Foto: Miriam May
Hallo liebes Tagebuch,
zu erst…wir haben es geschafft, der Aufstieg in die Division 1 ist perfekt. Aber jetzt der Reihe nach.
Der Tag fing relativ gut an, so gegen halb 9 rüttelte irgendwer an meinem Arm und ich blickte in die strahlenden Augen meines Bett- und Zimmergenossen Tim Coly.
Timbo und ich haben schon als 5-jährige Knirpse gemeinsam im orangenen Trikot der RGH gestürmt und da Tim seit geraumer Zeit in Frankreich aktiv ist, ist es für mich immer etwas besonderes bei der Nationalmannschaft mit ihm zusammenzuspielen, er ist so etwas wie ein großer Bruder für mich und ich bemühe mich auf dem Feld immer seinen Ansprüchen gerecht zu werden, was mal besser und mal schlechter gelingt (aber wenn es mir nicht gelingt, behält er es meist für sich).
Naja nachdem ich also von Tim geweckt worden bin, ging es auch gleich zum Frühstück. Da alle Tische voll besetzt waren, saß ich alleine an einem Tisch, was mir aber auch ganz recht war, da ich etwas Musik hören und mich auf das Spiel konzentrieren wollte.
Nach dem Frühstück machten wir einen kleinen Spaziergang und Benni Danso zeigte mir seinen schönen Schnurrbart, einige Spieler hatten am Vortag vereinbart, bei diesem Spiel mit einer “Rotzbremse” aufzulaufen um den Holländern gleich zu zeigen aus welchem Land wir kommen, auch Kieron Davies’ Gesicht zierte bereits ein schöner “Schnorres”. Da wollte ich natürlich in nix nachstehen und deshalb ging ich direkt nach dem Spaziergang auf mein Zimmer um auch mein Gesicht entsprechend zu tunen.
Um 11 Uhr stand Besprechung und Trikotausgabe auf dem Programm. Im Besprechungsraum war die Anspannung diesmal wirklich zum Greifen, wir standen schon so oft an der Schwelle, sei es mit der U19 oder auch mit der Herrennationalmannschaft, haben aber immer wieder den finalen Schritt verpasst, diesmal wollten wir es unbedingt schaffen, schließlich ist es die letzte Chance für einige von uns, ihren Traum von einer WM-Teilnahme als Aktiver weiter träumen zu dürfen.
Als Bazi meinen Namen aufrief, war ich zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich wieder sehr aufgeregt vor einem Rugbyspiel, Jens drückte mir das Trikot mit der Nummer 4 in die Hand und sein Blick verriet, dass wir es heute schaffen werden.
Nach der Trikotsausgabe räumten wir unsere Zimmer, gingen zum Mittagessen und hatten dann noch 2 lange Stunden im Besprechungsraum zu verbringen, bis wir endlich zum Stadion fahren konnten. Die meisten von uns legten die Beine hoch und hörten Musik, ich ließ vom Physio Micha noch mal meine Waden behandeln, welche mir in der Vergangenheit immer wieder Probleme bereiteten und hielt ein kleines Schwätzchen mit unserem Zeugwart Günther Augsburger.
Pünktlich um 14 Uhr machte sich unser Bus auf den Weg zum Stadion, welches wir nach ca. 40 Minuten Fahrt endlich erreichten. Das Warten vor dem Spiel auf den Anpfiff ist immer das schlimmste für mich. In dieser Zeit weiß ich gar nichts mit mir anzufangen und will einfach nur, dass es endlich losgeht.
Am Stadion angekommen drehten wir noch eine kleine Platzrunde und dann gings in die Kabine.
Ich drückte Christian Düncher noch mein Handy in die Hand, damit er den LiveTicker für TotalRugby mit Infos füttern konnte.
In der Kabine wird nie sehr viel gesprochen, die meisten haben Kopfhörer auf und konzentrieren sich auf ihre Aufgabe. Diesmal war es noch ruhiger als sonst. Fast etwas bedrückend. Ich war froh als wir endlich zum Aufwärmen gingen. Nach dem Aufwärmen ging es noch mal in die Kabine und Jens hielt eine sehr emotionale Ansprache, ich schaute in die Gesichter in unserem Kreis und mir kamen Erinnerungen von unserer Junioren-Weltmeisterschaft 1998, dieses Turnier hat einige von uns besonders zusammengeschweißt, Colin, Bodo, Maggi, Timbo und ich haben damals sehr unglücklich gegen Georgien verloren (5:3) und von diesen Georgen hat ein gutes Duzend auf dem letzten World Cup für ordentlich Furore gesorgt. Ich dachte mir, es wäre doch Wahnsinn wenn wir 10 Jahre später die Chance zur Revanche erhalten sollten und dafür mussten wir unbedingt die Holländer aus dem Weg räumen.
Als wir zur Hymne auf dem Platz aufgestellt waren, durften wir noch dem holländischen Thronfolger die Hand schütteln und sangen dann die Nationalhymne, ich bin selbst kein besonders guter Sänger, aber diesmal sang ich so laut ich konnte.
Das Spiel lief zu Beginn sehr gut für uns und auch für mich persönlich. Gleich in den ersten Minuten konnte ich einige Gassebälle für uns gewinnen und auch ein paar Bälle in Kontakt tragen. Doch leider gelang es uns nicht unsere anfängliche Überlegenheit in Punkte umzuwandeln und wir wurden zusehens nervöser und versuchten es mit der Brechstange, anstatt uns auf unsere größeren spielerischen Fähigkeiten zu verlassen. Nach ca. 47 Minuten wurde ich ausgewechselt und Benni Danso kam für mich ins Spiel. Die restlichen Minuten waren wirklich grauenhaft. Die Holländer kamen bis auf einen Punkt heran und hatten sogar die Chance in Führung zu gehen. Zum Glück gelang es Musti kurz vor Schluss mit seinem zweiten Versuch den Sack zu zu machen. Die Erleichterung war riesengroß, wir haben es wirklich geschafft, Wahnsinn!
Unter der Dusche war die Stimmung sehr ausgelassen, obwohl uns das warme Wasser abgestellt worden war. Das Bankett war eher spartanisch, also im Vergleich zu den anderen Gastgebern geben sich die Holländer hier immer sehr wenig Mühe, aber uns war das alles egal. Nach dem Bankett machten wir uns Richtung Amsterdam City, auf halbem Wege erreichte uns ein Anruf, dass Bruno (unser französischer Co-Trainer), seinen Flug verpasst hatte, also fuhren wir alle zum Flughafen um ihn dort einzusammeln. Kurz darauf machten wir die Stadt noch etwas unsicher.
Leider mussten wir schon um 3 Uhr mit dem Bus zurück nach Heidelberg. Das war vor allem für mich viel zu früh, ich hatte nämlich die Gruppe verloren und mein Handyakku war von der vielen Telefoniererei wegen des Live Tickers völlig leer. Als ich 20 nach 3 Uhr am Treffpunkt ankam, war der Bus schon ohne mich losgefahren. Da stand ich nun, nachts um halb 4 in Amsterdam in meinem Sakko, ohne Gepäck und ohne Saft in meinem Handyakku.
Nach einer Stunde rumhängen am Bahnhof sah ich zwei Jungs mit deutschem Nummernschild am Bahnhof, die vermutlich wegen der Coffeeshops einen Trip nach Amsterdam unternommen hatten (so sahen sie auf jedenfall aus), die beiden waren so freundlich mich bis Oberhausen mitzunehmen (unter normalen Umständen wäre ich zu den beiden Kerlen nie ins Auto eingestiegen, aber es war nun mal alles andere als normal). In Oberhausen angekommen machte ich mich dann mit dem Zug nach Hause (die Deutsche Bahn verlangt tatsächlich 120 Euro für ein Ticket von Oberhausen nach Heidelberg). Als ich dann gegen 13 Uhr in Heidelberg ankam, war ich sehr müde, aber glücklich. Unser Traum ist in Erfüllung gegangen und ich kann schlafen gehen…
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