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TotalRugby Interview: Bodo Sieber - Sturmführer der DRV XV
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Geschrieben von Constantin Hocke   
Sonntag, 10. Mai 2009

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Bodo Sieber im Spiel gegen Spanien -

Interview mit Bodo Sieber, dem Sturmführer der Deutschen Nationalmannschaft und Kapitän der University of Cape Town. Bodo, zurück in Afrika, wird nach dem Spiel gegen Russland am Wochenende sein Team UCT für das traditionelle Intervarsity Spiel gegen die “Maties”, die Universität von Stellenbosch in Kapstadts Newlands Stadion aufs Feld führen. Der zweite Reihe Stürmer nahm sich die Zeit, einige Fragen zur momentanen Situation des deutschen Rugbys zu diskutieren.

Totalrugby.de: Hallo Bodo – wie ich gerade gelesen habe bist Du wieder zurück in SA. Wie war Dein Flug und wie hast Du die bittere Niederlage gegen die Russen verarbeitet?

Bodo Sieber: Da dieses Wochenende wieder ein Spiel ansteht, war ich Sonntag morgen erstmal im Pool zur “recovery”, um das Spiel physisch “zu verarbeiten”. Dann hatte ich in der Tat viel Zeit, über das Spiel nachzudenken – auf dem langen Flug Hannover – München – Johannesburg – Kapstadt.
Ich muss sagen, es war ein sehr emotionaler Moment für mich nach dem Spiel. Ich habe noch nie 50:0 verloren und es war verdammt hart, denn das verdient diese Mannschaft nicht.

TR: Wie bewertest Du die Leistung der Deutschen XV am vergangenen Samstag? War mehr drin?

BS: Na klar, deswegen auch die Enttäuschung. Wir haben ein gutes Team, mit viel Herz und Kampfgeist, das immer wieder dafür sorgt, dass ich gerne 20 Stunden anreise. Leider sind aber unsere Vorbereitung, unsere Spielstrukturen und mangelndes Zusammenspiel ein monumentales Problem. Darin liegt die Stärke der russischen Mannschaft, die meiner Meinung nach das ausgeglichenste und somit wohl beste Team ist in unserer Gruppe ist.

TR: Die Deutschen standen im Gedränge sehr kompakt und auch gut und konnten viele Bälle behaupten, warum wurden im offenen Gedränge so viele Bälle verloren – liegt das daran, dass die deutschen 8 nicht so gut eingespielt sind, oder liegt das an individuellen Skills?

Ich bin nicht sicher, ob wirklich so viele Bälle im Offenen, also am ruck durch turn-over verloren gingen, das müsste man die Statisik anschauen bzw erarbeiten – zudem ist das nicht nur Sache des Sturms, oder der deutschen 8 wie du sie nanntest. Ich denke, dass die turn-over rate relativ ausgeglichen war, wir haben allerdings oft durch Fehler, Vorwürfe und Kicks den Ball verloren bzw. hergegeben und hatten ihn einfach zu wenig, weswegen uns turn-over effektiv mehr weh taten.

Das Problem, bzw. die Frage ist, wie viele Phasen kann das deutsche Team den Ball halten, bei Bedarf schnell machen und so Überzahl-Situationen erarbeiten. Ich glaube, wir haben maximal zwei mal mehr als drei Phasen gespielt, die Russen hingegen mindestens 10 mal. Das ist der Unterschied, und ja, es ist eine Frage des eingespielt seins, des Spielsystems und der Organisation des Unterstützungsspiels. Auf höherem Level ergeben sich erst nach etwa 3 Phasen Löcher in der
Verteidigung – die Russen haben gezeigt, wie das geht.

TR: Wie bewertest Du das Auftreten der Deutschen an der Gasse, auch das Gassespiel der Gegner, bei dem man ja mit Snakko einen native speaker hatte, der teilweise die Kommandos verstanden konnte – trotzdem konnten die Bälle nicht schlecht gemacht werden / gewonnen werden?

BS: Der russische Sturm wusste wohl, dass unser Snak als potentieller Agent fungiert, daher sind sie oft vor der Gasse für das Kommando zusammen gekommen, wobei ich sagen muss, das letzte mal, dass ich wirklich versucht habe, Gassenkommandos zu entschlüsseln war in der U15 – es gibt bessere Methoden dort aktiv um den Ball zu kämpfen. Wir waren etwas falsch informiert und der Annahme, dass sie viele Bälle vorne fangen. Daraufhin haben wir dann umgestellt und mehr Druck gemacht.

Eine gut gespielte Gasse, mit maximaler Höhe und idealem Timing, ist allerdings schwer zu verteidigen. Trotzdem muss ich sagen, dass wir auch hier ausgeglichen waren. Der deutsche Sturm hat einen Ball klar verloren – die Russen allerdings auch, der Rest der Einwürfe hat bei beiden Teams gepasst. Durch unsere defensiven Kicks und einige Straftritte gegen uns, hatte Russland natürlich wesentlich mehr Gassen als wir, weshalb sie dort unter dem Strich mehr Bälle gewannen.

TR: Wie optimistisch schaust Du auf die kommenden Spiele, oder legst Du Deinen Schwerpunkt auch “nur” auf das Spiel gegen Spanien?

BS: Meiner Meinung nach ist es nicht genug sich “nur” auf das Spanien Spiel zu Konzentrieren. Diese 6 Wochen sind eine Kampagne, die ganz klar organisiert und gemanaged werden muss. Die Vorbereitung muss erheblich verbessert werden, gerade weil in Deutschland Saisonpause ist und dafür brauchen wir qualitativ hochwertige Stützpunkttrainings.

Es darf in keinem Fall so sein, dass wir die ersten vier Spiele “irgendwie” rumkriegen, weil mit einem Team, was in vier Spielen 10:200 Punkte macht, kann man dann nicht plötzlich gewinnen, wenn es drauf ankommt.

Wir brauchen einen Kader von etwa 40 Spielern und müssen diese gezielt einsetzten. Jüngere Spieler können somit an das Level herangeführt werden (Training und Spiel) und unbezahlbare Erfahrung sammeln. Das Spanien-Spiel und die zwei Wochen davor sind dann der Teil, an dem sich das Team gefunden haben muss und die besten 22 100% fit sein und zur Verfügung stehen müssen.

TR: Was für Maßnahmen forderst Du als Spieler seitens des DRV-Managements, damit in Zukunft solche Debakel den deutschen Rugby-Fans erspart werden? Über eines muss man sich im Klaren sein, die deutsche Mannschaft hat nicht das Potential, den Russen die Stirn zu bieten, jedoch hätte dieses Spiel mit einer gewissenhafteren Vorbereitung definitiv nicht so hoch ausgehen müssen.

BS: Du sagtest, die deutsche Mannschaft hat nicht das Potential, ebenbürtig zu sein – da muss ich dir widersprechen. Die Mannschaft war am Wochenende nicht ebenbürtig, das ist korrekt, doch das Potential ist vorhanden, da bin ich Optimist. Sprichst Du von einem Debakel wegen der 50 Punkte? Was ist, wenn Deutschland so hoch gegen Frankreich verliert? Die Punkte an sich sind wohl kaum ein Problem. Wir spielen allerdings momentan gegen Portugal, Georgien etc. und nicht Frankreich und eine derartige zu Null Niederlage ist gegen diese Mannschaften in der Tat ein Debakel. Ein Debakel allerdings nicht wegen des Spiels, oder dem Einsatz der Mannschaft, sondern wegen der Umstände, die dazu führen.

In Anbetracht der Niederlage und Umstände ist es sehr frustrierend, doch die deutsche Mannschaft in Bestbesetzung und mit idealer Vorbereitung kann an ihrem Tag auch Russland schlagen. Ich denke die 50 Punkte Klatsche war wesentlich zu hoch. Ein etwas ansehnlicheres 28:13 zum Beispiel wäre auch mit dem leicht geschwächten Team und nur ein paar Tagen Vorbereitung mehr drin gewesen. Um diese Rechnung klarer zu machen: Wir bekommen durch bessere Verteidigungsorganisation und konsequentere 1:1 Tackles drei Versuche weniger, verwandeln unsere zwei Kicks und legen selbst einen erhöhten Versuch und das Spiel wie auch das Ergebnis sehen anders aus.

Dann haben wir einen Schritt getan, aber noch lange nicht gewonnen.

TR: Begnügst Du Dich als “Profi” mit der Aussage, dass in Deutschland die Mittel fehlen, um professioneller zu agieren, oder siehst Du auch Fehler in der Besetzung des DRV Managements und Ihren organisatorischen Fähigkeiten, marketing-technisch / wirtschaftlich wirkungsvoll zu arbeiten?

BS: Ich bin nicht wirklich in der Position, hier Kritik zu äußern, noch denke ich, dass es konstruktiv wäre über diesen Kanal. Ich kann aber gerne etwas allgemein zum Thema sagen.

Meine Einstellung zum Rugby ist, dass ich spiele um Erfolg zu haben – genauso steht es mit den meisten der Jungs in der Nationalmannschaft. Ich bin Teil eines Clubs mit einer “winning culture” – das ist eine klare erfolgsorientierte Einstellung zum Spiel auf und neben dem Platz. Jeden Tag aufzustehen und sich zu fragen, was kann ich heute machen um besser zu werden, wie kann ich mein Team verbessern, wie kann ich meinen Club verbessern – das gilt auch für meine Einsätze in der Nationalmannschaft. Dazu muss man auch kein Profi sein, es ist lediglich ein Sport und im übertragenen Sinne auch eine Lebensphilosophie.

Erfolgsorientiert arbeiten gilt zudem genauso für die Beteiligten, die nicht auf dem Platz herum springen. Es ist immer einfacher, Ausreden zu finden, als die Initiative zu ergreifen, hart zu arbeiten und Dinge zu ändern.

Wir haben uns den Aufstieg erarbeitet – mit Strukturen, die sich in den letzten 10 Jahren nur geringfügig geändert haben. Jetzt sind wir auf einem Level, bei dem unserem Kader eine mindestens 50%ige Steigerung abverlangt wird. Das Gleiche muss für den Verband und genannte Strukturen gelten. Alles muss sich verbessern und einen Schritt in Richtung Professionalisierung tun, dies beginnt jedoch meiner Meinung nach nicht primär mit Geld und dem Budget, wie viele behaupten. Um das wieder vereinfacht mit dem Sport zu vergleichen, es ist genauso einfach zu sagen, “es ist kein Geld da” und “ach die Wirtschaftslage” wie, “ach nein, es regnet“ oder „ich bin müde und trainiere nicht”. Erfolg beginnt mit einer Zielsetzung und dem Willen sich zu verbessern, der richtigen Einstellung aller Beteiligten, zudem bedarf es Kritikbereitschaft, Zusammenarbeit und bei Bedarf auch Hilfe von außen. Wenn plötzlich viel Geld da wäre und es mangelte dennoch an qualitative hochwertiger Umsetzung und Planung, wäre uns auch nicht geholfen.

Das deutsche Rugby, das bedeutet jeder, der Rugby lebt oder liebt und das tun wir ja alle, sei es die U8 von Germania oder der Runde Tisch, der über 60er beim SCN, die HRK Mädels, oder ein Zweitligaspieler mit Aufstiegsambitionen. Das deutsche Rugby als Ganzes wird davon profitieren, wenn dieses Team oben dabei ist. Medieninteresse, Sponsoren, Qualität des Sports, Ausbildung und Qualität der Trainer und der Spieler auf allen Ebenen, alles wird verbessert – was dann wiederum der aktuellen Auswahl hilft.

Wir sind alle Teil dieses Ganzen und jeder einzelne von uns, jeder der ein Teil des deutschen Rugby’s ist, steht in der Verantwortung, für den Erfolg zu arbeiten.

TR: Wo siehst Du das deutsche Rugby in 2 / 5 / 10 Jahren?

BS: Das deutsche Rugby steht heute an einem Scheideweg, der sich langfristig auswirken wird – nicht im März in Heidelberg gegen Spanien, nein – heute! Entweder der Verband, die Ligen, die Spieler, das deutsche Rugby, jeder der aktiv werden kann, arbeiten an sich selbst und zusammen und ermöglichen den Klassenerhalt durch mittel- und langfristig verbesserte Strukturen. Oder, die Mannschaft steigt ab und Deutschland ist für mindestens sechs Jahre vollkommen weg vom Fenster.

So sind die Alternativen. Der Klassenerhalt wird geschafft und eine neue Generation von Spielern wird Teil einer auf höherem Niveau stärker werdenden Mannschaft, die sich behauptet und dann 2015 vielleicht wirklich die WM-Qualifikation schafft. Oder das Team steigt ab und zerfällt und wir fangen wieder von vorne an in einer Zeit, in der andere Nationen nicht auf uns warten.

Das ist keine Schwarzmalerei, sondern Realität, was man am Beispiel unserer Nachbarländer bzw. Konkurrenten verfolgen kann. Die Ukraine stieg ab und es sieht nicht aus, als würden sie 2010 wieder aufsteigen, das sind 6 lange Jahre B Gruppe. Tschechien blüht das gleiche Schicksal und Holland ist sogar in der C Gruppe, nachdem sie vor ein paar Jahren “fast” bei der WM waren. Selbst Deutschland war 1998 gegen Spanien mit einem starken Team vorne dabei um die WM Qualifikation und als daraus nichts wurde plötzlich wieder Lichtjahre davon entfernt.

Spanien und Portugal hingegen stiegen auf und schafften den Klassenerhalt und verbesserten sich als Teams und als Verbände. Wir haben jetzt diese eine Chance.

TR: Wie lange möchtest Du noch aktiv spielen (UCT/D)?

BS: Ich habe über 200 Erstligaspiele und viele Provinzauswahlspiele hier in SA bestritten und effektiv länger in SA als in Deutschland Rugby gespielt und bin jede Saison begeistert wie viel es noch zu lernen gibt.

Ich sehe meine Rolle jetzt als Mentor und erfahrener Führungsspieler und möchte so viel wie möglich zurück- und weitergeben. Ich konnte oft für Deutschland nicht zur Verfügung stehen und musste absagen, aber seit 10 Jahren Teil dieses Teams zu sein (mein Debüt war 1998 in Hannover gegen Tunesien), was sich jetzt diese große Chance verdient und erarbeitet hat, ist für mich etwas Besonderes und Wichtiges.

Wie lange spiele ich noch? Solange es Spaß macht, hauptsächlich aber solange der Beruf es zulässt, um das mal zu quantifizieren, vielleicht noch ein zwei Jahre.

TR: Was für Pläne hast Du nach Deiner Karriere, kommst Du zurück nach Deutschland oder bleibst Du lieber im Warmen?

BS: Beruflich geht es natürlich vorwärts. Ich denke, ich werde eine Trainerausbildung machen und dann mal diese Seite des Rugbys anschauen, erstmal als Hobby. Meine mittelfristige Zukunft wird hier in Südafrika sein.

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Kommentare (5)add comment

ImperialRugby said:

68
...
Absolut geniales Interview und sehr interessante Ansichten von Bodo. Ich denke, er beschreibt die derzeitige Situation absolut treffend. Dem kann man nichts hinzufügen! Viel Glück für's Varsity-Spiel!
Mai 10, 2009

mongo said:

97
Klare Ansage !!
Klare Worte von Bodo!. Decken sich zu 99% mit meiner Auffassung das unter allen Umständen die Klasse gehalten werden muss. Die Stützung der Nationaslmannschaftssäule muss kurzfristig absolute Priorität besitzen.
Mai 10, 2009

Der Kleine said:

995
...
Schönes Interview,
dass muss ein Führungsspieler machen, Probleme klar aufzeigen und thematisieren. Über die Verbesserungsmöglichkeiten in der Vorbereitung und dem Management dürfte hier Einigkeit bestehen.
Was aber das Russlandspiel angeht, muss ich sagen, dass vor allem die Gassen ein grosses Problem gewesen sind. Diese wurden fast nie sicher gewonnen und nie erobert. Hab das Spiel im Stadion gesehen aber keine Statistik geführt. Denke aber, dass vor allem die Standards auf die personellen Probleme im Vorfeld und die zu kurze Vorbereitung zurück geht.
Bodo Sieber selbst hat mir in dem Spiel vor allem aufgrund seiner beherzten Aufbrüche sehr gut gefallen und war ganz klar einer der Besten. Also Kopf hoch, Zähne zusammen und durch! MfG
Mai 10, 2009

maulrat said:

1001
...
Das intervarsity ging unentschieden aus..
http://uctrfc.co.za/index.php?option=com_content&view=article&id=11385:intervarsity-ends-in-a-draw&catid=3:newsflash&Itemid=18
Mai 10, 2009

Donzilli said:

234
super Interview
Klare Worte, klare Vorstellungen und am wichtigsten: eben nicht nur Worte, sondern auch Taten.

Kleine Anmerkung zur Wortwahl: Ich finde das Wort "Sturmführer" immer ein wenig problematisch. "Führungsspieler", "Leistungsträger" oder auch "Vize-Kapitän" erscheinen mir angebrachter, auch wenn sie weniger auf seine halboffizielle Funktion als Chef der Stürmer hinweisen.
Mai 11, 2009

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