Carsten Segert als Gedrängehalb im Trikot von Victoria Linden
Bevor Carsten Segert nach Namibia auswanderte führte er Hannover 78 als ungeschlagenen Tabellenführer, der 2. Bundesliga Nord, in die 1. Bundesliga. Davor arbeitete er bereits als Trainer von St. Pauli, Germania List und der deutschen U19-Nationalmannschaft. Als Spieler war der brilliante Gedrängehalb unter anderem Deutscher Meister, Pokalsieger und Nationalspieler, heute lebt er mit seiner Familie im südlichen Afrika und ist dem Rugbysport nach wie vor eng verbunden.
Carsten Segert heute (rechts) als Rugbyexperte im namibischen Fernsehen
TotalRugby: Hallo Carsten , wie geht es Dir, was machst Du im Moment?
Carsten Segert: Ich komme gerade vom Einkaufen zurück und genieße die letzten Tage der Sommerpause.
TR: Sommerpause? Du bist doch in Namibia ist da nicht immer Sommer? Nein ernsthaft – wie können wir uns Deinen Alltag in Afrika vorstellen?
CS: Ich bin seit einem Jahr jetzt Rugby Coach und Sportkoordinator an der DHPS (Deutsche Höhere Privatschule) Windhoek. Der Sport im Nachwuchsbereich obliegt in Namibia immer noch traditionell den Schulen. Der Stellenwert des Sports ist weitaus höher als in Deutschland und manche Eltern wählen die weiterführende Schule für ihr Kind so aus, dass auch dementsprechend qualifizierte Sportangebote vorhanden sind wie bspw. Cricket, Rugby, Netball, Leichtathletik, Schwimmen usw. Das Angebot für Rugby ist bisher nur vorhanden seitdem ich an der Schule tätig bin und als ich hier ankam war gar nichts vorhanden, nicht einmal ein Ball. Mittlerweile gab es im letzten Jahr eine U-14 u. eine U-19 Mannschaft die am Ligabetrieb teilnahmen. Ein U-8 und U-10 Team befindet sich im Aufbau und auch dort wollen wir im nächsten Jahr zu Pflichtspielen antreten nach Möglichkeit. Zu 90% sind die Schüler totale Anfänger die aber mit voller Begeisterung dabei sind. Die U-19 Mannschaft spielte im vergangenen September im Schulwettbewerb des Trustco 7’s im Bowl Finale und durfte im großen Stadion vor 5.000 Zuschauern sich beweisen.
Folgende Legenden haben wir bereits interviewt: Markus Knoblauch | Dieter Genthner | Stefan Laier | Frank Himmer | Rainer Kumm | Ulrich Byszio | Thomas Belousek | Alexander Weidlich
TR: Rugby scheint nach wie vor eine große Rolle in Deinem Alltag zu spielen, geht das auch über Deine Tätigkeit an der Schule hinaus?
CS: Neben meiner Schultätigkeit bin ich ehrenamtlich Trainer bei den Windhoek Wanderers. Es ist der älteste Club in Namibia der dieses Jahr sein 90jaehriges Jubiläum feiert und wo schon in den 80er Jahren Dirk Kuhnen und Mathias Entenmann eine Saison spielten und viele Spieler aus diesem Verein weilten auch schon in Deutschland. Es gibt 2 spielende Herrenteams und eine Damenmannschaft die sich letztes Jahr gründete. Soweit ich informiert wurde bin ich der erste ausländische Trainer in Namibia und obendrein noch ein Deutscher. In einem afrikaans sprechenden Club akzeptiert zu werden, war nicht einfach, große Skepsis und ein wenig Misstrauen schlug mir entgegen, mittlerweile bin ich aber fachlich akzeptiert. Weiterhin bin ich gelegentlich Co-Moderator von Artur Samuelson (Deutscher Meister 1996 mit Victoria Linden) bei der neuen Fernsehshow Absolute Rugby, ausgestrahlt im namibischen TV. Bei großen Ereignissen wie das Trustco 7’s oder Länderspielen, berichten wir auch live aus dem Stadion.
Auf www.TotalRugby.de bin ich öfters denn diese Seite hilft mir mich über die aktuellen Geschehnisse in Deutschland zu informieren. Ihr macht einen hervorragenden Job und ich wünsche Euch viele Sponsoren und Unterstützung für die Zukunft.
TR: Nun warst Du ja auch in Deutschland kein ganz unbeschriebenes Blatt was Rugby angeht, schildere uns doch mal ganz kurz Deinen sportlichen Werdegang?
CS: Ich begann 1972 in der D-Schüler beim TSV Victoria Linden und spielte dort in allen Altersklassen bis in die 1. Herrenmannschaft und wechselte 1991 dann zum DSV Hannover 1878 und beendete dort 1996 meine aktive Laufbahn im Alter von 30 Jahren.
TR: Und was siehst Du Rückblickend als Deine größten Erfolge an?
CS: Deutscher Meister 1987, 1989 Deutscher Pokalsieger 1989, 1991, 1996, 6 Länderspiele, Deutscher Meister der Landesverbände 1990, 1994, 1995
TR: Wahrlich keine schlechte Titelsammlung! Wann hast Du Deine Laufbahn als Aktiver beendet und wie kam es dazu?
CS: Es gab zu dem Zeitpunkt für mich als Spieler keine Herausforderung mehr und auch keine Motivation. Ich war durchaus ein wenig „satt“ und es gab auf Clubebene auch keinerlei Aussicht auf Spaß am Rugby für mich und erneut einen Verein wechseln kam für mich nicht mehr in Frage. Weiterhin hatte ich schon angefangen mich als Trainer fortzubilden und merkte dass dieses meine Aufgabe war, dem Sport weiterhin zu dienen und verbunden zu bleiben. Mit 30 Jahren als verletzungsfreier und erfolgreicher Spieler abzutreten erschien mir ebenso sinnvoll.
TR: Welche Erlebnisse Deiner Karriere sind Dir denn ganz besonders in Erinnerung geblieben?
CS: Da werden ja immer gern nur die positiven Erlebnisse genannt, aber 1984 in der A-Jugend nach 15 Minuten Nachspielzeit durch einen irregulären Versuch das DM Finale gegen HRK zu verlieren war bitter, aber auch lehrreich. Gruss an Stefan Laier .
Die deutsche Meisterschaft 1987, nachdem wir in der Winterpause noch auf dem vorletzten Tabellenplatz der 1. BL Nord standen und das Abstiegsgespenst schon vor den Augen hatten, und dann noch den 2. Platz erreichten und über Play-Off 1⁄4 und 1⁄2 Finale in Hannover gegen Hannover 78 vor einer großen Zuschauermasse 24:0 zu gewinnen war einzigartig und spektakulär.
Die Saison 1988/1989 mit Pokalsieg und DM Titel war geprägt von einer nie mehr kennengelernten Kameradschaft in einem Team dass nur so wimmelte von Nationalspielern und Talenten, sowie einem Coach aus Wales der meinen Horizont stark erweiterte.
Der DRV Pokalsieg 1996 gegen die RGH bleibt mir noch ebenfalls in Erinnerung, verloren wir doch 3 Wochen zuvor in Heidelberg das Einweihungsspiel des Fritz-Grunebaum-Sportparks mit 48:0 und ich erlitt eine Muskelverletzung die mich bis 8 Tage vor dem Endspiel im Krankenhaus verweilen liess.
Natürlich das Länderspiel 1993 gegen Frankreich, wo die FFR zwar nur eine U-23 Mannschaft nach Hannover schickte, aber zahlreiche Spieler schon kurz danach ihren Weg in das 5 Nationen Turnier Team fanden. Namen wie bspw. Brouzet, N’Tmack, Carbonneau, Califano, Soulette, Ribeyrolles und der Coach Jean-Claude Skrela, lassen mich gern daran denken.
Weiterhin das Länderspiel 1993 gegen Litauen in dem ich die Ehre hatte den ersten Versuch für Deutschland im RWC Bereich zu erzielen.
Als Coach muss ich die Junioren WM 1998 erwähnen wo wir eine Mannschaft zusammenbrachten und einen Teamgeist erwecken konnten, der beinahe den Kaukasus von Georgien versetzte. Viele Spieler der Jahrgänge 1979, 1980 und 1981 wurden dann später richtige Nationalspieler und die Herrennationalmannschaft lebte viele Jahre von dieser Mannschaft und dem ein oder anderen noch nachfolgenden Spieler.
Weiterhin natürlich der DRV Pokalsieg 2000 mit dem SC Germania List gegen DSV Hannover 1878.
TR: Was hat sich in der Bundesliga getan seit dem Du Deine Schuhe an den Nagel gehängt hast?
CS: Das physische Niveau ist absolut gestiegen, im strategischen und taktischen Bereich hängen wir prozentual noch hinterher. Weiterhin vermisse ich den Spielwitz und die Übersicht von so manchem Schlitzohr von damals. Die individuelle Ausbildung im Jugendbereich muss noch intensiviert werden und noch weniger der Blick auf Siege und Meisterschaften gerichtet werden. Die Schiedsrichter sind generell besser geworden, allerdings mangelt es noch in der Masse und auch in der Klasse. Mit 3 gleichberechtigten Referees heutzutage pro Match, tritt teilweise schon eine Unausgewogenheit des Schiriteams ein. Ich würde mir mehr ehemalige und gute Spieler als Schiedsrichter wünschen, siehe Frank Himmer und Jens Reinecke.
TR: Wohin geht es für das deutsche Rugby?
CS: Man ist an dem Punkt angelangt wo man sich entscheiden muss zwischen voll bezahlten Spielern, Trainern und Managern und einer echten Profiliga, oder man es so lässt wie es ist mit einer 1. BL wo zukünftig 2 – 4 Clubs das Geschehen dominieren werden und jedes Jahr die Meisterschaft unter sich ausspielen. Geld und Erfolg locken junge Spieler und andere Clubs werden dann ihre Rolle als Ausbildungsverein für die Spitze leben müssen. Hier ist der gesamte DRV gefragt, zu entscheiden wo die Reise hingehen soll und das Präsidium muss die Route auswählen und die Fahrkarten für diesen Trip erwerben.
TR: Was hältst Du von den Leistungen der Deutschen im internationalen Vergleich? Verfolgst Du die Spiele?
CS: So gut es geht verfolge ich die Spiele und auch das ein oder andere Match von Spanien und Portugal konnte ich im TV sehen. Für die amateurhaften Umstände in denen unsere Spieler sich quälen, zur Verfügung stellen, vorbereiten müssen, motivieren, können wir stolz auf unsere XV Nationalmannschaft sein. Allerdings tut es weh zu sehen, dass wir nicht optimal vorbereitet antreten in dieser Liga. Strategisch hätte langfristig mit allen Spielern, auch gerade mit denen die in den letzten zwei Jahren zurückgetreten sind, rechtzeitig die Weichen gestellt werden müssen um die Klasse zu halten und auch ein Umfeld herzustellen welches dem Niveau der anderen Nationen entspricht. Vor 10 Jahren hätte man anfangen müssen diesen Aufstieg zu planen.
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TR: Olympia 2016 ist Chance und Hoffnung zugleich für das deutsche Rugby, was sind Deine Gedanken dazu?
CS: Rugby bei den Olympischen Spielen bietet aus meiner Sicht die letzte Gelegenheit um uns noch in das Konzert der großen Nationen eingreifen zu lassen und ein Instrument zu wählen auf dem wir auch spielen können. Hier ist eine absolute strategische Planung von Nöten um dieses Ziel zu erreichen. Zur Not muss man auch an ungewöhnliche Maßnahmen denken wie z.B. die 1. BL ausfallen zu lassen für 1 – 3 Jahre und nur 7er Rugby zu spielen, Profivertraege für Spieler die nur durch die Welt fahren und jede Woche ein Turnier spielen, vielleicht ein Team dass nur aus Ausländern besteht die einen deutschen Pass haben und mit der deutschen Bundesliga noch nie etwas zu tun gehabt haben. Ob das die richtigen Ideen sind kann man diskutieren, wahrscheinlich gibt es auch noch bessere und sinnvollere Maßnahmen, aber wenn man jetzt nichts tut, wird es ganz schwer bei Olympia 2016 und 2020 dabei zu sein. Gleiches gilt für die Frauenmannschaft
TR: Carsten wir danken Dir für das spannende Interview und wünschen Dir weiterhin viel Erfolg in Namibia!
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