In Ingolstadt ist der Rugbysport auf dem Vormarsch
Rugby ist in Deutschland eine Randsportart. Die Spieler gelten als raubeinig, die Sportart als brutal. Doch ist es wirklich so? Ausprobieren kann man es ja mal.
Ben hat den ovalen Ball unter den Arm geklemmt. Drei Spieler hat er bereits abgeschüttelt wie lästige Fliegen. Er ist in vollem Lauf und nur noch wenige Meter von seinem Ziel, dem Malfeld, entfernt. Stoppen kann ihn nur noch einer. “Pack ihn dir”, rufen die Mitspieler. Doch schon ist es zu spät – es bleibt beim Versuch. Mit seinem wuchtigen Körper hat er sich den Weg freigeräumt. Wieder aufstehen, kurz schütteln, die Zähne sind noch alle im Mund, die Füße tragen das Körpergewicht noch, die Arme funktionieren – weiter gehts. So schlimm sind die ersten Zusammenstöße im Nachhinein gar nicht. “Man ist beim Rugby auf den Körperkontakt getrimmt”, sagt Abteilungsleiter Michael. “Man rechnet auch damit.”
Rückblende: Vor dem Training treffen sich die Ingolstädter Rugbyspieler am Haupteingang der Sportanlage des TV 1861. Einer nach dem anderen trudelt ein. Michael spielt Stürmer. Er ist über 100 Kilo schwer, gar nicht besonders groß, aber kompakt und kräftig – von ihm möchte man nicht über den Haufen gerannt werden. Beim Rugby sind die Stürmer dafür verantwortlich, die Gegner vor sich her zu schieben und den Ball zu erobern. Inzwischen ist auch Remus da – auch ein Stürmer, auch über hundert Kilo schwer. “Er ist fast nicht zu Boden zu bringen”, erzählt Simon nach dem Training. Simon selbst spielt in der Hintermannschaft. Von der Statur her wirkt er eher wie ein Sprinter – zwar auch muskulös, aber antrittsstark und wendig. “Das ist ja gerade das Schöne beim Rugby. Egal ob groß, klein, dick, dünn, schnell oder langsam – jeder findet seine Position”, erklärt Michael. “Man kann sagen, Rugby vereint viele Sportarten in sich.”
Insgesamt hat eine Mannschaft 15 Spieler. Acht Stürmer, die restlichen sieben gehören zur Hintermannschaft. Ziel der Mannschaft im Ballbesitz ist es, das Spielgerät in die gegnerische Endzone, das Malfeld, zu tragen und dort abzulegen. Eine der wenigen Regeln: Nach vorne darf der Ball nie geworfen werden – nur getragen und geschossen. Die andere Mannschaft befindet sich in der Verteidigung. Auch hier gibt es nur wenige Einschränkungen. Am Trikot halten bis es reißt, Angriffe auf den Körper bis Brusthöhe, den Gegner zu Boden schleudern – alles erlaubt. Nur grätschen wie beim Fußball darf man nicht. Dass es da zu Verletzungen kommt ist ganz klar. “Da hatten wir schon fast alles dabei”, sagt Michael.
“Gebrochene Knöchel, Schultereckgelenkssprengungen, Rippenbrüche, Schürfwunden und sogar einen Nierenriss.” Sein Stellvertreter Udo stimmt ein: “Mein Nasenbein hab ich mir in meiner Sportlerkarriere so oft gebrochen, irgendwann hab ich aufgehört zu zählen.” Gefährlicher als andere Sportarten sei Rugby trotzdem nicht. “Beim Fußball grätschen einem die Gegner mit den Stollen voran in die Beine, das führt auch zu Verletzungen” erklärt Michael. “Knie- und auch Sprunggelenksverletzungen sind beim Fußball sogar häufiger”, sagt Holger, mit 38 Jahren einer der Erfahrensten im Team. Auch Jugendliche und Frauen könnten problemlos Rugby spielen. Beim Nachwuchs sind die Regeln etwas vereinfacht. “Da geht es nicht so hart zu”, bestätigt Michael. Seit diesem Jahr gibt es bei den Ingolstädter Rugbyspielern sogar eine Frauenmannschaft. Das erste Spiel gegen den österreichischen Vizemeister ging zwar verloren. “Die Mädels sind trotzdem mit Begeisterung dabei”, sagt Michael.
Zurück auf dem Platz. Passen und Tackling stehen auf dem Programm von Trainer Miguel. Er sieht aus wie man sich einen Rugbyspieler vorstellt. Annähernd so breit wie hoch, muskulöser Hals und Oberkörper, kantiger Kopf – auf jeden Fall Respekt einflößend. “Bis vor kurzem hat er noch in der spanischen Nationalmannschaft gespielt”, sagt Michael. Die Spieler stehen sich im Abstand von etwa 50 Metern gegenüber, in der Mitte steht Ben, als Neuseeländer mit dem Rugbysport aufgewachsen. Spieler um Spieler läuft mit dem Ball in der Hand auf ihn zu, mit der Schulter voran klatschen alle gegen sein rotes Schutzkissen. Es schüttelt einen ordentlich durch, wenn man gegen die neuseeländische Wand läuft. Trotzdem heißt es Übersicht bewahren, um den Ball zum freien Mitspieler passen zu können.
Beim abschließenden Trainingsspiel geht es noch mal heiß her. Beide Mannschaften haben ihre Chancen. Die überragenden Spieler sind Ben und Christoph. Beide kämpfen sich ein ums andere Mal durch die Abwehrreihen, alles geht wahnsinnig schnell. Wenn sie in voller Geschwindigkeit auf einen zukommen, weiß man als Anfänger nicht, wie man sie aufhalten kann. Aber ohne Verletzungen ist das Training wenigstens zu Ende gegangen.
Quelle: donaukurier.de
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