Inwischen bin ich Rugby-Pensionär; die Staffelleitung der Verbandsliga Baden-Württemberg ist bei meinen Nachfolgern in guten Händen, und ich kann am eigenen Verein mehr Anteil nehmen. Zum letzten Spiel der Liga-Pokal-Runde in diesem Jahr gegen Nürnberg fahren die Neckarsulmer mit einem Bus und nehmen auch die Jugendmannschaft mit; das erinnert mich natürlich an die ersten Fahrten mit der Schul- und Vereinsmannschaft, und deshalb bin ich sofort dabei.
Das Wetter ist herbstlich-strahlend, die beiden Neckarsulmer Teams sind gut auf- und eingestellt, der Nürnberger Rasen auf der obersten Terrasse ist sattgrün und griffig. Die Platzherren sind recht zahlreich; englische bzw. amerikanische Konversation ist unüberhörbar. Viele Jugendliche bereiten sich auf ihr Spiel vor, und weil die Neckarsulmer nur 12 Spieler dabei haben, helfen ihnen die Nürnberger mit einem Spieler aus.
Das Jugendspiel ist zunächst ausgeglichen, wobei mich die Neckarsulmer, die ich von häufigen Besuchen im Training inzwischen wieder besser kenne, durch eine verbesserte mannschaftliche Geschlossenheit überraschen, obwohl ihr Trainer heute beruflich verhindert ist. Dies ist allerdings zum Teil dem Umstand geschuldet, dass die Franken deutlich jünger sind. Die Neckarsulmer bringen nach Ermahnungen ihres Betreuers im Laufe der ersten Halbzeit mehr Ruhe in ihr Spiel und lassen den Ball laufen, der Verbinder ist fangsicher, ein oft ballverliebter Außen spielt kooperativ, ein stilles Wasser im Sturm entwickelt sich zum Brecher - um nur drei Beispiele für die unübersehbare Verbesserung zu nennen. Die Nürnberger sind im Angriff deutlich besser als in der Verteidigung, lassen sich aber leider bei den Tacklings zu schnell den Schneid abkaufen. Ich denke, das Trainerteam wird seinen Jungs im nächsten Training schon klar machen, dass man als kleinerer Tackler auch gegen große Angreifer mit der richtigen Einstellung gute Karten hat. Die Neckarsulm spielen einen deutlichen Sieg heraus, der sie sicher motivieren wird, nach der Winterpause wieder mit einem größeren Kader anzutreten und in Vorspielen zu den Herren-Spielen in Neckarsulm Flagge zu zeigen.
Natürlich bin ich als Jugend-Rugby-Veteran erfreut, dass sich an immer mehr Standorten auf diesem Sektor etwas tut; besonders die Aufbauleistung der Nürnberger in der Rugby-Diaspora muss man hoch einschätzen: In Bayern steht die Schulverwaltung, anders als in BW, dem Rugby sehr reserviert gegenüber. Es scheint als Schulsport nicht gut gelitten, geschweige denn anerkannt oder gar gefördert zu sein. Rugby wird organisatorisch mit American Football und Frisbee und was weiß ich noch zusammen behördlich behandelt. Eigentlich ein Skandal; aber vielleicht kann der kleine Grenzverkehr mit dem besser gestellten Baden-Württemberg hier mittelfristig Verbesserungen bringen.
Nach dem Jugendspiel geht es bei den Herren für Nürnberg darum, den positiven Trend des gewonnenen Spiels gegen Frankfurt 80 fortzusetzen; Neckarsulm hat die Chance, durch einen deutlichen Sieg die Tabellenführung zu übernehmen, denn das Spiel Freiburg gegen Stuttgart, dürfte, denke ich so vor mich hin, eher eine knappe Kiste werden. Die Rechnung der Nürnberger scheint zunächst auch aufzugehen; die ersten 10 Minuten gehören ihnen. Meine Neckarsulmer scheinen erst mal abzuwarten, wie der Gegner heute aufgestellt ist, in dessen Reihen ich doch einige mir noch unbekannte Gesichter sehe. Da auch der Schiri am Anfang deutlich zeigen will, wie er das Spiel zu interpretieren gedenkt, fangen sich die Unterländer etliche Straftritte, von denen einen der Nürnberger Kicker mit einer sehr individuellen Technik zur 3 : 0 Führung verwandelt. Besonders der schwere Sturm der Nürnberger ist in der Anfangsphase sehr wirkungsvoll, kommt aber, wenn die Neckarsulmer mehrphasig spielen, immer schwerer in die Gänge. Mir kommen unsere Jungs zudem mental leichter und schneller vor, und so legen sie bis zur Halbzeit bereits vier Versuche vor, die ihnen die Chance zu 5 Punkten geben.
Ich stehe mit meiner Wasserflasche als Wasserträger auf der Nürnberger Seite und fachsimple mit meinen Bekannten. Einer hadert mit dem Umstand, dass seine Nürnberger durch eigene Fehler den Neckarsulmern Versuche und Versuchschancen erlauben. Das mag sein, aber einmal kann man natürlich diese Fehler selbst vermeiden, zum andern bringen die ausgebuffteren Neckarsulmer durch geschickte Spielzüge ihren Gegner oft in verzwickte Situationen, in er nur noch die Wahl zwischen dem einen oder dem anderen Fehler hat. Ein Beispiel: der Neckarsulmer Verbinder setzt einen hohen Kreukick so verteufelt listig in die Randzone des Nürnberger Viertelfeldes, dass der Außen den Ball nur im Zurücklaufen und unsicher fangen kann, deshalb nicht mehr dazu kommt, den innen auf den Pass wartenden Schluss zum Befreiungskick zu bedienen; sein Gegenspieler attackiert ihn, nimmt den verspringenden Ball auf und läuft zum Versuch ein.
Ein Zwischenspurt der Nürnberger bringt sie über einen erhöhten Versuch wieder heran, doch im Verlauf des Spiel führt die größere Cleverness der Neckarsulmer, verbunden mit einem konditionellen Plus, zu einem am Ende doch deutlichen Sieg.
Weil wir diesmal nicht gleich nach dem Spiel zum Bahnhof hecheln müssen, gibt es noch Gelegenheit zum Fachsimpeln, wobei mein Respekt vor der schwierigen Aufbauarbeit der Nürnberger in der bayerischen Rugby-Steppe wächst. Hier ist Zusammenarbeit angesagt. Dann kommt unser Bus.
Im Bus vos Ansbach großer Jubel, als die Jungspunde über ihre tragbaren Medien rauskriegen, dass Freiburg gegen Stuttgart zwar knapp gewonnen, aber nur 4 Punkte eingefahren hat, dass wir also Herbstmeister sind und an der Tabellenspitze überwintern dürfen. Kaufen kann man sich dafür nix - aber der Seele tut es gut. Eine nette Geste beim Aussteigen: die Herren veranschieden die Jugendlichen (welche auf den hinteren Bänken gereist sind) mit einer Klatschgasse. Ich denke mir dabei: mögen die Jugendlichen in die Vereinsstrukturen hineinwachsen und sie weiter tragen, die ihnen diesen schönen Sport überhaupt erst ermöglich haben.
Immerhin habe ich, denke ich, wieder nostalgisch, vor einigen Jahrzehnten mal ein Apfelbäumchen gepflanzt ....
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