Die Saison ist für die meisten Mannschaften der 3. Liga seit Ende März bereits zu Ende, weil die Verantwortlichen seinerzeit die kleine Lösung gewählt und nur für die jeweiligen Erst- und Zweitplatzierten Play-off-Spiele vorgesehen haben. Trier und Heilbronn kamen indes überein, als jeweils Fünftplatzierte in zwei Freundschaftsspielen auszumachen, wer denn der bessere Fünfte sei. Das Hinspiel findet in Trier statt; ich bin als Heilbronner Rugby-Opa und Schlachtenbummler dabei.
Nach zweieinhalb Stunden Autofahrt erreichen wir den in einem Waldtal gelegenen Sportplatz der Trierer, von denen sich einige bereits auf dem Rasen tummeln, das Spielfeld abkreidend und zwei rugbyversessene Hunde bewegend. Am Spielfeldrand sehe ich ein bekanntes Gesicht, glaube einen Moment, ich sei in Freiburg, bis sich der untersetzte Jungmann als Trierer Wahl-Freiburger outet, der auf Heimaturlaub ist und seine Heim-Mannschaft unterstützt. Wir kommen ins Gespräch, ein weiterer Trierer kommt hinzu. Auf dessen Trikotbrust lese ich das lateinische Vereinsmotto, das mich als Ex-Totsprachler natürlich fasziniert: "Aut viam inveniam aut faciam" - für Nicht-Lateiner: das heißt nicht: "Ich werde einen Weg finden oder bumsen", sondern: "Ich werde einen Weg finden oder bahnen". Ich überlege kurz, ob das von Cicero oder von Seneca ist, bin froh, dass mich keiner nach dem Urheber fragt, und erinnere mich dunkel, dass dies Motto Hannibal bei seinem Zug über die Alpen in den Mund gelegt wurde. Dass es ideal auf Rugby passt, weiß ich in diesem Moment noch nicht. Denn gespielt wird ja auch noch.
Kurz vor dem Anpfiff stellt sich heraus, dass der Schiri abgesagt hat und Heilbronns südafrikanischer Trainer ran muss; ich stifte aus meinem Fundus die Trillerpfeife. Trier scheint im Sturm recht stark, in der Hintermannschaft unterschiedlich besetzt zu sein; von Heilbronn weiß ich, dass sie heute die etatmäßige 2. Reihe nicht dabei haben und auch in der 1. Reihe improvisieren müssen.
Beide Mannschaften liefern sich in den ersten Minuten ein ausgeglichenes Spiel, nur scheinen die Heilbronner einen Tick wacher und schneller zu sein als die Platzherren; zudem können sie in den Sturm-Standards gut mithalten. Nach einer Gasse vor dem Trierer Malfeld gibt es den ersten Versuch durch einen Heilbronner 1.Reihe-Stürmer - die erste Reihe legt übrigens vier der Heilbronner Versuche - und von da ab legt Trier den Rückwärtsgang ein, so dass die Schwaben auf 36 : 0 davonziehen. Dabei macht ihre Hintermannschaft, die zum ersten Mal in dieser Formation zusammenspielt, gegen die weiß Gott nicht schwachen Innen der Grünen einen sehr guten Eindruck. Kurz vor Halbzeit legt Trier den Anschlussversuch. Die 2. Halbzeit ist weiter sehenswert, und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Das Motto ist wie fürs Rugby geschrieben: "Ich werde einen Weg finden" - das körperlose Spiel, Kontaktvermeidungsrugby eben, das einige Spieler sehr elegant und wirkungsvoll praktizieren, und "Oder ich werde einen Weg bahnen" - das dymamische körperbetonte Spiel, mit dem die an diesem Tag in Hochform spielenden 1.Reihe-Stürmer für Raumgewinn und Ballsicherung sorgen. "Ein Narr, der kein Latein kann, ist niemals ein großer Narr." - da ist schon was dran.
Kaum ist mir die Rugby-Bedeutung des Mottos aufgegangen, vergessen meine Heilbronner für 20 Minuten die obigen Rugby-Tugenden und überlassen Trier die Initiative, was diese zu einem weiteren Versuch nutzen. Sie nageln jetzt die Unterländer an deren eigener Mallinie förmlich fest, so dass diese in Gruppenkämpfen und Mann-gegen-Mann-Situationen ihre liebe Not haben, darüber aber wieder wach werden und den schönsten Versuch des Tages auf den Rasen zaubern: Gruppenkampf an der eigenen 5-Meter-Linie, Trierer Vorwurf, Vorteil, der Heilbronner Außen schnappt sich den Ball, tanzt in seiner Gott sei Dank in der Nordgruppe noch nicht bekannten Manier fünf bis sechs Gegner aus, überläuft dabei seine nicht spielberechtigten Kameraden, muss dabei von Spinter-Tempo auf Mittelstrecke runterschalten, wird getackelt, bedient im Fallen seinen mitgelaufenden Mannschaftskameraden, natürlich einen 1.Reihe-Stürmer, und der legt nach gefühlten 20 Jahren Abstinenz seinen ersten Versuch.
Dann Abpfiff, 56 : 12 für Heilbronn, beide Mannschaften vertragen sich wieder, Schlusszeremonie, Vorfreude auf das Rückspiel. Die Vereine der Nordgruppe haben ja den genialen taktischen Schachzug, in den Spielen gegen die Südgruppen-Mannschaften das Hinspiel zu verlieren, um dann im Rückspiel einen eingelullten Gegner wirkungsvoll aufs Kreuz zu legen. Aber die Heilbronner sind gewarnt; 20 Minuten lang haben sie gesehen, wie Trier spielen kann. Die werden versuchen, einen Weg zu finden - oder sie werden sich einen bahnen.
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