Südafrikas Defensive war der Schlüssel zum Sieg. Foto (c) World Rugby
Der Weltmeister 2023 heißt Südafrika. Das Team um Siya Kolisi hat sich den zweiten Titel in Serie und den vierten insgesamt gesichert und damit Geschichte geschrieben. Die Feierlichkeiten in den Städten und Dörfern Südafrikas kannten keine Grenzen. Südafrikas Defensive war der Schlüssel zu diesem Titel und nun werden Diskussionen darüber laut, ob die Springboks des Jahres 2023 das beste Rugby-Team aller Zeiten sind.
1. Südafrikas Defensive war der Schlüssel zum vierten WM-Titel
Symptomatisch für die heroische Verteidigungs-Leistung war Pieter-Steph du Toit. Unfassbare 28 Tackles machte der Dritte-Reihe-Stürmer über die 80 Minuten im Stade de France hinweg. Wo immer es brannte, sah man den hochgewachsenen Blondschopf in den Farben der Boks, der sich ohne Rücksicht auf den eigenen Körper in die Gegner warf. Mehrfach rettete Steph du Toit in allerhöchster Not und ermöglichte seinem Team somit erst den Sieg.
Sieben weitere Boks-Stürmer und zwei weitere Hintermannschaftsspieler machten mehr jeweils als zehn Tackles, teils in allerhöchster Not, wie als Cheslin Kolbe einen vermeintlich sicher geglaubten Versuch von Rieko Ioane verhinderte, oder Neuner Faf de Klerk per Ankle Tap einen Durchbruch vom Top-Versuche-Sammler des Turniers, Will Jordan, stoppte.
In den letzten zehn Minuten der Partie fand das Spiel fast ausschließlich tief in der Hälfte von Südafrika statt, insgesamt mussten die Springboks weit mehr als doppelt so viel tacklen wie die All Blacks. Doch dieses Team hat die Moral und den eisernen Willen, um die harte Arbeit auch nach sieben langen Wochen in Frankreich mit insgesamt fünf kräftezehrenden Duellen am Ende den Webb-Ellis-Cup zu holen. Natürlich profitierte Südafrika dabei auch davon, dass die regnerischen Bedingungen mit kräftigen Windböen das Spiel langsamer machten.
Dass Neuseelands größte Zeitung Herald am Tag nach dem Finale „Glückwunsch an Südafrika, das beste Team wenn es darum geht kein Rugby zu spielen“ titelt, zeugt eher davon schlechter Verlierer zu sein. Südafrika hat dieses Turnier vor allem mit seiner Defensive verdient gewonnen, der Webb-Ellis-Cup wird immerhin nicht dafür vergeben, wer das schönste Rugby spielt.
80 Minuten Kampf im Monsun von Paris mit dem besseren Ende für die Boks
2. Diese Boks haben Geschichte geschrieben, sind aber nicht das „beste Team“ aller Zeiten
Auf dem Weg zum vierten WM-Titel der Geschichte mussten die Springboks gegen die laut Weltrangliste fünf besten Teams außer ihnen selbst antreten. Kein Weltmeister zuvor hatte einen derart schweren Weg zum Titel wie die Südafrikaner bei dieser WM. Bis auf die extrem knappe Pleite gegen Irland konnte die Mannschaft um Kapitän Siya Kolisi in Frankreich vier der Top-Teams im Welt-Rugby schlagen und musste dabei drei absolute Thriller überstehen, die in der K.O.-Phase jeweils mit nur einem Punkt gewonnen wurden. Im Endspiel sogar über fast 80 Minuten ohne einen gelernten Hakler.
Der zweite Titel in Serie nach dem überraschenden Triumph in Japan macht dieses Team, um Südafrikas Helden wie Etzebeth, Kolbe, Mbonambi und natürlich Siya Kolisi schon jetzt unsterblich. Nicht vergessen darf man dabei die gewonnen Serie der Boks gegen die British and Irish Lions. Immer wenn es darauf ankommt, kann sich dieses Team zu neuen Höhen aufschwingen und ist auch deshalb als Gegner gefürchtet.
Davor muss man absoluten Respekt haben, egal mit welchem Team man es hält. Zweite-Reihe-Stürmer Eben Etzebeth sprach nach dem Endspiel gegenüber seinen Mitspielern davon, dass man sich nun legitimerweise das beste Team aller Zeiten nennen könne. Auf dem Papier sind die Springboks mit dem vierten Titel in Serie das erfolgreichste Team der Rugby-Geschichte und diese Mannschaft hat sich in der vielleicht am härtesten umkämpften WM mit einem breiten Favoritenfeld durch viel Kampf und Willen durchgesetzt.
Doch ob die Boks des Jahres 2023 auch das „beste Team aller Zeiten“ sind, darf man durchaus bezweifeln. Andere Weltmeister zuvor, beispielsweise die Neuseeländer im Jahr 2015, oder auch Australien in den Neunzigern waren bei den Turnieren und darum herum deutlich dominanter. In den letzten beiden Jahren mussten die Boks Niederlagen gegen Wales, Australien, Argentinien, Neuseeland und England einstecken. Dass die Südafrikaner exakt bei der Weltmeisterschaft in bester Form sind ist ein Beweis dafür, welch ein Weltklasse-Team Rassie Erasmus und Jaques Nienaber geformt haben.
Doch der Erfolg beruht vor allem auf harter Arbeit, unfassbarerer taktischer Disziplin und nicht unbedingt darauf, dass Südafrika das beste Angriffsrugby spielt. Frankreich, Irland und eben auch Neuseeland haben im Angriff teils deutlich mehr gezeigt. Das All-Blacks-Team des Jahres 2015 konnte auch deswegen das Welt-Rugby deutlich dominanter beherrschen, da man spielerisch dem Rest des Feldes klar überlegen war. Dass die Boks sind nicht bei jedem Spiel vor allem mental auf derartige Höhen schwingen können, ist verständlich - so schloss Südafrika die Jahre 2021 und 2022 jeweils mit acht Siegen und fünf Niederlagen ab. Deshalb scheint es ein wenig überzogen zu sein, vom „besten Team“ der Rugby-Geschichte zu sprechen.
3. Für Südafrika ist dieser Titel das nächste ovale Märchen
Kapitän Siya Kolisi fasste es nach dem Abpfiff wie folgt zusammen: „Menschen, die nicht aus Südafrika kommen, wissen nicht, was das für uns als Nation bedeutet.“ Wer die Bilder dieser Tage aus Johannesburg, Kapstadt, Durban und dem Rest der 60 Millionen Einwohner zählenden Nation sieht, kann es in etwa erahnen.
Spontane Straßenpartys, tausende Menschen, die sich zu Jubelmärschen zusammenfinden und gemeinsam singen und so viel Enthusiasmus wie vielleicht keine andere Rugby-Nation gezeigt hätte. Solche Bilder kennt man sonst eigentlich nur aus Argentinien oder Brasilien, wenn dort Titel im Fußball gefeiert werden.
Ganz Südafrika erlebte einen Moment für die Ewigkeit
Für Südafrika, das sich weiterhin ökonomisch in einer schwierigen Situation befindet und mit einer Elektrizitätskrise zu kämpfen hat, ist der Titel beim Rugby World Cup ein Hoffnungsschimmer. Rugby bleibt weiterhin ein verbindendes Element in einer Nation, in der es noch immer tiefe Gräben und Konflikte gibt. Auch deshalb ist der vierte World Cup für die Boks etwas ganz besonderes und auch deshalb kann man sich als Außenstehender für dieses Team und diese Nation freuen.