Derby-Festtage und Konflikte hinter den Kulissen - wie geht es weiter mit der Premiership?
Geschrieben von TotalRugby Team
Montag, 20. November 2023
Handré Pollard siegte mit den Leicester Tigers im Derby gegen Northampton.
Volle Ränge, großartiges Rugby und Euphorie. Wer am Wochenende die Spiele der Aviva Premiership verfolgt hat, könnte meinen, es sei alles in Butter im englischen Rugby. Doch im Mutterland unseres Sports ist bei weitem nicht alles in Ordnung, besonders im Vereins-Rugby. Nach drei Vereinspleiten in weniger als einem Jahr droht nun ein Exodus der Stars. Selbst schwerreiche Klubs wie Saracens müssen wohl einige Topspieler gehen lassen. Das dürfte auch Folgen für die englische Nationalmannschaft haben.
In der Aviva Premiership (die ihre live bei More than Sports TV verfolgen könnt) wird noch immer großartiges Rugby gespielt, teils vor beachtlichen Zuschauerzahlen mit Weltstars unseres Sports. Wer Samstag am späten Nachmittag das East Midlands Derby zwischen den Leicester Tigers und den Northampton Saints verfolgt hat, sah viele Dinge, die das englische Vereinsrugby großartig machen. Kampf, Leidenschaft und trotz widriger Bedingungen teils ansehnliches Rugby, all dies vor rund 25.000 Zuschauern im altehrwürdigen Welford Road Stadium, in dem schon seit über 130 Jahren Rugby gespielt wird.
Auch in Bath, wo es das Derby gegen Bristol gab, oder in Exeter, wo die Chiefs sich mit Gloucester duellierten, zeigte sich die englische Liga von ihrer besten Seite, mit tollem Rugby und vollen Rängen. Doch nicht jedes Premiership-Spiel wird vor solchen Kulissen gespielt, wie das zwischen den beiden alten Rivalen aus den Midlands, die Stars wie Springboks-Verbinder Handré Pollard anlocken können. Letzte Saison gingen mit den Wasps, London Irish und Worcester Warriors gleich drei Traditions-Teams pleite, so dass die Liga nun nur noch mit zehn Teams gespielt wird.
Volle Ränge, großartiges Rugby und viel Rugby-Tradition: Das ist das East Midlands Derby
Einnahmelücken im siebenstelligen Bereich
Top-Teams wie Leicester oder Quins fehlen nun drei zuvor einkalkulierte Heimspiele, was wiederum Einnahmeausfälle im siebenstelligen Bereich bedeutet. Die Tigers, der Zuschauermagnet der Liga mit einem Schnitt von über 20.000 Zuschauern, schrieben tiefrote Zahlen, obwohl der englische Verband RFU Trainer Borthwick für über eine Million Pfund aus dessen Vertrag kaufte. Die Folgen der Corona-Pandemie und der Deal mit dem Finanzinvestor CVC schwächten die Basis aller Teams, die einigermaßen wirtschaftlich arbeiten müssen - Bath, Bristol und Saracens, die jeweils von ultrareichen Gönnern finanziert werden, zählen nicht dazu.
Derweil verkompliziert der CVC-Deal, bei dem ein Viertel der kommerziellen Rechte der Liga vor fünf Jahren für rund eine Viertelmilliarde verkauft wurden, auch eine mögliche Premiership-Reform. Zukünftige Einnahmen wurden damals in der Hoffnung auf fortwährendes Wachstum verpfändet und Aufsteiger hätten demnach nicht nur einen Nachteil, weil sie damals nicht von der Auszahlung profitierten, sie leiden auch unter den um den CVC-Anteil reduzierten Einnahmen heute.
Seit dem Wiederaufstieg von Saracens vor 2,5 Jahren kam kein neues Team in die Liga. So wurde der Aufstieg der Ealing Trailfinders aus dem Westen Londons schon mehrfach trotz sportlicher Qualifikation verhindert, da das Stadion des Klubs aus dem Stadtteil Ealing nicht den strengen Liga-Kriterien entspricht und Alternativen in London kaum zu finden oder finanzieren sind. Kritiker monieren, dass die Kriterien dazu dienen den derzeit ausgesetzten Auf- und Abstieg auch künftig unmöglich zu machen.
Gehaltsobergrenze führt zu Exodus der England-Stars
Aufgrund der schwierigen Finanzlage hatten sich die Premiership-Klubs während der Pandemie selbst Restriktionen auferlegt. Die Gehaltsobergrenze wurde temporär reduziert und steigt erst für die Saison 2024/2025 auf das Vor-Corona-Niveau von 7,3 Millionen Euro. Je nachdem, wie viele Spieler ein Klub selbst ausgebildet hat, können einige Vereine dank der „academy credits“ noch ein paar hunderttausend Euro mehr ausgeben - was jedoch immer noch deutlich unter der 11,3-Millionen-Obergrenze der Top 14 liegt. Derweil wurde die Zahl der sogenannten „Marquee Player“ in der Premiership, die als Star-Spieler von der Grenze ausgenommen sind, von zwei auf eins reduziert.
Das hat Folgen: Bei den Saracens waren die beiden bisherigen von der Gehaltsobergrenze ausgenommenen designierten Topspieler die England-Stars Owen Farrell und Maro Itoje. Da bereits laufende Verträge von den Covid-Neuregelungen zunächst nicht betroffen waren, wird die Vertragsverlängerung des Zweite-Reihe-Stürmers Itoje erst Ende der laufenden Saison zum Problem. Saracens können Itoje nun trotz ihres schwerreichen Besitzers Nigel Wray nur noch 400.000 Pfund im Jahr anbieten, was weniger als die Hälfte des bisherigen Gehalts ist, da nur noch ein „Marquee Player“ pro Klub von der Salary Cap ausgenommen ist.
Dazu verdient Itoje mit jedem England-Spiel, das er absolviert, noch eine Prämie von mehr als 20.000 Pfund. Diese ist aber natürlich im Falle von Verletzungen nicht garantiert. Der Saracens-Identifikationsfigur dürfte in Japan und Frankreich ein Gehalt winken, welches die Saracens-Offerte selbst mit allen möglichen England-Prämien deutlich übertreffen würde. Itoje könnte so der nächste England-Star auf der vermeintlich falschen Seite des Ärmelkanals sein.
Dort spielen seit diesem Jahr bereits zahlreiche Spieler aus dem englischen WM-Kader: Unter anderem Joe Marchant (von den Harlequins zu Stade Français) Flanker Jack Willis (von den Wasps zu Toulouse), Zweite-Reihe-Stürmer Dave Ribbans (von Northampton nach Toulon) und der super-talentierte Außen Henry Arundell (von London Irish zu Racing) wechselten in die Top 14. Dazu werden Elliot Daly, Kyle Sinckler, Lewis Ludlam, Will Stuart und sogar Supertalent Marcus Smith Wechsel-Ambitionen nach Frankreich nachgesagt.
England-Team leidet zunehmend - Hybrid-Verträge als Antwort?
Dieser Exodus ist mehr und mehr auch ein Problem für das englische Nationalteam. Coach Steve Borthwick hatte bereits vor der Weltmeisterschaft angedeutet, dass er gerne auch englische Spieler aus Frankreichs Top 14 für das Nationalteam nominieren würde, was derzeit nach den Regeln der RFU nicht möglich ist. Sollte die RFU ihre strikte Haltung aufweichen, würde das Borthwick freuen, jedoch dürfte sich der Exodus der England-Stars nach Frankreich nur noch verstärken.
Derweil wähnt sich RFU-Chef Bill Sweeney „an der Schwelle zu etwas Großem“. Die neue Professional Game Partnership soll ab der kommenden Saison das Verhältnis von Verband, Klubs und der Spielergewerkschaft RPA regeln. Dabei, so der Plan, werden 25 Top-Spieler des England-Teams mit hybriden Verträgen ausgestattet werden, so dass deren Gehälter zwischen Verband und Verein geteilt werden. Im Gegenzug bekäme der Verband mehr Einfluss auf das Trainingspensum und die Einsätze der Spieler und die Vereine würden besser dafür kompensiert, dass ihre Spieler im laufenden Liga-Spielbetrieb fehlen.
Ein großes Sorgenkind bleibt der Unterbau der Premiership. Alle Klubs der zweitklassigen Championship haben einstimmig gegen das PGP-Programm gestimmt, auch da es künftig weiterhin keine Auf- und Abstiegsregelung geben dürfte. Dazu sollen die Championship-Klubs, die weitestgehend professionell aufgestellt sind für den gesamten Zeitraum mit zwei Millionen Pfund abgespeist werden, während die zehn Premiership-Klubs knapp 300 Millionen Pfund erhalten sollen. Dies soll laut Times of London durch künftige Einnahmen aus der umstrittenen Nations League von World Rugby finanziert werden.
Während Frankreich mittlerweile drei komplett professionelle Ligen mit 34 Klubs hat, wird den englischen Vereinen aus der zweiten Reihe das Fundament genommen. Da diese Klubs für viele englische Topspieler als Sprungbrett gedient haben, dürfte sich auch dies langfristig negativ auf die Leistungen im Nationalteam auswirken. Der reichste Verband im Welt-Rugby entwickelt sich mehr und mehr zum Sorgenkind.
Namen der Premiership
Der Schreiber des Artikels ist wohl im Jahr 2018 stehen geblieben. Von 2010 bis 2018 hieß die englische Premiership AVIVA Premiership. Zur Saison wurde der Name in Gallagher Premiership geändert. Der Name gilt auch für die Saison 2023/24. Das aktuelle Unternehmen ist in der Versicherungsbranche tätig. Sollte keine Belehrung sein, sondern eine Richtigstellung.
November 22, 2023
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Letzte Aktualisierung ( Montag, 20. November 2023 )