Der Staub hat sich gelegt, ein nüchterne Bestandsaufnahme über die Leistungen der 2009er Lions und eine Würdigung ihrer Tour ist möglich.
Auf der Habenseite sind eine Reihe von Aspekten. Nach nach sieben Niederlagen in Folge gab es den ersten Sieg. Die Tour hätte gewonnen werden können. Die Lions blieben in den Vorbereitungsspielen unbesiegt. Die Ideale des Traditionsteams wurden gestärkt gemessen am Wohlwollen der 25-30.000 angereisten Fans, der Fairness angesichts der Nichtanzeige des dann doch gesperrten Bakkies Botha, die Kameradschaft im Kader und der gemeinnützigen Aktivitäten der Spieler vor Ort. Alles nicht trivial, denn 2001 in Australien gab es Spannungen diverser Spieler mit dem Trainer und angesichts der weitgehenden Kapitulation 2005.
Mehrere Spieler verzeichneten den Höhepunkt ihrer Laufbahn (Reihenfolge nicht zufällig): Rob Kearney, Jamie Roberts, Adam Jones, Mike Phillips, Simon Shaw, Tom Croft und Tommy Bowe. Für Routiniers Shane Williams, Gethin Jenkins, Stephen Jones, Brian O’Driscoll, Martyn Williams und Kapitän Paul O’Connell hatte die Tournee in Bezug auf ihre persönlichen Leistungen versöhnlichen Charakter. Rikki Flutey sorgte mit seiner genialen Vorlage auf Shane Williams für die überragende Einzelaktion des Wettbewerbs.
Jeder Sieg auf der Südhalbkugel ist eine besondere Leistung. Nach dem Niedergang der Engländer nach der 2003er WM ist es auch wieder ein Ereignis mit Seltenheitscharakter geworden. Gratulation an dieser Stelle auch an Frankreich für seinen Sieg diesen Sommer in Neuseeland. Es ist aber eine Sache nur gut aus zu sehen und kompetitiv zu sein. Eine andere tatsächlich zu gewinnen. Im der Nord-Süd-Konkurrenz in diesem Fall gegen die großen Drei von der Südhalbkugel zu gewinnen.
Ersteres ist den 2009 Lions eindeutig und glanzvoll gelungen. Im Zeitalter der Weltmeisterschaften hat aber nur England als einziges Team von der Nordhalbkugel für eine gewisse Zeit letztere Hürde regelmäßig nehmen können.
Neben Drama, Einsatz und grandiosen Momenten haftete Paul O’Connells Lions aber auch der Makel eines unglücklichen Auftretens an. Vier von sechs Halbzeiten wurden gegen den Weltmeister eindeutig gewonnen, jedoch war die Serie nach zwei Partien bereits verloren.
Sie fing an mit Problemen an der Gasse, genau wie bei der traumatischen Erfahrung vier Jahre zuvor in Neuseeland. Immerhin kam die Verletzung eines Schlüsselspielers in Zusammenhang mit unfairem Spiel in der Person von Adam Jones erst im zweiten Test und nicht in den ersten Sekunden des Auftaktspiels – damals der Kapitän Brian O’Driscoll.
Die Disziplin ließ zu wünschen übrig. Im ersten Test systematisch, im zweiten in den Ausschlag gebenden Schlusssekunden. Von Hand des als Kicker nervenstarken Ronan O’Gara, eines der erfahrensten Spieler des Kaders. Im ersten Test waren vier Versuche fertig. Einer wurde aber zu Recht wegen Kreuzens aberkannt, zweimal wurde Ugo Monye der Ball herausgeschlagen und Mike Phillips fehlten nur Zentimeter. Selbst im siegreichen dritten Test misslang Stephen Jones eine Erhöhung vor den Stangen – wann sieht man das schon mal.
Bei dem Versuch, der die Aufholjagd der Springbocks im zweiten Test vollendete, durchbricht Jacque Fourie das Tackling des als defensiv schwach bekannten O’Garas. Und dann schafft einer der erfolgreichsten Spieler der Lions, der gut dafür positionierte Tommy Bowe, nicht die mit dem Ball ausgestreckte Hand des fast schon ins Aus abgedrängten Ersatzinnens an der Ablage des Balls zu hindern.
Die Geschichte der Lions 2009 wird aber auch immer die von den Gedrängen des ersten Test sein. Die von Phil Vickery und Tendai „The Beast“ Mtawarira. Selten sind Gedränge in Länderspielen noch ein ausschlaggebender Faktor. Sagen wir wenn nicht Australien involviert ist. Im Mekka des Rugbys, Neuseeland, wird dieser Teil des Spiels eher herunter betont. In einer der dramatischsten Szenen der Lions-Geschichte waren die All Blacks 1977 in diesem Element des Spiels mal so unterlegen, dass sie notgedrungen mit ihrer taktischen Flexibilität nur drei Mann ins Gedränge stellten.
Aus diesen Zeiten stammen Springbock-Ikonen, die vor der Tour Probleme aufgrund der Umfunktionierung von John Smit als Erste-Reihe Stürmer gesehen haben. Und das noch auf der rechten Seite. Der Sturmtrainer der Lions 1997 Jim Telfer schätzte ebenfalls diesen Faktor so ein: „Sie haben eine schwache Erste Reihe verglichen mit 1997, als es Adrian Garvey und Os Du Randt gab.“ Mtawarira ist ebenfalls ein äußert lauf- und spielstarker Erste-Reihe-Stürmer. Die stehen immer im Verdacht bei der Kernaufgabe Defizite zu haben. Hier hätte man erwartet, dass die Lions diese potenzielle Schwäche einem Härtetest unterziehen.
Und dann kam es gerade umgekehrt. Phil Vickery hat eine imposante Figur. Und als englischer Weltmeister und als Führungsfigur aus Cornwall genießt er ein hohes Ansehen. Das Gedränge zählte aber nie zu seinen Stärken. Aber nicht zu erwarten war, dass er so baden geht. Seine Mannschaft so zurück wirft wie im ersten Test war.
Ganz klar – er war von vorn herein der falsche Mann um beim Gegner eine Schwäche zu testen. Allein schon wegen seiner Körpergröße. 1997 hatten die Lions vor den Test Problem am Gedränge. Die Probleme wurde gelöst durch die Aufstellung von kleinen Erste-Reihe-Stürmern. Eine erfolgreiche defensive Maßnahme, da ein großer Spieler wie Os Du Randt bei einem solchen Gegner Schwierigkeiten hat, seinen Gewichtsvorteil nicht Geltung zu bringen.
Erst in der 45. Minute wurde er erlöst. Von der Rugby World wurde bereits die zehnte Minute als Entscheidung des Spieles eingestuft, als er hoch in die Luft ragte. Derart unterlegen war er gegen einen so viel leichteren Spieler. Der Retter war Adam Jones, der eine Aufholjagd erst möglich machte. Leider verletzte er sich früh in der zweiten Halbzeit des zweiten Tests unter umstrittenen Umständen (mutmaßliches Foul von Botha.) Und mit grotesken Folgen („unconstested scrums.“)
Smit musste sich bis dahin mit Gethin Jenkins auseinander setzen. Und im dritten Test mit Sheridan. Die Unkenrufe bewahrheiteten sich aber nicht. Gegen diese zwei relativ erfolgreichen Spieler am Gedränge. Für sich allein genommen erfolgreich wohlgemerkt, denn die Erste Reihe ist schon als Einheit zu sehen ist.
Das alles wirft natürlich quälende was-wäre-wenn-Fragen auf … bessere Personalentscheidungen der Trainer, kein Foul von Botha das Adam Jones eliminiert, keine Verletzung von Murray. Letzterer hätte ebenfalls die Aufstellung von Jones verhindern können. So überlegen war er in den wenigen Provinzspielen am Gedränge, in denen er einsetzbar war. Und er ist wesentlich fitter als Adam Jones.
Und es ist ein Vorwurf für die Trainer. Shane Williams und Ugo Monye wurden für ihr unglückliches Auftreten hart angepackt. Auch Mears und Alan Wyn Jones verloren ihren Platz wegen unerwarteter Schwächen im Sturm generell.
Aber am Gedränge, wo die Trainer einen vorhersehbaren Fehler gemacht haben, zeigten sie Mangel an Selbstkritik, indem sie es im dritten Test gleich wieder mit Vickery von Anfang an versuchten. Nachdem sie erst zu viel Ehrfurcht einer Lebensleistung gezeigt haben und ihn deswegen nicht frühzeitig heraus genommen haben. Die Springbock-Größe Naas Botha warf in der Sendung Total Rugby den Trainern auch vor, nicht die neueren Möglichkeiten des Regelwerks ausgenutzt zu haben. Erste-Reihe Stürmer kann man ja aus und wieder ein wechseln.
Prompt sah’ auch im Dritten Test das Gedränge wieder wackelig aus. Aber auf der anderen Seite macht diesmal Hakler Chiliboy Ralepelle ebenfalls eine zweifelhafte Figur. Darauf wurde umgekehrt zur Halbzeit reagiert. Sechzehn Minuten später kam John Hayes für Vickery. Ein Mann der früher in seiner Karriere am Gedränge ins Schwimmen kam, aber gut genug an sich gearbeitet hatte. Der Lions-Fan konnte aufatmen.
Das Schlimmste, was Graham Rowntree und Ian McGeechan hätte passieren können, wäre wenn Südafrika jetzt bei den Tri Nations am Gedränge ausgespielt werden würde. So wie es aus sieht, werden sie da aber alles andere als harten Prüfungen ausgesetzt. Eher ist das Gegenteil der Fall.
Zum einen geht es gegen Australien. Und zum anderen ist Neuseeland aktuell noch handzahmer als sonst in dieser Hinsicht. Bis zur aktuellen Mitte dieses Wettbewerbs waren ihre Probleme dort mit dem unerfahrenen Owen Franks so groß, dass es ihnen bereits in mindestens einem Spiel eindeutig eine Niederlage einbrachte. Und somit steht Smit gegen einen Top-Gedränge-Mann wie Tony Woodcock erneut nicht im Mittelpunkt.
Lionsverbinder und heutiger Fernsehanalyst Stuart Barnes hebt in seinem Kommentar in der Rugby World das Positive der Leistung der Lions von 2009 hervor. Eine Kernthese von ihm ist, dass ohne das Versagen bei den Springbock-Kickern die glorifizierte Serie von 1997 im letzten Test verloren gegangen wäre.
Wenn es aber einen zentralen Aspekt gibt, der die Leistung der Lions von einem Sieg gegenüber zwei Niederlagen schmälert, dann ist es die Tatsache, dass die Aufstellung von Südafrika im dritten Test wie die einer zweiten Mannschaft aussah. Das illustriert den Unterschied zu den Serienniederlagen 1993 in Neuseeland und 2001 in Australien. Beide Male war der Gesamtsieg bis weit in den dritten Test offen.
Dieses Manko lässt sich nur mäßig relativieren. In beiden Lagern waren diverse Spieler verletzt. Und wenn Asse wie Burger und Botha gesperrt sind, ist das auch wettbewerbsorientiert. Edelreservisten wie Fourie, Tour-Gewinner (von der Bank) Morne Stejn und Ryan Kankowski sind nur wegen der Präferenzen der Trainer nicht erste Wahl.
Aber, ganz klar, Leistungsträger wie Bismark Du Plessis, Jean de Villiers, Brian Habana, JP Pietersen und Frans Stejn wurden geschont. Ersterer und Letzterer wurden nur ein gewechselt. Darunter litt die Satisfaktionsfähigkeit Südafrikas am 04. Juli 2009 in Johannesburgs Ellis Park.
Ein geringer Abstrich ist, dass viele Mittwochspiele relativ glanzlos waren und eher durch die Ergebnisse oder das Glänzen einzelner Spieler bestachen. 1997 wurden die Emerging Springbocks zum Sparring Partner degradiert, wussten nicht, wie sie die (Ersatz-)Lions stoppen sollten. 2009 entwischten sie in den Schlusssekunden mit einem Unentschieden.
Beim Thema Verletzungen sind die Abnutzungseffekte bei den Lions am Ende einer langen Saison wieder beachtlich gewesen. Nur O’Connell, Heaslip, Stephen Jones und Bowe konnten in allen drei Startaufstellungen gebracht werden. Rees, Martyn Williams, Croft, Kearney kamen mit Hilfe von Einwechslungen wenigstens ebenfalls auf drei Testeinsätze. Aber Lee Byrne, Stephen Ferris und Euan Murray wurden durch Verletzungen um ihren Karrierehöhepunkt gebracht.
Enttäuschend verlief die Tour natürlich auch für Spieler, die zum Einsatz kamen. O’Gara verpasste nur knapp Verbinder Nr. 1 zu sein. Und dann kam der zweite Test. Phil Vickery Fehlleistung im ersten Test wird auf unrühmliche Weise in die Geschichte der Lions eingehen. (Und die der Gedrängewettbewerbe generell.)
Ugo Monye, Alan Wyn Jones und Lee Mears wurden mit dem Verlust ihres Platzes für die Schwächen im ersten Test bestraft. Andrew Sheridan, Nathan Hines und Joe Worsley berechtigte Hoffnungen wurden nicht erfüllt, in die Stammformation zu kommen. Shane Williams hatte eine zu hohe Fehlerquote in den ersten Spielen. An Andy Powell und den nach nominierten Mike Blair und Gordon D’Arcy ging die Tour vorbei. James Hook stand immerhin noch in den Provinzspielen öfters entscheidend im Mittelpunkt, wenn auch mit wechselnden Erfolg.
David Wallace und Jamie Heaslip waren ohne Fehl und Tadel. Allerdings hatten diese irischen Grand-Slam-Gewinner schon mal mehr auf getrumpft. Donncha O’Callahan kam von der Bank im ersten Test zum Einsatz und war im Herbst seiner Laufbahn einer von fünf Spielern, die die Lions als Kapitän auf den Platz führen durften. Und das im schwierigen Spiel gegen die Southern Kings.
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