(c) Marco Schmidt
In den letzten Wochen und Monaten wurde viel diskutiert, zum Beispiel über die Austragungsorte der deutschen Länderspiele und was es hier womöglich noch zu verbessern gilt. Auch die Ligastruktur ist immer wieder Gegenstand von mehr oder minder hitzigen Diskussionen.
Auch wir vom TotalRugby-Team haben keine Patentlösung für die hiermit einhergehenden Fragestellungen! Es ist schließlich immer ein Katz-und-Maus-Spiel, auf der einen Seite stehen die “sicheren Einnahmen”, welche man im Fritz-Grunebaum-Sportpark erzielen kann und auf der anderen Seite die nicht zu verneinende Chance, mit den attraktiven Gegnern in der Division 1 eine größere Aufmerksamkeit für unseren Sport sowie eine Verbreiterung der “Fanbase” zu erwirken, allerdings eben auch die damit verbundenen Risiken. Wir kennen die Totschlagargumente bezüglich des vor ungefähr einem Jahr in Berlin ausgetragenen Länderspiels gegen die walisischen Amateure zur Genüge und wollen dies hier ebenso wenig weiter ausbreiten, wie die Frage, weshalb Hannover – trotz der tollen Zuschauerzahlen in den letzten Jahren -, oder auch Solingen, wo die deutsche Herrennationalmannschaften in einem perfekten Rahmen vor vielen Jahren einmal das Team der Welsh District zu Gast hatte, zumindest kurzfristig nicht mehr als Austragungsorte für Länderspiele der Herrennationalmannschaft in Frage kommen. Vielmehr geht es darum, einen Blick über den Tellerrand zu werfen und von unseren mehr oder weniger ähnlich potenten Nachbarn im europäischen Ausland abzuschauen, zu lernen oder zu sehen, was wir vielleicht schon längst besser machen.
Eines noch, hier wird ständig und häufig diskutiert was man alles besser machen könnte und wer alles bereit ist zu helfen, ein guter Vorsatz für’s neue Jahrzehnt könnte womöglich sein, die Ärmel hochzukrempeln und seinen Verband aktiv mit zu gestalten! Sei es mit der Gründung einer “Task-Force” und dem Präsentieren dort erarbeiteter Lösungsvorschläge und Ideen auf dem deutschen Rugbytag, oder durch Unterstützung der Nationalmannschaft als lautstarker Fan vor Ort. Es ist leichter, die Verantwortung immer auf fremde Schultern zu verteilen, als selbst mal die Ärmel hochzukrempeln und etwas zu bewegen.
Doch zurück zum Thema, schauen wir, was unsere Nachbarn so treiben, diesmal versuchen wir herauszufinden, auf welche Art und Weise in Polen versucht wird, den Rugbysport zu fördern. Wer weiteren Input zu diesem Thema hat, kann gerne die Kommentarfunktion nutzen, um uns mit seinem Wissen und nützlichen Links zu diesem Thema zu versorgen.
Polen liegt zur Zeit auf Platz 35 der offiziellen IRB-Weltrangliste und damit 9 Plätze hinter der deutschen Mannschaft, in der Europameisterschaft liegen unsere Nachbarn, die gemeinsam mit der Ukraine, Belgien, der Tschechischen Republik und Moldawien in der Gruppe 2A spielen, auf Platz zwei hinter den führenden Ukrainern. Aktuell zählt der polnische Rugbyverband ungefähr 50 Vereine und circa 5000 registrierte Spieler, auch hier scheinen die Osteuropäer uns deutlich unterlegen. Doch es tut sich was im polnischen Rugby und daher werfen wir heute mal einen Blick über die Oder-Neiße-Grenze.
Sportlich
Die Polen versuchen ganz gezielt, die Söhne ihrer vor vielen Jahren als Auswanderer vornehmlich nach Frankreich emigrierten Landsmänner für ihre Nationalmannschaft zu gewinnen. Bei den polnischstämmigen aktuellen französischen Nationalspielern Dimitri Szarzewski, Romain Millo-Chulski, Frederic Michalak und David Skrela mag man etwas zu spät gekommen sein, doch auch Abseits der ganz großen Rugbybühne versammelt sich eine Menge spielerisches Potential mit polnischen Wurzeln, welches nur entdeckt und gezielt eingesetzt werden muss. Im aktuellen Kader finden sich zahlreiche solcher Franko-Polen wieder, welche mit ihrer guten Grundausbildung und großen Erfahrung keinen unerheblichen Anteil daran haben, dass die polnische Auswahl momentan vor den höher bewerteten Teams aus Belgien, Tschechien und Moldawien in der Tabelle steht und sich zum jetzigen Zeitpunkt des Wettbewerbs durchaus noch berechtigte Hoffnungen auf einen Aufstieg in die Division 1 machen kann. In der letzten Partie gegen Tschechien standen auf Seiten der Polen unter anderem Spieler aus Albi, Toulon, Castres, Bayonne, Bobigny, Cahors, Villeurbanne und Poitiers im Kader, doch auch andersrum funktioniert der Weg, d.h. es werden nicht nur erfahrene Exil-Polen für die Nationalmannschaft angeworben, sondern der polnische Rugbyverband nutzt seine guten Kontakte, um seine größten Rugbytalente ganz gezielt bei französischen Vereinen unterzubringen, hier spielen sicherlich die guten Kontakte von Nationaltrainer Tomasz Putra eine Rolle, welcher selbst viele Jahre als Rugbyspieler und -trainer in Frankreich aktiv war und nun seinem Heimatland helfen möchte, sich zu verbessern. Es ist also kein Zufall, dass sich die Rot-Weißen in den letzten 10 Partien seit Mai 2007 nur dreimal geschlagen geben mussten und siebenmal als Sieger den Platz verlassen durften.
Auch das große Potential und die Zugkraft des 7er Rugbys bleiben der PRU nicht verborgen, weshalb der Verband im Frühling und Sommer zahlreiche 7s-Turniere als 1-Tages-Events organisiert, zu welchem die Teams aus dem ganzen Land anreisen. Es gelingt auf diese Weise, den Sport den Leuten vorzustellen und die neuen Teams, die im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden sprießen, zeigen, dass die Strategie keine schlechte ist – auch wenn es an Ausrüstung und Fachpersonal mangelt, um die ganzen Neulinge ausreichend zu betreuen. Trotzdem scheint das polnische Rugby sportlich auf einem guten Weg.
Rahmen
Die letzten beiden Länderspiele fanden in der 1,7 Mio. Einwohner zählenden Hauptstadt Warschau statt. Für gewöhnlich kommen 7000-10 000 Fans zu den Länderspielen der Nationalmannschaft, diesen wird mit überdachten Tribünen (in älteren Fußballstadien wie zum Beispiel dem knapp 17.000 Zuschauer fassenden Stadion Osir), Kapelle, Cheerleader-Gruppen, bengalischen Feuern und vielem mehr stets ein sehr aufwendiges und professionelles Rahmenprogramm geboten. Es ist außerdem gelungen, prominente Zugpferde für die Sportart zu begeistern, so gehört neben Warschaus Bürgermeistern und dem Chef des polnischen olympischen Komitees auch der in Deutschland nicht unbekannte ehemalige Weltmeister im Boxen Darius Michalczewski zu den regelmäßigen Besuchern der polnischen Rugbyspiele, welcher die Spiele stilecht im polnischen Nationaltrikot begleitet. Dank des aufwendigen Drumherums ist es auch gelungen, etablierte Fernsehstationen für die Übertragungen der Länderspiele zu begeisterten, so wurde das letzte Länderspiel gegen die Tschechen gleich von zwei TV-Stationen (TV4 & Polsat Sport Extra) live übertragen.
Fazit
Sportlich ist der polnische Rugbyverband mit dem Deutschen Rugby Verband noch nicht ganz auf Augenhöhe. Doch gerade im Jugendbereich haben die Polen schon zu uns aufgeschlossen und uns unter Umständen sogar schon überholt – wenn man den jüngsten Vergleich der U19-Auswahlen Deutschlands und Polen hier als Maßstab nimmt. Auch im 7s-Rugby sind die Polen nicht weit vom DRV 7s-Team entfernt. In Sachen Vermarktung der Sportart Rugby scheint der Verband, welcher vermutlich nicht über viel größere finanzielle Mittel verfügt als der DRV, uns jedoch um Jahre voraus. Nicht nur die TV-Übertragungen, sondern auch das Programm bei den Länderspielen sind erstklassig. “Andere Länder andere Sitten”, diese Weisheit hat auch im Rugby Bestand, weshalb sich nicht alles, was bei unseren Nachbarn erfolgreich ist, 1 zu 1 auf Rugbydeutschland übertragen lässt. Dennoch findet man in fast allen Rugbynationen, welche auf einem ähnlichen Niveau wie die deutsche Mannschaft aktiv sind, einen gemeinsam Nenner bezüglich dem Standard, welcher den Zuschauern und Aktiven geboten wird, hier scheint aktuell in Deutschland noch etwas Nachholbedarf zu bestehen. Bis dahin können wir den deutschen Rugbyfans eine Fanreise nach Warschau sicherlich guten Gewissens empfehlen.
Videobeitrag über die französischen Legionäre im polnischen Team
Amateuraufnahmen des Rahmenprogramms beim Länderspiel zwischen Polen und Kroatien
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