnelligkeit und Reaktionsvermögen regelrecht "gezwungen". Meinte auch Warren Gatland nach dem Spiel WAL-SAF. -Es gibt wie schon von dir angemerkt keine Überschneidung der Spielpläne. Dieses Wochenende z.B. laufen Liga und Testmatches parallel. Im "Süden" und auch in anderen Sportarten undenkbar. -Durch das "Central Contracting" sind alle Nationalspieler beim Verband angestellt. Lehrgänge und Leistungstest unter der Saison sind somit kein Problem. -Die Spieler in NZ und AUS verteilen sich auf nur 5 Teams. In England sind es 12. In Frankreich 14. -Die Saisonpause beträt ca 12 Wochen, in Europa nur 8-10. Bessere Regeneration und Verletzungsvorbeugung. Schottland beklagte nach dem Spiel gegen Südafrika 11(!) angeschlagene Spieler. -Und noch viele weitere kleine Sachen
Ob man das in Europa auch einführen könnte? Theoretisch ja. Praktisch nein. Mit Änderungen im Spielkalender tut man sich sehr schwer. Die Traditionalisten setzen sich da leider immer wieder durch. Dabei hätte eine Umstellung auf das Kalenderjahr viele Vorteile. Und eine europäische Super-Liga nach Vorbild der SuperRugby wird es leider so schnell nicht geben.
Alles richtig, nur eine Sache fehlt.
Zwar wird derzeit von den Süd-Teams immer "beklagt", dass ihre besten Spieler dem Geld folgen und nach Europa (oder auch Japan) gehen, aber ein ganz wesentlicher Aspekt des Leitungsgefälles ist auch das Geld aus TV-Einnahmen. 1996 hat News Corp. 555 Millionen USD für das Format Super Rugby auf den Tisch gelegt und damit SA, AUS und NZ im wahrsten Sinne des Wortes in die professionelle Ära katapultiert. Der derzeitige Deal im Super Rugby ist 323 Millionen USD wert, der nächste Deal ist schon in der Mache. Zum Vergleich: BT zahlt 160 Million Pfund für vier Jahre. Klar dort drei Unions, hier nur die Premiership-Vereine (dafür aber alle deren Spiele). Aber mit dem TV Geld von News Corp waren "von heute auf morgen" Dinge möglich, von denen man sonst nur träumen kann. Dieser Deal ist auch einer der Gründe für die eigenwillige Strukturierung der Ligen und besonders in SA auch immer ein heißes Thema, denn dort überschneiden sich Currie Cup und Rugby Championship zu einem guten Teil. Über den News Corp Deal gibt es ein interessante TV-Doku, findet man bei youtube (habe den Linke gerade nicht zur Hand)
In jeder Krise steckt Hoffnung....
naja Krise ist vielleicht etwas übertrieben. Aber die "Nord"-Mannschaften laufen schon ganz schön hinterher, wenn man zumindestens NZ und SA als Maßstab nimmt. Die Begründungen von Lars und Arne machen auch absolut Sinn, jedoch bin ich mir sicher das sowohl im sportlichen, finanziellen und strukturellen Bereich intensiv nach Lösungen gesucht (und gefunden) wird.
Ich bin fest davon überzeugt, das Sky Sports beispielsweise in Sachen Fernsehgelder nochmal ordentlich nachlegen wird und sich mit BT um exklusive Verträge streiten wird.
Und was das Coachen und die Saisonstrukturen angeht, auch da glaube ich wird es in den kommenden Jahren Veränderungen geben. Wer weiß, vielleicht wird schon bald die Rugbysaison in die Sommermonate verlegt, wie es schonmal von einigen Clubs aus Frankreich und England angeregt wurde.
Vorteile hätte es ja...(schnelleres Spiel wg. härterem Boden, Zuschauer kommen öfters ins Stadion und bleiben länger, es würde nicht mit der WM kollidieren etc.)
Mal sehen, wie sich die Verantwortlichen anstellen. Es gibt einiges zu tun.
An dieser Stelle auch nochmals Danke an die sehr aufschlussreichen Kommentare.
November 23, 2013
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