U18-Nationaltrainer und RK03-Spielertrainer Christian Lill hat gemeinsam mit zwei Trainerkollegen einen offenen Brief verfasst, in dem er den Zustand der Bundesligen beklagt - (c) Miriam May
Der „offene Brief“, den die Trainer Carsten Segert (DSV Hannover 78), Christian Lill (RK 03 Berlin) und Danny Stephens (Berliner Rugby-Club) verfasst haben, sorgt für ein mehr als überschaubares Medienecho. Inhalt: Die Forderung der Reform der zur Spielzeit 2012/13 eingeführten Liga-Reform. Im Interview mit TotalRugby.de-Redakteur Matthias Hase nimmt DRV-Vizepräsident und Bundesligaspielleiter Rolf Schmitt zu dem „Brandbrief“, der der TR-Redaktion nicht vorliegt, Stellung. [Wir haben den Brief mittlerweile auf Umwegen erhalten, hier gibt es das Schreiben der Bundesliga-Trainer zum Nachlesen]
TotalRugby: Herr Schmitt, der DRV wird in einem „offenen Brief“ aufgefordert, die Liga-Reform rückgängig zu machen. Was sagen Sie zu diesem Schreiben?
Rolf Schmitt: Der DRV ist der falsche Adressat des „offenen Briefes“. Denn der Bundesligaausschuss ist für den Spielverkehr der Bundesligen zuständig. Und dieser hat den Antrag der Ligareform-Kommission, die 1. Bundesliga auf 20 Mannschaften zu reduzieren und die starre Einteilung der Gruppen nach regionalen Gesichtspunkten aufzulösen, mit großer Mehrheit abgelehnt. Zudem kann ich in dem Brief keine konstruktiven Vorschläge erkennen, wie die „Reform der Liga-Reform“ aussehen soll.
TR: Etablierte Erstligisten stehen hinter diesem Brief. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?
Schmitt: Der Berliner RC wäre als sportlicher Absteiger in der vergangenen Saison nach dem alten Ligasystem Zweitligist gewesen und hätte die ganze Saison nur gegen Teams gespielt, denen er jetzt die sportliche Leistungsfähigkeit abspricht. Der RK 03 Berlin war in Person von Christian Lill einer der Initiatoren der Liga-Reform und hat ein Grundgerüst erarbeitet, auf dem das jetzige System mitaufgebaut ist. Der Grund: Verringerung der Fahrkosten. Die RK-Verantwortlichen hatten in diesem Zusammenhang mehrfach betont, dass sie die Stelle von Christian Lill als hauptamtlichen Sportdirektor und Trainer nur schaffen können, wenn sie durch die Ligareform erhebliche Gelder einsparen können. Zudem waren sowohl Christian Lill als auch 78-Trainer Carsten Segert bei der Entwicklung der Liga-Reform maßgeblich beteiligt und haben den Prozess als "Berater" begleitet und befürwortet.
TR: Für Sie sind die Forderungen also nicht nachvollziehbar?
Schmitt: In Hannover und Berlin haben sich die Verantwortlichen in den vergangenen Jahren mehrfach über die ungleichen Duelle David gegen Goliath beschwert. Das ist heute alles vergessen. Zumal man nicht vergessen darf, dass die Mannschaften, aus deren Reihen der „offenen Brief“ stammt, in ihren Anfangsjahren in der 1. Bundesliga ebenfalls regelmäßig mit 80er-Klatschen abgewatscht wurden. Ich hätte den Aufschrei hören mögen, wenn die Heidelberger Vereine deswegen den Ausschluss dieser Vereine aus der 1. Bundesliga wegen mangelnden spielerischen Niveaus gefordert hätten …
TR: Die Verfasser bemängeln die zu dünnen Spielerdecken bei vielen Vereinen und der den daraus resultierenden Spielabsagen.
Schmitt: Der BRC war in der letzten Spielzeit nach dem alten Ligasystem zu einem Auswärtsspiel beim HRK aufgrund von Spielermangels nicht angetreten. Das war nicht die erste BRC-Spielabsagein den vergangenen Spielzeiten. Ich erinnere mich an mindestens eine beim SC Frankfurt 1880 und eine weitere in Hannover. Danny Stephens waren diese Fakten vielleicht gar nicht bekannt, da er in der Zeit vor der Ligareform noch nicht beim BRC beschäftigt war.
TR: Dieser Umstand betrifft also nicht nur die „kleinen“ Vereine?
Schmitt: Die RG Heidelberg und Vizemeister SC Neuenheim haben in dieser Saison mehrfach nicht mit voller Kaderstärke spielen können. Der SCN hatte bei seinem Heimspiel gegen den TV Pforzheim zum Beispiel nur 18 Spieler im Kader. Die RG Heidelberg war nicht nur gegen den Heidelberger RK mit 17 Spielern so ersatzgeschwächt, dass sie Mühe hatte, mit adäquaten Personal die Mannschaft aufstellen zu können.
TR: Seit der Ligareform soll es einen Exodus der talentiertesten Spieler Richtung Süden geben, weil dort die sportlichen Voraussetzungen besser sein sollen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Schmitt: Seit der Ligareform ist meines Wissens lediglich 78-Akteur Jörn Schröder in den Süden gewechselt. Pforzheim bietet ihm ein gutes Gesamtpaket mit Dingen, die ihm der DSV Hannover 78 nicht bieten konnte. Der Exodus der Spieler aus dem Norden gen Süden setzte bereits zu Zeiten des alten Ligasystems ein. Vor der Reform sind beispielsweise Benjamin Danso, Raphael Pyrasch, Marvin Dieckmann, Tim Kasten, Bastian Himmer, Florian Wehrspann, Mike Härtel und Kevin Riege in den Süden gewechselt. Aus Hessen gab es zudem kaum Abwanderungen Richtung Heidelberg. Denn der hessische Verband hat entsprechende Strukturen geschaffen, die es den Spielern erlauben, leistungsorientiert zu trainieren. So sind Tim Biniak und Sam Rainger in Heusenstamm geblieben, obwohl sie zum Kreis der 7er A-Mannschaft gehören.
TR: Was waren die Beweggründe, warum diese Spieler in den Süden gewechselt sind?
Schmitt: Die sportlichen Voraussetzungen haben bereits vor der Liga-Reform in Heidelberg gestimmt. So findet dort seit drei Jahren ein gemeinsames regelmäßiges Stürmer-Training der 15er-Spieler statt. Dieses bildet heute die Grundlage dafür, dass die DRV XV mit einem guten Sturm um den Wiederaufstieg in die ENC Division 1 spielt. Mittlerweile wird dieses Training nicht nur von Spielern aus Heidelberg, sondern regelmäßig auch von Akteuren aus Pforzheim und Frankfurt besucht. Die Trainingseinheiten im Süden für die 15er- und 7er-Spieler, deren Erfolge in den vergangenen Monaten durchaus sichtbar wurden, werden von Profi-Trainer Kobus Potgieter in seiner Freizeit geleitet. Ähnliche Versuche solche Einheiten im Norden und Osten unter der Leitung der dort tätigen Profi-Trainer zu etablieren, wurden von Spielern und Trainern nicht angenommen. TR: Woran liegt dieses mangelnde Engagement?
Schmitt: Ich will dieses an einem Beispiel verdeutlichen. Versuche, in Hannover Auswahltrainings für die 7er-Spieler am Olympiastützpunkt zu etablieren, scheiterten in letzter Konsequenz an der Ablehnung der zuständigen Vereinstrainer und Spieler. Erst durch die Vermittlung durch DRV-Verantwortliche, die eigens nach Hannover gereist sind, um den lange ruhenden Dialog wieder aufzunehmen, gelang es, dass unsere DRV-Auswahlspieler das umfassende und kostenlose Angebot des dortigen OSP wieder nutzen können. Nur durch Fürsprache seitens des DRV stehen den Spielern aus Hannover im wahrsten Sinne des Wortes nun wieder die Türen des ansässigen Olympiastützpunktes offen, wo sie jetzt ideale Trainingsbedingungen vorfinden. TR: Die Liga-Reform bildet also die Grundlage, dass sich Spieler individuelle weiterentwickeln können?
Schmitt: Die 7er-Leistungsträger Raphael Hackl vom BRC und Phil Szczesny von Hannover 78 konnten auch aufgrund der Ligareform von ihren Vereinen großzügig zu Maßnahmen der 7er-Nationalmannschaft abgestellt und so zu Leistungsträgern des Teams aufgebaut werden. So weilte Raphael Hackl während der Saison für zwei Wochen in Heidelberg, um ihn in täglichen Trainingseinheiten für die Saison vorzubereiten. Eine solche Aktion wäre vor der Ligareform aufgrund der großen Bedeutung der einzelnen Spieltage unvorstellbar gewesen.
TR: Wie geht es nun mit der zweiten Stufe der Ligareform weiter?
Schmitt: Es war von Anfang an klar, dass es zur Stärkung der traditionellen 15er-Variante einer gehörigen Portion Eigeninitiative und Solidarität der beteiligten Landesverbände und Vereine bedarf. Dabei geht es nur sekundär um die Kostenfrage, sondern in erster Linie darum, Modelle zu entwickeln. Dann können sich die leistungswilligen Spieler, also genau die, die sich in den regionalen Gruppenphasen unterfordert fühlen, gemeinsam trainieren, um sich dann in einem landesweiten Wettbewerb mit ihresgleichen messen zu können. Dass ein solches Modell funktionieren kann, auch ganz ohne Geld, beweisen ja die bereits die angesprochenen 15er-Auswahltrainings in Heidelberg. Wenn es dann noch gelingt, einen Teil der Kostenersparnis, die zumindest in der 1. Bundesliga nicht von der Hand zu weisen ist, an diese Auswahl-Mannschaften weiterzugeben, dann sind wir auf dem richtigen Weg, auch ein gutes Rückgrat für unsere 15er-Nationalmannschaft zu bilden. Der erste Schritt muss hier von den Beteiligten kommen. Wir sind alle der DRV und nicht nur einzelne Funktionäre. Die Sponsoren werden uns nie die Tür einrennen, wenn wir nicht selbst den ersten Schritt machen. Also statt Energie darauf zu verwenden, Spielsysteme, ausbleibende Förderung oder die Stärkung der olympischen 7er-Variante zu beklagen, sollten wir uns alle dazu durchringen, anzupacken und über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Es gibt genug zu tun!
TR: Herr Schmitt, TotalRugby bedankt sich für dieses Gespräch
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