Drei TR-Thesen zu den Viertelfinalspielen der WM: Duelle für die Ewigkeit
Geschrieben von TotalRugby Team
Dienstag, 17. Oktober 2023
Alle vier Viertelfinalspiele wurden erst in der Schlussphase entschieden - ganz anders als noch 2019. Foto (c) World Rugby
Drama, hochklassiges Rugby, harte Hits und Spannung bis zur allerletzten Sekunde. Alle vier Viertelfinalspiele dieser WM boten grandiosen Sport und waren ein Grund den ovalen Ballsport zu lieben. Wir haben das Geschehen vom Wochenende analysiert und blicken auf die wichtigsten Faktoren und ziehen Rückschlüsse mit Blick auf die Weltspitze im Rugby.
Die Weltspitze so eng beisammen wie noch nie
Es wurde vor der WM immer wieder beschworen und es ist schlussendlich auch so gekommen. Die Rugby-WM bot bisher unglaublich viel Spannung und besonders die Weltspitze ist dermaßen eng zusammengerückt, wie wohl noch nie zuvor. Alle vier Viertelfinalspiele am vorigen Wochenende waren bis in die absolute Schlussphase spannend und kein einziges war im Voraus einfach vorherzusagen.
Einzig das erste Viertelfinalduell Wales gegen Argentinien endete mit mehr als einem Versuch Unterschied, aber auch nur, weil Pumas-Veteran Nico Sanchez drei Minuten vor dem Ende einen Pass des jungen walisischen Verbinders Costellow herausfing und nach dem Intercept die 50 Meter bis unter die Stangen lief.
Absolute Kleinigkeiten entschieden die Spiele. Frankreich verlor am Ende mit exakt einem einzigen Punkt gegen die Springboks. Frankreichs unglaublich zuverlässiger Kicker Tomas Ramos hatte in Durchgang eins eine Erhöhung verpasst, weil er sich zu viel Zeit ließ und Cheslin Kolbe so die Chance gab, ihn zu blocken. Nicht nur da hätten die Franzosen die nötigen Punkte holen können - eine 50-50-Entscheidung für die Boks, als Kwagga Smith den Ball an der Mittellinie einen Straftritt herausholte, nachdem er sich zuvor auf dem Boden abgestützt hatte, sorgte bei den Franzosen für Unmut.
Irland wird sich über mehrere Szenen vom Samstag-Abend ärgern: Einmal ließ sich die Nummer eins der Weltrangliste im Neuseeland-Malfeld hochhalten mehrmals unterliefen einfache Fehler.
Frankreich und Südafrika lieferten sich ein Duell für die Ewigkeit, das am Ende mit einem Punkt entschieden wurde
Der sonst so zuverlässige Caelan Doris ließ einen Dropout aus dem All-Blacks-Malfeld ohne jeglichen Druck fallen und schenkte den Neuseeländern so 50 Meter. Selbst der so erfahrene Johnny Sexton traf in seinem letzten Profispiel so manch falsche Entscheidung. Am Ende verloren alle vier Teams ihre Viertelfinalspiele, die mehr Handlingfehler begingen.
Fidschi wiederum war trotz vieler Handlingfehler bis zuletzt im Spiel, da das Spiel der Insulaner von der Unberechenbarkeit lebt. England rettete sich nach einem Fidschi-Sturmlauf im zweiten Durchgang mit viel Glück und einigem an Abgebrühtheit über die Zeit.
In Summe betrug die Punkte-Differenz aller vier Viertelfinalspiele zwischen Sieger und Verlierer nur 23 Punkte, also im Schnitt weniger als ein Versuch - 2019 waren es noch 80 und nur ein einziges Spiel wurde mit der letzten Aktion entschieden.
Erfahrung ist ein unfassbar wichtiger Faktor in der K.O.-Phase
Er wird zwar niemandem mehr auf dem Feld davonrennen aber es war der erfahrenste All Black aller Zeiten, der Irlands Sturmlauf am Samstag-Abend mit einem Steal beendete. Sam Whitelock spielt seine vierte WM und bewies, dass er mit 35 noch immer wichtig für die All Blacks ist. Er hatte seine Hände in der Nachspielzeit legal am Ball und sorgte dadurch bei Neuseelands mitgereisten Fans für Jubelstürme.
Die Erfahrung von Nico Sanchez und Agustin Creevy brachte Los Pumas am Ende über die Ziellinie
Auch die Boks hatten mit Faf de Klerk, Willie Le Roux und Handré Pollard drei der erfahrensten Kreativspieler auf der Bank. So war es auch hier mit de Klerk auch ein Boks-Veteran, der Frankreichs heranstürmenden Prop Wardi den Ball entriss und so Frankreich die Chance auf den Halbfinaleinzug nahm. Bei den Argentiniern brachten Nico Sanchez und Agustin Creevy, mit jeweils über 100 Länderspielen die erfahrensten Pumas aller Zeiten, die späte Wende gegen Wales.
Besonders bei Frankreich und Irland fehlte diese Erfahrung auf der Bank. Irland brachte Ersatz-Verbinder Jack Crowley gar nicht erst zum Einsatz, obwohl Johnny Sexton zum Ende der Partie kaum noch zu sprinten in der Lage war. Hier rächte es sich, dass Irland in den letzten zehn Jahren nie einen nahezu gleichwertigen Ersatz für den alternden Maestro Sexton aufgebaut hatte.
Die effizienteste Mannschaft wird diese WM gewinnen
Frankreich hatte am Ende des letzten Viertelfinalspiels deutlich mehr Meter mit dem Ball gemacht, mehr als doppelt so viele Ballvorträge über die Vorteilslinie, sechs Mal so viele erfolgreiche Offloads, kollektiv vier Mal so viele Verteidiger geschlagen, mehr als 60% Ballbesitz und das Spiel fand deutlich länger in Südafrikas Hälfte statt. Was den Franzosen fehlte, war die Effizienz. Besonders in Durchgang eins hatten die Boks fast jede Chance in Punkte umgemünzt, während Frankreich besonders in der langen Drangphase Anfang des zweiten Durchgangs in Überzahl ohne Punkte blieb.
38 Phasen mussten die All Blacks am Ende verteidigen, um ihren Sieg über die Zeit zu retten
Ähnliche Statistiken produzierten auch die Iren gegen Neuseeland. Auch in diesem Viertelfinale waren die Feldvorteile ganz klar bei den Iren, die rund 200 Meter mehr mit dem Ball machten und das Spiel zu zwei Drittel in der Hälfte Neuseelands hielten. Jedoch war es auch hier am Ende die brutale Effizienz der All Blacks, die am Ende den Unterschied machte. Und das könnte die Engländer hoffen lassen, denn auch das Mutterland hat bisher von seiner Effizienz gelebt und ist so trotz zuletzt durchwachsenen Leistungen bis ins Endspiel eingezogen. Doch bisher musste das Team von Coach Steve Borthwick noch gegen keines der besten Teams im Wettbewerb antreten.