Bei den Frauen des SC Neuenheim muss das erklärte Saisonziel Titelverteidigung heißen.
Die letzte Bundesligasaison war mutmaßlich die spannendste und spektakulärste Spielzeit in der Geschichte des deutschen Frauenrugby. Wohl noch nie war die Bundesliga so stark und vor allem ausgeglichen besetzt wie in der vergangenen Saison und erstmals in der Geschichte gab es ein Stadtderby um die Meisterschaft. Dabei hat eine Wachablösung stattgefunden: zum ersten Mal seit 1995(!) fand das DM-Finale ohne den FC St. Pauli statt. Stattdessen erlebten rund 800 Zuschauer am Tag der Arbeit ein schier unglaubliches, bis zur letzten Sekunde offenes und spannendes Duell der Stadtrivalen SC Neuenheim und Heidelberger RK. Am Ende konnte sich mit dem SCN die im Saisonverlauf dominierende Mannschaft denkbar knapp durchsetzen und den silbernen Karl-Ehrmann-Pokal des DRV erringen.
Quo vadis Bundesliga? Werden auch in der kommenden Saison 2009/2010 die beiden Heidelberger Klubs dominieren? Kann der Rekordmeister SCN nach über zehn Jahren mal wieder einen Titel verteidigen oder gelingt dem HRK der große Wurf? Eventuell kommt gar der FC St. Pauli mit neuem Schwung auf seine alte Vormachtsstellung zurück? Was sind der Stuttgarter RC und der SC Germania List in der Lage zu leisten?
TotalRugby präsentiert Fakten und Gerüchte zu den Bundesligisten und einen kleinen Blick in die Kristallkugel:
SC Neuenheim
Der Rekordmeister SC Neuenheim hat nach fünf Jahren wieder die Deutsche Meisterschaft erobert. Mit drei Jahren Anlauf haben die Blauen sich an die Spitze gearbeitet und wollen in der kommenden Spielzeit diese Position und die Deutsche Meisterschaft auch verteidigen.
Einige Unruhe hat die Trainerfrage nach dem Ausscheiden von Marcus Trick und Marten Strauch verursacht. Nachdem die Mannschaft unter der Leitung von Matias Vergara schließlich vielversprechend und konzentriert in die Vorbereitung gestartet war, muss der neue Teammanager Marcus Trick inzwischen bereits wieder einen neuen Cheftrainer suchen. Schnellstmöglich soll jetzt eine tragfähige Lösung gefunden werden und man wünscht sich in Neuenheim wohl nichts mehr, als dass in dieser Personalie Ruhe einkehren möge. Zwischenzeitlich wird das Training von den beiden Co-Trainern Kay Kocher und Jürgen Seelinger geleitet.
Der große Kader ist in den Mannschaftsteilen ausgeglichen stark besetzt und die Mannschaft dürfte inzwischen wissen, wozu sie alles in der Lage ist. Die SCN-Fans dürfen sich auf die routinierten Kräfte um Tina Durst, Sabine Kling, Sandra Seelinger genauso freuen wie auf die jungen Wilden: Spielerinnen wie Lisa Bohrmann, Marie Scheurich und Elisa Schwinn werden sich weiterentwickeln und noch stärker werden.
Die erfahrenen Nationalspielerinnen Tabea Neubert und Veronika Stamos werden dem SCN künftig nicht mehr zur Verfügung stehen und Fanny Rögler wird die kommende Saison in Fankreich verbringen. Dafür haben sich hochtalentierte junge Spielerinnen der Mannschaft angeschlossen und mit Merna Morris kehrt eine sehr schnelle Hintermannschaftsspielerin nach über einem Jahr in die Mannschaft zurück.
Zugänge: Stefanie Horn (Heidelberger RK), Christina Leimert (TSV Handschuhsheim), Leonie Hollstein und Silvia Rausch (eigene Jugend), Franziska Bender.
Abgänge: Tabea Neubert (SG Erfurt/Jena), Fanny Rögler (Frankreich), Veronika Stamos (Karriereende).
Prognose: Die Zeichen für eine erfolgreiche Saison des SC Neuenheim stehen gut, der Verein ist aussichtsreich aufgestellt und hat die Abgänge durch hoffnungsvolle Neuzugänge ersetzt. An sich müsste der Verein als Favorit in die Saison gehen, aber das Trainertheater könnte weiter für Unruhe sorgen. Es drohen dadurch Rückschläge, der SCN wird sich aber durchsetzen und ins Finale einziehen.
Heidelberger RK
Der Vizemeister Heidelberger RK war dem SC Neuenheim in der Schlußphase der letzten Saison ein ebenbürtiger Gegner und konnte sich nach 1990 und 2007 wieder für eine Finalteilnahme qualifizieren. Die Trainer Thomas Bieringer und Alfred Jansen bleiben dem Verein erhalten und wollen nicht weniger als eine Deutsche Meisterschaft gewinnen.
Diesmal sollen es aber nach Möglichkeit beide Titel sein, auch wenn der HRK mittlerweile auf die Disziplin 7er-Rugby spezialisiert scheint. Der Ruderklub stellt nicht von ungefähr in der 7er-Nationalmannschaft den Großteil der Spielerinnen und hat die letzten beiden Jahre die Turniere um die 7er-DM gewonnen. Diese Erfolge und auch die Schlußphase der letzten Saison und das knapp verlorene Endspiel gegen den Stadtrivalen SCN geben zusätzlichen Ansporn für die neue Bundesligasaison.
Der Kader ist groß und hat sein Prunkstück in der Hintermannschaft: die Spielerinnen Jana Eisenbeiß, Svetlana Hess, und Alysha Stone sind die Stars der 7er-Nationalmannschaft und des HRK. Im Sturm ist vor allem die dritte Reihe recht stark besetzt. Spielführerin Nina Kropp oder Lisa Maral sind inzwischen routinierte Stützen in der jungen Mannschaft, Flankerin Seyma Ünlü könnte bei entsprechendem Trainingsehrgeiz eine Große dieser Zunft werden.
Eher Kopfzerbrechen bereiten den Trainern da wohl die ersten beiden Sturmreihen: obwohl Susanne Wodarz noch eine Saison auf der 2. Reihe dranhängt, ist der Klub auf diesen Positionen doch fast schon traditionell dünn besetzt. Der HRK darf nämlich wie jedes Jahr auf ein paar junge Talent aus der Jugendarbeit hoffen, muss aber auch mehrere herbe Verluste hinnehmen. Die Abgänge der starken Stürmerinnen Juliane Mittelstädt (Prop) und Stefanie Horn (2. Reihe) wiegen dabei besonders schwer.
Zugänge: Verena Brauner (reaktiviert), Julia Heede, Jasmin Jansen, Suheda Ünlü und Carina Wiedemann (alle eigene Jugend), Karen O’Connor.
Abgänge: Stefanie Horn (SC Neuenheim), Juliane Mittelstädt (Galwegians RFC/Irland), Julia Peters (USA), Larissa Stone (USA), Alexandra Stadler (Karriereende).
Prognose: Die Mannschaft des Heidelberger RK hat viel Entwicklungspotential und eine große Menge junger und ehrgeiziger Spielerinnen. Mit seiner schnellen Spielweise und der starken Hintermannschaft wird der HRK trotz der Defizite auf den ersten beiden Sturmreihen ins Endspiel einziehen.
FC St. Pauli
Der entthronte Meister FC St. Pauli war der große Verlierer der letzten Saison. Als Titelverteidiger und das Maß aller Dinge in die Saison gestartet, verpassten die Hansestädterinnen das Endspiel letztlich deutlich, landeten auf Platz drei. Auf den letztjährigen Trainer Rowan Brough folgen in der neuen Saison Jan Naller und Mick Smith. Das Saisonziel ist nicht bekannt, aber der Anspruch des Serienmeisters der vergangenen Jahre wird sicher eine Stabilisierung oder gar Verbesserung im Vergleich zur Vorsaison sein.
Man darf gespannt sein wie die neuen Trainer die jungen Spielerinnen entwickeln und die erfahrenen Akteurinnen motivieren können. Gelingt dies dem Trainergespann einigermaßen, ist der Mannschaft des Hamburger Kultvereines auch künftig durchaus zuzutrauen, dass sie jeden Gegner in der Bundesliga schlagen kann. Die Mannschaft verfügt nach wie vor über einen starken Sturm und schnelle Spielerinnen in der Hintermannschaft, muss aber verstärkt erfahrene Kräfte durch nachrückende Spielerinnen ersetzen.
Der FC St. Pauli setzt wie die meisten Vereine auf die Förderung und Integration junger Nachwuchsspielerinnen, dies spiegelt sich bei den Neuzugängen. Dafür verliert der Verein aber erneut mehrere Stammkräfte der letzten Jahre: Nationalspielerin Alina Stolz verlässt den FC St. Pauli und geht für ein Jahr ins Ausland, Petra Drachenberg hängt nach 20 Jahren und acht Meisterschaften die Rugbyschuhe an den Nagel. Spielführerin Ninja Duri hat dem Vernehmen nach Ihre große Karriere ebenfalls beendet.
Zugänge: Wanda Aurig, Mara Brinker, Nina Brokamp, Inga Laßwitz, Ilka Mohrholz, Johanna Schlüter, Silke Wenzel.
Abgänge: Petra Drachenberg (Karriereende), Ninja Duri (Karriereende), Alina Stolz (Irland).
Prognose: Der FC St. Pauli befindet sich auch in der kommenden Saison weiter im Umbruch und ist an sich die große Unbekannte in allen Überlegungen zur kommenden Bundesligasaison. Es scheint nach oben und nach unten etwas möglich, aber eine erneute Platzierung in der Mitte der Abschlußtabelle wäre keine sehr große Überraschung und vielleicht am Ende sogar ein Erfolg.
Stuttgarter RC
Der Stuttgarter RC unter der Leitung der beiden Trainer Michael Beckert und Karl-Heinz Stille hat sich inzwischen in der Liga etabliert, aber mit Ausnahme der Germaninnen aus Hannover in der vergangenen Saison keinen Gegner ernsthaft in Gefahr bringen können. In den schweren Spielen gegen die Germania wurde Platz vier erobert. In der dritten Bundesligasaison darf es jetzt nach dem Willen der Schwäbinnen etwas mehr sein: das erklärte Ziel von Trainern und Mannschaft ist eine Verbesserung der Platzierung aus der letzten Saison!
Diese zunächst bescheidene Zielsetzung ist auf den zweiten Blick eine recht sportliche, denn dazu muss eines der Teams aus Heidelberg oder Hamburg in der kommenden Saison Federn lassen. Dabei wäre es bei einer weiteren konsequenten Entwicklung des Stuttgarter Frauenrugbywunders nur folgerichtig und an der Zeit, dass auch gegen die Spitzenmannschaften Erfolge gelingen.
Die herausragende Akteurin der Stuttgarterinnen ist die Nationalspielerin Marina Apfel, aber bezeichnender Weise ist der Sturm der stärkere Mannschaftsteil, während die Hintermannschaft etwas ungleichmäßig besetzt und im Angriff oft sehr von ihrer Topscorerin abhängig ist.
Elisabeth Berger, Nelly Gachignard und Franziska Just sind nach längeren Verletzungspausen ins Team zurückgekehrt und werden ihre Mannschaft verstärken. Die Fluktuation im Kader hält sich in Grenzen und kann kompensiert werden. Das sind gute Zeichen für die neue Saison und die Zukunft.
Zugänge: Isabell Hirschmann, Clarissa Walki.
Abgänge: Daniela Etzbach (SG Mittelhessen), Carolynna Gabriel (Kanada).
Prognose: Der Stuttgarter RC wird sich wohl auch im dritten Jahr Bundesliga nicht in die Spitze durchsetzen können. Bonuspunkte gegen die Heidelberger Klubs und vieleicht auch ein Angriff auf den FC St. Pauli sind möglich. Die Spiele gegen Germania werden für den SRC aber aufgrund der sehr ähnlichen Anlage der Mannschaften auch schwere Aufgaben darstellen.
SC Germania List
Der SC Germania List blickt als Tabellenletzter der letzten Saison nur nach vorn. Trainer Günter Neumann und Teammanager Andreas Zickert machen weiter und die Manschaft will mit kleinen Schritten eine bessere Tabellenplatzierung als in der Vorsaison erreichen. Mit Alexander Schumacher wurde das Betreuerteam durch einen neuen Co-Trainer ergänzt, nachdem Silvia Schumacher sich beruflich in die Schweiz verändert hat und nicht mehr zur Verfügung steht.
Die Germania wird auch in der kommenden Saison einen kompakten und agressiven Sturm um die Nationalspielerinnen Kirstin Wagner und Simone Otto in die Waagschale werfen können und mutmaßlich sein Spiel auch künftig entsprechend auf diesen Qualitäten aufbauen. Die Hintermannschaft verfügt über viel Erfahrung und die schnelle Scorerin Dana Ribbentrop, die ihre Karriere fortsetzt. Die älteren und erfahreneren Akteurinnen hoffen auf die Newcomerinnen und eine Konkurrenz um die Plätze.
Der kleine Kader war das große Problem der Hannoveranerinnen und es bleibt abzuwarten ob die intensivierte Kooperation mit dem Regionalligisten FC Schwalbe hier Abhilfe schafft und die Abgänge ersetzen kann. Die talentierte Nationalspielerin Vanessa Vollenkemper vom Zweitligisten Wiedenbrücker TV hat entgegen allen Gerüchten den weg in die Bundesliga und zur Germania nicht gefunden.
Zugänge: Gesa Gabor, Sabrina Gibhardt, Dana Heisterberg, Anja Lögering, Annika Rieche (alle FC Schwalbe), Sarah Hoffmann, Christine Poloni, Anne Löding (alle RSV Göttingen), Mareike Kubinski.
Abgänge: Kathrin Mürrmann, Alexandra Herbst, Katharina Wagner (alle Karriereende).
Prognose: Die Germaninnen werden auch in der kommenden Saison viel Ehre einlegen, aber eher selten durch Erfolge belohnt. Der Stuttgarter RC und eventuell der FC St. Pauli dürften aber in Schlagweite sein, für Überraschungen bei Heimspielen in Hannover ist Germania sowieso immer gut. Eine Verbesserung in der Abschlusstabelle wäre ein Erfolg und ist nicht unmöglich.
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